Gleichheit wird nur vorgespiegelt, tatsächlich herrschen in der Berliner Alternativ-Schickeria soziale Unterschiede bis hin zum Klassenkampf. Anke Stellings Erfolgsroman „Schäfchen im Trockenen“ hat Sabine Auf der Heyde im Kammertheater des Stuttgarter Staatsschauspiels dynamisch und mit viel Witz inszeniert.
StuttgartDer Traum, dass alle Menschen gleich sind, ist auch im 21. Jahrhundert eine Illusion. Das spürt die Aufsteigerin Resi, als sie am vierten Advent bei ihrem Freund Ulf eingeladen ist. Die vorweihnachtliche Hausmusik wird für die angehende Schriftstellerin zur puren Blamage. „Was spielen Sie?“ Die Frage der Oma nach dem Instrument klingt harmlos. Doch Darstellerin Katharina Hauter zeigt mit Resis sensiblen, beschämten Gesten, wie demütigend sie ist. Im Kammertheater des Stuttgarter Staatsschauspiels hat die Regisseurin Sabine Auf der Heyde den Erfolgsroman „Schäfchen im Trockenen“ von Anke Stelling auf die Bühne gebracht.
Klug schärft die Regie in der Uraufführung die Klassengegensätze, die Stelling in ihrer Prosa kompromisslos und doch mit Witz entlarvt. Als die Großmutter fragt, aus welchem Hause die junge Frau denn stamme, antwortet Hauter überzogen naiv: „Emil-Nolde-Straße 62“. Lustvoll zelebriert die Schauspielerin den Klassenkonflikt mit Sebastian Röhrle, der die alte Dame verkörpert. Mit weißer Granny-Perücke suhlt sich der drahtige Darsteller in der Arroganz der Upper-Class. Sachlich beschreibt seine Kollegin Sylvana Krappatsch dann in einer erzählerischen Passage, wie Resi am Teetisch der Familie sitzt. Die junge Autorin, die ansonsten Ravioli aus der Dose isst, lächelt, „weil sich zumindest meine Zähne sehen lassen können nach einer kieferorthopädischen Behandlung auf Kosten der solidarisch organisierten Krankenkasse.“ Derweil lässt Regisseurin Auf der Heyde, die auch das Bühnenbild entworfen hat, gestellte Familienfotos an die kahlen Wände projizieren. So treibt sie die Wut und den ironischen Blick, der Stellings Buch so faszinierend macht, auf die Spitze. Bei der LesART stellt die Autorin ihren Roman am 20. November im Kutschersaal der Esslinger Bücherei vor (die Lesung ist ausverkauft).
Geboren 1971 in Ulm und aufgewachsen in Stuttgart, zog Stelling nach dem Abitur in die Weltstadt Berlin. Dass es da in den Bezugsgruppen der Bildungsbürger alles andere als gerecht und auf Augenhöhe zugeht, beschreibt sie in griffigen Alltagsbildern. Mal verrät der Tonfall des Romans Wut, dann Fassungslosigkeit. Hinter all dem steht die Sehnsucht nach einer solidarischen Welt. Bruce Springsteens Lied vom „Hungry Heart“ spricht Stellings Romanfiguren aus dem Herzen. Dass diese auch theatertauglich sind, zeigt die Bühnenfassung der Regisseurin sowie der Dramaturgin Carolin Losch. Ihr dynamischer Text rafft den 266-Seiten-Roman auf eindreiviertel Stunden zusammen. Nur selten verheddern sich die Spieler in epischen Passagen. Jacob Suskes mal rockige, mal psychedelische Musik stachelt das Ensemble zu grandiosem Körpertheater an. Da fliegen schon mal die Spaghetti durch die Luft. Sebastian Röhrle übernimmt alle Männerrollen und noch mehr. Die drei Schauspielerinnen verkörpern frustrierte Mütter, kommentieren Resis Kampf gegen die eigene Peer-Group. So zeichnet gerade Therese Dörr ein starkes Bild der Aufsteigerin und vierfachen Mutter, die als Autorin über ihre Freunde schreibt und damit viele von ihnen verliert. Eine Wohnungskündigung wirft sie aus der Bahn. Plötzlich ist sie wieder ganz unten auf der sozialen Leiter angekommen.
Das Motiv der Fußböden, an dem Stelling spielerisch die sozialen Unterschiede festmacht (Sechzigerjahre-West-PVC versus Dreißigerjahre-Holzestrich, dunkelgrün) kommt nur im Text vor. Auf der Heyde konzentriert die Bühnenhandlung an Esstischen. Da feiern die Yuppies Weihnachten, Taufen und Einzugsparties mit Macarons, Sekt und Törtchen. Als die Maske von den falschen Freundschaften und Lebenslügen fällt, zertrümmert das Ensemble die reich gedeckten Tische. Und die Lebensentwürfe der Neureichen, die ihre Schäfchen im Trockenen glaubten, zerfallen wie morsches Holz.
Dass Stellings Roman mehr ist als eine Milieustudie des gentrifizierten Berlin, zeigt die Uraufführung ebenso überzeugend wie vergnüglich. Grandios legt das Ensemble die sozialen Unterschiede offen, die sich in Krabbelgruppen und Kommunen trotz aller gegenteiligen Beteuerungen gnadenlos auftun. Das flammende Plädoyer der Autorin gegen eine Gesellschaft, die Gleichheit nur vorspiegelt, kommt stark zum Tragen. Dass Stelling sich und ihre Mitmenschen dabei nicht ganz so ernst nimmt, zeigt Auf der Heyde mit dem Ensemble in mitreißenden Spielszenen, die dem politischen Diskurs auch das letzte bisschen Verbissenheit nehmen.
Die nächsten Vorstellungen: 19. bis 21. November, 2. bis 5. Januar.