Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Foto: dpa

Mit seiner Drohung gegen eine „taz“-Autorin hat der Egozentriker Horst Seehofer eine Chance verstreichen lassen, ein wichtiges Thema zu diskutieren. Und die Polizei schaut in die Röhre, meint unsere Kolumnistin Katja Bauer.

Stuttgart - Wie rassistisch ist die Polizei? Seit George Floyds Tod lag weltweit die Aufmerksamkeit auf dieser Frage. Das Thema verdient Genauigkeit. Deshalb war es umso ärgerlicher, dass die SPD-Vorsitzende Saskia Esken mit einer pauschalen Formulierung der deutschen Polizei „latenten Rassismus“ unterstellte. Prompt verlagerte sich die Diskussion auf Eskens Aussage. Vollends aus dem Gleis geriet die Sache, als ganz Deutschland auf einmal die „taz“ las, dazu noch in Form einer Kolumne, die sonst nicht mal alle „taz“-Leserinnen und -Leser zur Kenntnis nehmen. Man könnte sich jetzt darüber Gedanken machen, wie es eigentlich kam, dass der überbewertete Artikel im Internet so gepusht wurde, aber was bleibt, ist ein unsäglicher Text voller Verachtung für Polizisten, die hier mit Müll verglichen wurden. Ob er strafrechtlich relevant sein könnte, werden Ermittler entscheiden, denn es hagelte Anzeigen.

Es folgte die Krawallnacht von Stuttgart, bei der Polizisten hemmungslos angegriffen wurden. Wer einmal – in Stuttgart, Hamburg, Berlin – gesehen hat, wie Gehwegplatten und Molotowcocktails auf Polizisten geworfen, wie voll besetzte Streifenwagen umringt und zertrümmert wurden, der vergisst nicht den Hass, der die Menschen in Uniform hier trifft. Er richtet sich nicht gegen das Individuum, sondern gegen den Staat. Getroffen werden beide: der Staat in seiner Autorität und ein Mensch, der seinen nicht einfachen und risikoreichen Beruf im Dienst der Allgemeinheit ausübt.

Der typische Tatverdächtige: Männlich, polizeibekannt, deutsch

Das ist ein schweres Problem für eine Gesellschaft, die gerne möchte, dass Sicherheitsbehörden ihr mit offenem Visier gegenübertreten. Und es wächst, zeitgleich mit der Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung, mit organisierter Kriminalität, mit Werteverfall und sozialer Spaltung. Wie der typische Tatverdächtige aussieht, lässt sich nachlesen: er ist männlich (86 Prozent), polizeibekannt (73 Prozent), deutsch (69 Prozent), älter als 25 (66 Prozent) und alkoholisiert (55 Prozent). Was kann man gegen die Entwicklung – jenseits entschlossener Strafverfolgung – tun? Das wäre die Frage gewesen, derer sich ein Bundesinnenminister hätte annehmen müssen. Horst Seehofer zog es vor, über die „Bild“-Zeitung die Journalistin unter Druck zu setzen, eine Anzeige anzukündigen und seine persönliche juristische Einschätzung zum Maßstab zu machen. Mancher Jurist im Haus wird sich die Haare gerauft haben. Vier Tage ließ er das so laufen – dafür sagte er die Präsentation des so wichtigen Verfassungsschutzberichtes ab. Dann ruderte er zurück. Und während ausgerechnet der Verfassungsminister hier die Pressefreiheit zu foulen drohte, schaute wer in die Röhre? Die Polizei, um die es eigentlich hatte gehen sollen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Seehofer eine Chance verstreichen lässt, eine wichtige Diskussion zu führen, nur weil er sich ganz persönlich verrennt. Das prominenteste Beispiel dafür war seine noch als Ministerpräsident angekündigte Verfassungsklage gegen Merkels Entscheidung in der Flüchtlingspolitik. Dieser peinliche Mechanismus schadet ausgerechnet dem Thema, das im Mittelpunkt hätte stehen sollen: dem schwindenden Respekt einiger Gruppen vor der Polizei, der schwere Folgen fürs gesamtgesellschaftliche Klima haben wird, wenn sich daran nichts ändert.

Vorschau
Am kommenden Dienstag, 7. Juli, schreibt an dieser Stelle unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.