Seifen Lenz wurde vor fast 240 Jahren gegründet – und noch heute gibt es den Stuttgarter Einzelhändler. Was das Geschäft von Heinz Rittberger in der Esslinger Straße so außergewöhnlich macht.
Auch wenn man die Uhr an der Wand ticken hört, scheint hier irgendwie die Zeit stehen geblieben zu sein. Und zwar auf eine angenehme Art und Weise. Dass im Seifen Lenz vieles noch so ist wie es vor Jahrzehnten schon war, gehört quasi zum Geschäftskonzept. Trendfirmen würden in der heutigen Zeit wohl vom Signature Move, also von ihrem Markenzeichen, sprechen.
Auch im Jahr seines 240. Geburtstags wahrt sich das Drogeriegeschäft in Stuttgart so ganz beabsichtigt den Charme früherer Zeiten. „Das schätzen die Leute auch sehr, das haben wir gerade um die Weihnachtszeit wieder gehört“, berichtet Heinz Rittberger, der Inhaber der Traditionsfirma in der Esslinger Straße. Der Mann ist 87, eng verbunden mit dem Bohnenviertel sowie der Leonhardskirche und so gut wie immer vor Ort im Geschäft. Seit Jahrzehnten. Andernfalls würde ihm etwas fehlen, er mag den „Kontakt mit den Menschen“. Das Ganze hält ihn auch im hohen Alter topfit.
„Seifen ohne Ende, Kerzen ohne Ende“
Die Gründung von Seifen Lenz, Seifensieder und Lichtzieherei, wurde am 2. Juli 1785 in das Seifensieder-Zunftbuch eingetragen. Heinz Rittberger präsentiert eine eingerahmte Vergrößerung des Originals, das zum nahenden 240. Geburtstag vom Stadtarchiv übersetzt werden soll – denn die alte Schrift ist schwer zu lesen.
Der Fachmann wurde 1957 nach seiner abgeschlossenen Drogisten-Ausbildung Mitarbeiter, bevor er dann 1969 zum Inhaber des Geschäfts aufstieg, das auf Johann Friedrich Lenz zurückgeht. „Leute, die nach 1970 das Licht der Welt erblickt haben, kennen nur noch die Drogeriemärkte“, sagt er. In den 70ern habe er dann beschlossen: „Besinn dich auf die Ursprünge. Seifen ohne Ende, Kerzen ohne Ende.“ Doch er hat sein Angebot um weitere Produkte ergänzt. Im Seifen Lenz findet man beispielsweise auch Bürsten, Kämme, Reinigungsmittel, Badeschlappen und Co. Der Einzelhandel lebt bis heute. Schon seit 1813 befindet er sich nach Angaben des Inhabers in der Esslinger Straße, seit 1976 an genau dieser Adresse mit der Hausnummer 24.
Besucht man im Bohnenviertel das Geschäft mit dem markanten, roten Balken am Schaufenster, berät einen das Team um Heinz Rittberger. Der gebürtige Stuttgarter, der 30 Jahre lang bis 2019 Kirchengemeinderat war und ein Initiator des Stadttauben-Projekts ist, lässt sich dabei von einem derzeitigen Wasserschaden im Haus nicht aus der Ruhe bringen. In der Luft liegt ein angenehmer Geruch. Kein Wunder. Denn die verschiedensten Kerzen und Seifen zieren – akkurat nebeneinander einsortiert – die weißen Bretter. „Es ist ja schön, dass es noch solche Läden gibt wie ihren“, meint eine Kundin beim Stöbern zum Inhaber des Drogeriegeschäfts.
Preisschilder sind händisch geschrieben, Kartenzahlung ist nicht möglich. Für den Kassenbericht möchte der Chef alles bar vorliegen haben. Sein Laden hat auch ein Stück weit Museumscharakter. Zu sehen sind alte Waagen, ein Kerzengieß-Apparat aus dem 18. Jahrhundert, sein Drogisten-Lehrbrief von 1957 – und Produkte aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Schrecken dieser Zeit hat Heinz Rittberger als Kind in seiner Heimatstadt Stuttgart erleben müssen.
Er erinnert auch daran, wie sparsam man einst sein musste. „Dieses Päckchen Feinwäsche musste für zwei Monate reichen“, sagt er und verweist auf ein Waschmittel, das er mit der Leiter vom Regal nimmt. Es ist etwas breiter als ein übliches Handy. Mit Blick auf die heftigen Einschränkungen während des Krieges sagt Heinz Rittberger: „Ich appelliere an die Menschen, sie mögen doch ein bisschen zufriedener sein.“
Sein Team setzt sich aus seinem jüngeren Sohn Matthias, Astrid Wojciekowski, seiner Frau Ilse und seiner Cousine Christa Muser zusammen. Matthias Rittberger hebt hervor, dass Seifen Lenz eines der ältesten Geschäfte im Großraum der Landeshauptstadt sei. Der 49-Jährige spricht von einer „Lebensaufgabe“, die man mit dem traditionsreichen Laden habe.
Dieser habe „irgendwie so einen besonderen Charme, den die Läden heute nicht mehr so haben“, stellt eine Kundin fest, die mit ihrer Familie zum ersten Mal in dem Geschäft ist. „Ich glaube, das ist der Tenor der meisten, die hier die Türe aufmachen“, sagt Heinz Rittberger, der mit dem Seifen Lenz genau diesen besagten Charme beibehalten will.
Christa Muser hilft samstags ehrenamtlich aus. Oftmals höre sie von den Leuten unter anderem diesen Satz: „Ihr dürft ja nicht aufhören.“ Die 77-Jährige weiß um die Wertschätzung, die Kunden dem Team entgegenbringen.
Baustelle beschäftigt die Einzelhändler
Eigentlich, so könnte man meinen, ist bei Seifen Lenz fast 240 Jahre nach der Gründung also alles bestens – wäre da nicht seit vergangenem Jahr eine große Baustelle, die Einzelhändler vor enorme Herausforderungen stellt und auch noch für längere Zeit stellen wird. Zwischen der Esslinger und Hauptstätter Straße (B 14) soll ein neuer Mobility-Hub sowie das Haus für Film und Medien entstehen. Von der B-14-Rampe wird der Verkehr über die Esslinger Straße umgeleitet, dort steht zudem ein blickdichter Bauzaun.
„Dass es eine Durststrecke gibt, ist klar. Wir müssen schauen, wie wir durchkommen“, sagt Heinz Rittberger zur derzeitigen Lage. Das Plakat am Schaufenster, mit dem der Laden im Vorjahr forderte, dass der damalige „Höllenlärm“ enden soll, habe man hängen lassen.
Die Situation schlägt jedenfalls aufs Gemüt, fordert Einbußen. Doch der 87-Jährige verliert seinen Humor deswegen nicht. Heinz Rittberger hofft auf lange Staus, damit die Leute „ins Fenster reinschauen können“. Und vom Autositz aus kann man mit Blick auf das Schaufenster schon erkennen: Hier ticken die Uhren ein wenig anders.