Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr erreichbar. Foto: dpa/Patrick Pleul

Die Telefonseelsorge Stuttgart verzeichnet einen wachsenden Gesprächsbedarf insbesondere der jungen Menschen. Den Grund dafür sehen die evangelische und katholische Kirche insbesondere in der Vereinzelung während der Pandemie.

„Die Flutkatastrophe in Deutschland und in Australien, drohende Hungersnöte durch Dürren, Menschen auf der Flucht – die Häufung der Krisen führt bei vielen Menschen zu einer Art Schockstarre“, sagt Gabriele Stark, die Leiterin der katholischen Beratungsstelle Ruf und Rat. „Viele sind in ihrem Leben ohnehin schon sehr belastet, weil sie eine Trennung erlebt haben oder um ihren Arbeitsplatz fürchten, einen geliebten Menschen verloren haben oder an Depressionen leiden“, so Gabriele Stark. Die daraus folgende Ohnmacht könne dazu führen, dass sich Menschen in ihre eigene Welt flüchten.

Scherzanrufe rückläufig

Immerhin fast 33 000-mal haben Menschen bei der katholischen (Ruf und Rat) und der evangelischen Telefonseelsorge in Stuttgart im vergangenen Jahr angerufen; das entspricht täglich rund 90 Gesprächen auf den tagsüber vier und nachts zwei geschalteten Leitungen. Mehr als die Hälfte der Ratsuchenden war zwischen 40 und 69 Jahre alt, knapp ein Drittel über 60 Jahre alt. Öfter als zuvor – in 81,5 Prozent der Fälle – sind Seelsorge- und Beratungsgespräche mit den 180 Ehrenamtlichen zustande gekommen, während die Zahl der Scherzanrufe zurückgegangen sei, erläutert Bernd Müller, der stellvertretende Vorsitzende von Ruf und Rat. Fast drei Viertel waren Anruferinnen.

Unerfahren im Umgang mit Krisen

Jüngere Menschen haben einen anderen Zugang zur Seelsorge. Zehn- bis 30-Jährige nehmen vorwiegend per Chat Kontakt auf und haben das Angebot der 64 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jahr 2021 rund 2500 Mal genutzt. Das bedeutet einen Zuwachs von einem Drittel im Vergleich zum Vorjahr. „Depressionen, Ängste, Einsamkeit und Selbstbildstörungen sind die häufigsten Themen“, sagt Martina Rudolph-Zeller. In der Beratung per Mail sind 32 Ehrenamtliche tätig. 1227 Mails sind gewechselt worden mit den Ratsuchenden, von denen die meisten zwischen 20 und 30 Jahre alt sind. Zuletzt stieg die Zahl der jüngeren Ratsuchenden im Alter zwischen zehn und 20 Jahren.

Insbesondere die nun schon zwei Jahre währende Pandemie begünstige Ängste: „Die jungen Menschen haben keine Erfahrung im Umgang mit Krisen, sie nehmen seit Beginn der Pandemie den Stress und die Angst der Erwachsenen mit auf, die Begegnungen fehlen ihnen, die Lücken in der therapeutischen Behandlung sind dramatisch“, fasst die Leiterin der evangelischen Telefonseelsorge zusammen. „Deshalb wird unsere Erreichbarkeit immer wichtiger.“

Ukraine wird zum Thema

Das gilt im besonderen Maß für das aktuelle Jahr, in dem zu den genannten Krisen „der menschenverachtende Krieg“ Russlands gegen die Ukraine hinzukomme, der uns „in Echtzeit“ übertragen werde, so Stark. Er beschwöre Kriegserinnerungen herauf, versetze die Menschen in Unruhe, Wut, Ohnmacht. Er erinnere auch viele, die damals noch Kinder waren, an ihre traumatisierten Mütter, die ihnen keine Sicherheit geben konnten. „In diesem Jahr hat bisher jedes zehnte Gespräch den Krieg in der Ukraine zum Gegenstand“, sagt Bernd Müller. Andere fürchten Preissteigerungen bei Lebensmitteln und Heizung, wenn sie finanziell ohnehin schon am Rande stehen. „In solchen Situationen hilft es, sich Seelenverwandte zu suchen oder etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen“, sagt Martina Rudolph-Zeller. Vorausgesetzt, die Coronapandemie lässt das zu.

Wo es Hilfe gibt

Erreichbarkeit
Unter der Telefonnummer 0800 - 111 0 111 ist die Evangelische Telefonseelsorge erreichbar, unter der Nummer 0800 111 0 222 die katholische Telefonseelsorge Ruf und Rat. Zum Austausch über Mail oder Chat ist die folgende Mailadresse eingerichtet: www.telefonseelsorge-stuttgart.de/hilfe-finden/online/

Ansprechpartner
Bei der telefonischen Beratung arbeiten 180 Männer und Frauen ehrenamtlich, für die Chats sind 64 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zuständig, für die Mails sind es 32 Ehrenamtliche. Alle wurden über mindestens 150 Stunden ausgebildet und erhalten monatlich eine Supervision.