Bei der Transpride in Stuttgart machten sich Anfang September 400 Menschen für die Rechte von trans Personen stark. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Mit dem Selbstbestimmungsgesetz reicht ein Gang zum Standesamt für trans Personen, nichtbinäre und intergeschlechtliche Menschen, um ihren Geschlechtseintrag zu ändern. Viele Menschen in Baden-Württemberg ergreifen diese Chance.

Jj Link wartet auf diesen Moment schon seit Jahren: den eigenen Geschlechtseintrag und Namen zu ändern und offiziell als „divers“ zu gelten – und nicht mehr Jasmin, sondern Janosch Jasmin zu heißen. Jj Link (gesprochen Jay-Jay) ist 42 Jahre alt, lebt in Stuttgart und identifiziert sich als nichtbinär, also weder eindeutig als Mann noch als Frau. Link möchte am liebsten, dass keine Pronomen für die eigene Person benutzt werden.

Am 4. November soll es soweit sein: Dann lässt Jj Link Namen und Personenstand ändern. Denn am 1. November tritt das neue Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Dieses erleichtert es transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen, ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen zu ändern. Seit dem 1. August kann man sich dafür bei den Standesämtern anmelden.

Das regelt das Selbstbestimmungsgesetz

Im Rahmen des Transsexuellengesetzes entschied bisher ein Gericht über die Änderung des Geschlechtseintrags. Außerdem waren zwei psychiatrische Gutachten nötig. Viele Betroffene empfanden dabei die körperlichen Untersuchungen und intime Fragen als demütigend. Das Verfahren kostete die Personen mehrere tausend Euro. In Zukunft ist nur noch eine Erklärung vor dem Standesamt nötig. Zuvor muss eine Anmeldung bei der Behörde erfolgen. Bis zur Erklärung müssen dann drei Monate vergehen, sie sollen als Bedenkzeit dienen und nicht ernst gemeinten Erklärungen vorbeugen. Ist der Geschlechtseintrag geändert, besteht eine einjährige Sperrfrist.

Jj Link verschwendete keine Zeit und reichte direkt am 1. August die Anmeldung beim Standesamt ein. Unter dem Transsexuellengesetz wollte Link den Geschlechtseintrag nicht ändern. „Es hat sich nicht richtig angefühlt, dass man einen Gerichtsprozess starten muss und zwei psychiatrische Gutachten vorlegen muss“, erklärt Link. „Ich habe dann lieber ständig verwunderte Fragen hingenommen, weil ich eher männlich wahrgenommen werde, im Ausweis aber ein weiblicher Name steht, als durch dieses Verfahren zu gehen.“

Zahlreiche Menschen melden sich bei den Standesämtern an

Wie Link strömen seit dem 1. August viele Betroffene auf die Standesämter. Der Andrang ist deutschlandweit deutlich größer als erwartet, wie eine Datenauswertung des „Spiegel“ zeigt: Rund 15 000 Personen haben bis Ende August eine Änderung des Geschlechtsantrags angemeldet. Die Bundesregierung hatte mit 4 000 Personen jährlich gerechnet. Zuletzt änderten etwa 3 000 Menschen pro Jahr deutschlandweit ihren Geschlechtseintrag.

Auch auf den Standesämtern in Baden-Württemberg ist der Andrang groß: In den 18 Standesämtern der Stadt Stuttgart sind bis Ende August 115 Anmeldungen eingegangen, heißt es von Seiten der Stadt, 63 davon in der Innenstadt. 2023 hatten noch sieben Personen in der Innenstadt ihren Geschlechtseintrag über das Transsexuellengesetz geändert. In Karlsruhe sind bis Mitte September 117 Anmeldungen eingegangen. Der Andrang ist auch in Heidelberg groß, dort haben sich bis Mitte September 109 Menschen angemeldet. Im vergangenen Jahr hatten dort zwei Menschen über das Transsexuellengesetz ihren Personeneintrag geändert. In Freiburg haben sich bislang 87 Personen angemeldet, in Mannheim sind es 84. In Tübingen gibt es bisher 39 Anträge, in Ulm 31, in Konstanz 21.

Ludwigsburg und Esslingen: Einige wollen Geschlechtseintrag ändern

In den Städten in der Region Stuttgart wollen ebenfalls einige Personen ihren Geschlechtseintrag ändern: In Esslingen sind bis Mitte September 21 Anmeldungen eingegangen. In Ludwigsburg wollen 16 Menschen in drei Monaten ihre Erklärung abgeben, im vergangenen Jahr gab es dort zwei Änderungen über das Transsexuellengesetz.

Tanja Gemeinhardt, Vorstandsmitglied vom Stuttgarter Verein Mission Trans, geht von einem spürbaren Andrang auf die Standesämter aus, da einige Menschen im letzten Jahr noch auf das neue Gesetz gewartet hätten. „Ich gehe davon aus, dass es einen Peak geben wird. Aber ich glaube auch, dass sich dieser Peak nach einem halben Jahr auf einem etwas höheren Niveau als zuvor einpendelt.“ Wie ist die Stimmung mit Blick auf das Gesetz bei trans und nichtbinären Menschen? Als es im April beschlossen wurde, habe es große Euphorie gegeben, erzählt Gemeinhardt. „Das Selbstbestimmungsgesetz war wichtig, aber jetzt ist es eben da.“ Das Gesetz regelt nur rechtliche Aspekte, mit medizinischen Maßnahmen wie Hormontherapien hat es nichts zu tun. Der rechtliche Meilenstein ist laut Gemeinhardt aber nicht genug: „Der Kampf für Gleichberechtigung geht weiter.“

Zwischen Freude und Unsicherheit

Jj Link hat gemischte Gefühle mit Blick auf die Anmeldung beim Standesamt. „Einerseits habe ich mich schon gefreut, dass es jetzt endlich geht. Ich bin froh, dass das Gesetz gekommen ist“, sagt Link. „Andererseits trägt das Gesetz Züge von fehlendem Wissen und fehlender Toleranz gegenüber trans Personen.“ Unnötig sei etwa die dreimonatige Wartezeit. Kaum jemand melde sich aus Jux und Tollerei an, um seinen Geschlechtsantrag zu ändern, so Link.

Auf den 4. November freut sich Link. Doch ein wenig Unsicherheit bleibt. Denn der neu gewählte Name muss dem neuen Geschlechtseintrag entsprechen. Wie genau das beim Eintrag „divers“ geregelt werde, sei unklar, so Link. „Ich hoffe einfach, dass mein Namensvorschlag akzeptiert wird. Sonst stehe ich erst einmal ratlos da.“