Fulminant: Sanni Luis 2008 in der Rolle der Lucy in „Jekyll & Hyde“. Über ein Jahrzehnt lang zählt die Darstellerin zur Crème de la Crème der deutschen Musical-Szene. Foto: Roger Paulet

„Les Misérables“, „Miss Saigon“ und „Sofies Welt“ – bei diesen großen Produktionen hat Sanni Luis in Hauptrollen gespielt, gesungen und getanzt. Nach einer Auszeit als Mutter kehrt die gebürtige Nürtingerin nun zurück ins Rampenlicht.

Nürtingen - Ihr Lachen ist ansteckend. Sanni Luis ist offen und herzlich – ein Sonnenschein. Und dennoch schlägt der Musical-Darstellerin, die in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre zu einem Star der Szene avancierte, vor vier Jahren eine persönliche Krise schwer aufs Gemüt.

Trautes Heim – es fehlt aber etwas Lebenswichtiges

Sie und ihr Mann adoptieren 2011 ein Mädchen, Nuri. Die Familie ist glücklich und lebt am Ammersee in Bayern. Dem Showbiz kehrt Sanni Luis den Rücken, fortan ist sie Mutter. „Ich dachte, ich müsste mich von dieser Musicalwelt verabschieden“, sagt die 49-Jährige rückblickend. Mit ganzer Kraft widmet sich die passionierte Schauspielerin ihrer neuen Rolle und füllt sie aus. Doch tief in ihrem Herzen spürt sie, dass ihr etwas Existenzielles fehlt. „Dann bin ich 45 geworden und kam an den Rand einer Depression.“

„Ich habe jede Nacht vom Theater geträumt“, bekennt Sanni Luis. Schließlich sagt eine Vertraute zu ihr: „Deine Seele schreit danach, dass du wieder auf die Bühne gehst.“

Sanni Luis ist zurück auf der Bühne und blüht wieder auf

Nach einem Jahrzehnt Bühnenabstinenz feiert sie bei den Schlossfestspielen Biedenkopf bei Marburg ihr Comeback. In der Musical-Darbietung „Die Hatzfeldt“ glänzt sie als Sophie von Hatzfeldt. Das Publikum spart in dem historischen Stück über Liebe und Demokratie nicht mit Applaus für Sanni und ihren Partner Ingve Gasoy-Romdal, mit dem sie bereits in „Die Schöne und das Biest“ als Belle auf der Bühne gestanden hat.

Sanni Luis blüht wieder auf: „Ich habe gemerkt, wie unheimlich glücklich mich das Spielen mit Gesang und Theater macht.“ In der Spielzeit 2019 folgt dann ein Engagement bei den Luisenburg-Festspielen Wunsiedel. Diesmal spielt Sanni Luis in „Zucker“, einem temporeichen Stück, das von Krieg, Verrat und Liebe handelt – so wie „Die Hatzfeldt“ aus der Feder von Birgit Simmler (Buch) und Paul G. Brown (Musik). Die Kritik lobt die drei Aufführungen im Sommer ausgiebig, sodass es nach der Weltpremiere in diesem Sommer im nächsten Jahr dann eine Neuauflage geben soll.

Mit zwölf weiß das Mädchen was es werden will

Dass Sanni Luis einmal den Weg in Richtung Schauspielkunst einschlagen wird, zeichnet sich bereits früh ab. Das Mädchen, das mit ihren Eltern und Geschwistern in Wendlingen wohnt, geht in Nürtingen auf die Rudolf-Steiner-Schule. In der achten Klasse ist sie erstmals bei einem Theaterstück dabei. Der Effekt: „Mit zwölf wusste ich, dass ich Schauspielerin werden wollte.“

Nach dem Abitur geht Sanni Luis nach Paris, sie besucht die Schauspielschule École Philippe Gaulier. Der Schulgründer wird ihr Mentor. „Sobald du aufhörst, dich selbst so verdammt wichtig zu nehmen, wirst du die Freiheit haben, um mit Freude Theater zu spielen.“ Dieser Rat Gauliers wird für Sanni Luis zu einer Leitlinie. Lebensfreude, Spontaneität, Offenheit und Esprit sind Charaktereigenschaften, die sie auf wie abseits der Bühne verkörpert.

Lehrzeit ade – Sanni Luis springt direkt ins kalte Wasser

Damals hat sie das Berufsziel Schauspielerin noch fest im Blick. „Ich dachte nie daran, Musical-Darstellerin zu werden“, sagt sie. Dabei ist die junge Frau mit einem ungewöhnlichen Gesangstalent gesegnet. Während ihrer Pariser Jahre arbeitet sie als Barsängerin, um Geld zu verdienen. Die Eltern wissen davon nichts. Dann besteht Sanni Luis die Aufnahmeprüfung an der Hamburger Stage School – die Weiche zum Musiktheater ist gestellt.

