Protest in Chile Foto: Nightrunner Productions Lowkey Films Ltd./Friedemann Leis

Warum investieren weltweit junge Menschen viel Zeit und Energie, um gegen die bestehenden Verhältnisse anzukämpfen? Dieser Frage geht der Filmemacher Franz Böhm aus Gerlingen nach, der Aktivistinnen aus Hongkong, Uganda und Chile porträtiert hat.

Stuttgart - Es gab eine Zeit im Leben von Franz Böhm, da war sein Tag dann in Ordnung, wenn der Film, den er sich ansah, gut war. Aufgrund eines Schicksalsschlags schaute der damals 11-jährige Junge ziemlich viele Filme. Dieser Rückzug in die Welt der bewegten Bilder war zunächst eine Flucht vor der Realität, doch diese Welt wurde bald schon zu seiner Leidenschaft. „Ich habe an mir gesehen, dass der Film die Kraft hat, Menschen zu verändern – und da glaube ich auch heute noch dran“, sagt Böhm.

Der inzwischen 20-Jährige sitzt in einem Café in Stuttgart und rührt in seinem Espresso. Er besucht seine Familie in Gerlingen. Ein paar Tage zuvor ist er aus Chile zurückgekommen, am Abend fliegt er nach London, wo er nun lebt. Die Dreharbeiten für sein jüngstes Filmprojekt sind gerade abgeschlossen, nun geht es in die Postproduktionsphase.

Warum investieren Menschen Zeit und Energie in einen scheinbar aussichtslosen Kampf?

Es ist bereits der dritte Film, bei dem Böhm Regie führt. Mit 13 Jahren war er erstmals bei einer Filmproduktion dabei, als Setrunner, der untersten Position am Filmset. „Damals habe ich gelernt, dass jedes gute Filmprojekt das Resultat einer guten Teamarbeit ist, bei der jedes Rädchen zählt“, sagt Böhm. Der Filmemacher Thomas Bergmann habe dies auf den Punkt gebracht, als er sagte, dass er, wenn er einen Film sehe, sagen könne, wie gut das Catering am Set war.

Und was gibt es bei Böhm so am Set zu essen? „Wir werden oft von Bäckereien gesponsert – aber manchmal kann ich meine Großmutter überzeugen, selbst gemachte Maultaschen zu liefern.“ Allerdings waren die Wegstrecken für die Maultaschen bei diesem Film wohl zu lang: „Dear Future Children" wurde in Hongkong, Uganda und Chile gedreht. Böhm hat für seinen ersten Dokumentarfilm in Spielfilmlänge, der über eine Crowdfunding Kampagne finanziert wurde, drei Aktivistinnen auf drei Kontinenten begleitet. Als Regisseur fasziniere ihn, warum junge Menschen trotz Morddrohungen, schlaflosen Nächten und hoher Gefahr so viel Zeit und Energie in einen scheinbar aussichtslosen Kampf investieren. „Ich möchte mit dem Film erforschen, wer hinter den politischen Bewegungen unserer Zeit steht und was sie über Kontinente hinweg verbindet.“

Als Frontlinerin stellt sie sich schützend zwischen die gewaltbereite Polizei und die Massen

Er und seine Filmcrew, darunter viele Stuttgarter, sind nach aufwendiger Recherchearbeit zunächst nach Hongkong geflogen, um eine Aktivistin bei den Massenprotesten zu porträtieren. Da die Identität der jungen Frau geschützt werden muss, wird sie Pepper genannt; ihr Gesicht ist im Film nicht zu erkennen. Pepper demonstriert gegen die Peking-nahe Regierung und für mehr Demokratie. Pepper ist Frontlinerin: In den brutalen Zusammenstößen zwischen Polizisten und Demonstranten stellt sie sich mit anderen schützend zwischen die gewaltbereite Polizei und die Massen, das sogenannte Herz. Schließlich zählen zum Herz auch alte Menschen und Eltern mit Kindern.

Danach ging es für Böhms Team nach Uganda. Dort führt Hilda einen ganz anderen Kampf, der jedoch nicht minder wichtig oder hart ist. Hilda ist eine Klimaaktivistin. Sie hat die dortige Fridays-for-Future-Bewegung mitgegründet. Doch in Uganda hat sie dabei mit ganz anderen Problemen zu kämpfen als Greta Thunberg und Co. Denn in dem afrikanischen Land herrscht bittere Armut – die meisten Menschen haben vordergründig ganz andere Probleme. Doch Hilda hat am eigenen Leib erfahren müssen, was der Klimawandel für Folgen hat: Als sie noch ein Kind war, wurde ihr Heimatdorf überschwemmt. Im Studium lernte sie, dass die Überschwemmung nicht naturgegeben war – seitdem richtet sich ihr Aktionismus darauf, ein Bewusstsein für den Klimawandel zu schaffen, an öffentlichen Debatten teilzunehmen und zu versuchen, Politiker von ihrer Sache zu überzeugen. „Ich habe selten eine solch ambitionierte und leidenschaftliche Frau erlebt“, sagt Böhm.

Böhm sieht bei den drei Aktivistinnen eine Gemeinsamkeit

Der dann nach Chile flog, um sich mit Rayen zu treffen, einer Frontline-Aktivistin. Die Proteste richten sich gegen die Ungleichheit in dem südamerikanischen Land. „Die Proteste sind die Politik der armen Leute“, sagt Böhm. Er empfand die Proteste dort als fast noch gefährlicher als die in Hongkong, „denn die Polizeigewalt ist unpräziser“, sagt Böhm, der bei den Dreharbeiten von einem Tränengasgeschoss am Hinterkopf getroffen wurde. „Aber wir waren vorbereitet und trugen Helme – ich wurde nicht verletzt.“

Böhm sieht bei den drei Aktivistinnen eine Gemeinsamkeit: Ihnen geht es um ihre Zukunft – und die ihrer Mitbürger und Mitmenschen: „Pepper in Hongkong kann sich nicht vorstellen, ihre Kinder in einem autoritär beherrschten Land aufwachsen zu lassen, Hilda in Uganda macht sich Sorgen um das Klima und Rayen in Chile versteht nicht, warum das reichste Land in Südamerika seine Bevölkerung nicht versorgen kann“, sagt Böhm. Er weiß, dass sein Film, der im Juli fertiggestellt sein soll und dann auf Festival-Tour geht, die Frage nach dem, was die Aktivistinnen antreibt und was sie verbindet, nicht beantworten kann. „Aber er kann einen Beitrag zur Diskussion leisten“, sagt Böhm. Ihm persönlich, so glaubt er, hat der Filmdreh genau die Erfahrungen gebracht, die er noch sammeln wollte, bevor er ein Filmstudium beginnt. „Das Projekt hat mein Profil geschärft – und meinen Glauben an die Macht des Films noch einmal gestärkt“.