Nicola Sturgeon tritt zurück. Foto: AFP/JANE BARLOW

Die schottische Regierungschefin gibt ihren Rücktritt bekannt. Sturgeon war über Jahre hin die erfolgreichste politische Figur in Schottland gewesen. Jetzt gibt sie auch den Vorsitz der Schottischen Nationalpartei auf.

Mit der gänzlich unerwarteten Bekanntgabe ihres Rücktritts hat die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon am Mittwoch eine Schockwelle ausgelöst in Schottland und in ganz Großbritannien. Sturgeon, die acht Jahre lang die Regierung in Edinburgh führte, gibt auch den Vorsitz der Schottischen Nationalpartei (SNP) auf.

Sturgeon war über Jahre hin die erfolgreichste politische Figur in Schottland gewesen. Sie hatte seit ihrer Amtsübernahme im Jahr 2014 alle Wahlen in Schottland gewonnen. Ihrem Land nationale Unabhängigkeit zu verschaffen, war immer ihr innigstes Ziel.

Ihr Abgang ist ein Eingeständnis, dieses Ziel nicht erreicht zu haben. Dazu sagte Sturgeon: „Ich glaube fest daran, dass, wer auch immer mir jetzt folgt, Schottland in die Unabhängigkeit führen wird.“ Sie sei überzeugt davon, dass man sich in Schottland, unterwegs zu nationaler Selbstbestimmung, „auf der letzten Etappe“ befinde. Viele SNP-Anhänger sind sich allerdings uneins über den weiteren Weg.

„Keine Kraft mehr“

Ihren plötzlichen Rücktritt begründete die 52-jährige SNP-Chefin damit, dass sie persönlich schlicht nicht mehr die Kraft habe, „nach drei Jahrzehnten an der politischen Front“ weiterhin an prominentester Stelle in die Schlacht zu ziehen – und dass der SNP und ganz Schottland mit einer frischen Führung gedient sei. Sie habe, fügte sie hinzu, „seit Wochen“ mit einer Entscheidung in dieser Frage gerungen. Skeptische Beobachter warfen am Mittwoch die Frage auf, ob Sturgeon womöglich keinen Weg mehr gesehen habe für ein neues Schottland-Referendum in den nächsten Jahren.

Nachdem fünf britische Regierungschefs – von David Cameron bis Rishi Sunak – ihr in den Jahren nach der gescheiterten Volksabstimmung von 2014 ein neues Unabhängigkeitsreferendum beharrlich versagt hatten, hatte ihr voriges Jahr auch Großbritanniens Oberster Gerichtshof den Weg zu einer neuen Volksbefragung verstellt, obwohl es im schottischen Parlament eine klare Mehrheit für ein solches Referendum gab und gibt.

Sturgeon hatte daraufhin angekündigt, sie werde die für 2024 erwarteten britischen Unterhauswahlen im Bereich Schottlands als ein Quasi-Referendum für schottische Unabhängigkeit betrachten. Das war aber auf Kritik in ihrer eigenen Partei gestoßen.

Manche SNP-Politiker halten ein solches „Ersatz-Referendum“ für unpraktikabel und befürchten, dass sich der SNP kurzfristig gar keine Chancen für Unabhängigkeit mehr bieten. Andere wollen den Londoner Gerichten und der „englischen Zentralregierung“ einfach trotzen. Ihnen ist die Legalität eines Referendums grundsätzlich egal.

Unwägbare Konsequenzen

Bereits für den nächsten Monat ist ein Sonderparteitag der SNP angesetzt, auf dem um den weiteren Kurs in dieser Frage gerungen werden soll. Die internen Wirrsale bei Schottlands Nationalisten haben freilich dazu geführt, dass die SNP und vor allem Sturgeon selbst in letzter Zeit an Popularität deutlich verloren – ausgerechnet zu einer Zeit, da immer mehr Schotten sich von London abgewandt haben.

Unruhe und einen Führungswechsel gab es zugleich in der SNP-Fraktion im britischen Unterhaus vor kurzem. Dazu kam, dass sich Sturgeon im Bildungs- und im Gesundheitsbereich in jüngster Zeit wachsender Kritik ausgesetzt fand, nachdem sie Schottland zuvor vergleichsweise erfolgreich durch die Covid-Ära gesteuert hatte.

Als politisch verhängnisvoll erwies sich zuletzt auch ihr nachdrückliches Eintreten für die freie Wahl junger Schotten in puncto Geschlechter-Identität – zumal als eine Trans-Frau in ein schottisches Frauengefängnis eingeliefert wurde, die zuvor als Mann für zwei Vergewaltigungen verantwortlich war. Die Proteste gegen diese Einlieferung hatten zu wochenlangen hitzigen Schlagzeilen geführt.

Für die schottische Politik bedeutet der unerwartete Rücktritt Sturgeons jedenfalls einen Einschnitt mit noch unabwägbaren Konsequenzen. In ihren Jahren an der Spitze war Nicola Sturgeon zu einer überragenden politischen Figur geworden im ganzen Vereinigten Königreich.

Schon mit 16 Jahren in der Politik

Bereits mit 16 Jahren hatte sie sich der Schottischen Nationalpartei angeschlossen. Schon damals, zu Margaret Thatchers Zeiten, hatten schottische Unabhängigkeit und soziale Fairness politische Priorität für sie.

An der Universität Glasgow studierte sie Jura, um anschließend zwei Jahre als Anwältin zu arbeiten. 1999, als von der Londoner Labour-Regierung begrenzte Selbstverwaltung für Schottland eingeführt und das schottische Parlament konstituiert wurde, schaffte sie es über die Glasgower Landesliste in dieses Parlament.

Wer Sturgeon nun beerben könnte, ist umstritten. Als Favoritin Sturgeons gilt die bisherige Finanz- und Wirtschaftsministerin Kate Forbes, die erst 32 Jahre alt ist. Gegen Forbes gibt es in der Partei jedoch Vorbehalte. Diese betreffen einige ihrer religiösen Überzeugungen, und ihre Einstellung zu Abtreibung und Homosexualität.