Noch während der Ausbildung kommt es zu einer zukunftsweisenden Begegnung mit Friedrich Kurz. Während einer Probe ist der ebenfalls aus Nürtingen stammende Musical- und Theaterproduzent sofort von Sanni Luis’ Fähigkeiten begeistert – und engagiert sie vom Fleck weg für die weibliche Hauptrolle der Miranda in dem Musical „Shakespeare & Rock’n’Roll“, das in Berlin aufgeführt wird. „Fritz Kurz war mein Entdecker, ohne ihn wäre ich nie so weit gekommen“, sagt Sanni Luis.

Der Showbiz bedeutet acht Shows pro Woche

Von da an geht es steil bergauf. Sanni Luis spielt in der Erstaufführung von „Les Misérables“ in Duisburg die Rolle der Éponine und später auch die Fantine. Es folgen zahlreiche Hauptrollen wie Ellen in „Miss Saigon“, Belle in „Die Schöne und das Biest“ und Sofie in der Welturaufführung von „Sofies Welt“. Acht Shows pro Woche – „das war mein Leben, meine Leidenschaft.“ Die gebürtige Nürtingerin ist auf der Überholspur und dem Zenit ihrer Karriere. Mit einem selbst geschriebenen Stück singt sie zur Einweihung des Kanzleramts in Berlin, auch zum Jubiläum des Olympiastadions Lillehammer steht sie mit dem Mikrofon auf der Bühne.

Das ist inzwischen lange her. Es war recht still geworden um Sanni Luis. Doch jetzt ist die zierliche Frau mit der voluminösen Stimme zurück, und es beginnt ein neuer Abschnitt ihrer Karriere. Die Zeit der großen Musical-Produktionen ist für sie vorbei, aber Neues wartet auf sie. „Älterwerden hat auch viel Positives: ich fühle mich heute viel klarer, gelassener und voller Energie, Freude und Dankbarkeit dem Leben gegenüber“, sagt Sanni Luis.

Wer zu perfekt sein will, steht sich selber im Weg

Neben ihrem wiederbelebten Bühnenengagement hat die gereifte Künstlerin seit sieben Jahren mit einem Business-Coaching ein zweites Standbein aufgebaut. Im Trainernetzwerk BPI ist sie Spezialistin für den Bereich Stimme, Präsenz und Auftritt. Leute aus der Wirtschaft lernen in dem Kommunikationstraining „frei vor Leuten zu sprechen“.

Sie beobachte, sagt die Coachin, dass Führungskräften „ihr eigener Perfektionsanspruch häufig im Weg steht.“ Dabei sei Authentizität doch viel wichtiger. „Zu viel Vorbereitung macht unfrei“, erläutert Sanni Luis. Die Kunst der Improvisation zählt zu den Stärken der Künstlerin. Wie Sanni Luis ihren Auftritte mit kabarettistischen Einlagen einen besonderen Pfiff verleiht, stellte sie zuletzt eindrucksvoll mit ihren Musikeinlagen bei der Abschiedsfeier des langjährigen Nürtinger Oberbürgermeisters Otmar Heirich Anfang August unter Beweis.

Rat eines Regisseurs: erfinde dich jeden Abend neu

Überraschungsmomente und Abwechslung als Würze für eine festgelegte Choreografie – dieses Erfolgsrezept hat ihr der „Les Misérables“-Regisseur Ken Caswell mit auf den Weg gegeben. Drei Jahre lang lief das Musical, anderthalb Jahre mit Sanni Luis. „Jeden Abend musst du etwas anders machen. Sonst ist es nicht mehr frisch“, gab Caswell seinem Schützling mit auf den Weg.

Zum Doppel-Jubiläum ein Konzert mit alten Freunden

Der Gefühlsmensch Sanni Luis hat sich immer dran gehalten und beherzigt den Rat weiterhin – auch wenn sie mit ihrer Formation Sanni Luis & Friends mit Noah Fischer (Saxofon, spielt in der Band von Udo Lindenberg) und Matthias Baumhof (Piano) auftritt. Das Trio musizierte erstmals im Jahr 2000 zusammen – im Nürtinger Theater im Schlosskeller. Für nächstes Jahr, wenn das 20-jährige Bühnen-Jubiläum von Sanni Luis & Friends mit ihrem 50. Geburtstag zusammenfällt, ist ein Revival-Konzert im Schlosskeller geplant. Dann schließt sich für die gebürtige Nürtingerin ein Kreis. Sanni: „Ich habe auch das Muttersein vollkommen genossen und genieße es immer noch jeden Tag. Ich habe nur festgestellt dass ich einen wichtigen Anteil, die Künstlerin in mir, nicht mehr gelebt habe, und deshalb musste ich zurück. Alles hat seine Zeit.“