Wladimir Putin will auch weiterhin die Fäden in Moskau ziehen. Foto: dpa/Alexei Nikolsky

In Russland beginnen die Gespräche zur Verfassungsreform. Wladimir Putin will sein Versprechen halten, und nicht mehr Präsident sein. Von der Macht lassen will er eher nicht.

Stuttgart - In Deutschland ist die Zustimmungsrate zum Grundgesetz beachtlich. Bei Umfragen äußern sich in der Regel neun von zehn Befragten positiv zu dem Werk, das in den sieben Jahrzehnten seines Bestehens mehr als 60 mal geändert wurde. In Russland ist die Zufriedenheit des Volkes mit der Verfassung eher weniger ausgeprägt. Gerade mal ein Drittel der Befragten lobt die 1993 in Kraft getretenen Normen. Nicht, weil schlecht ist, was dort auf dem Papier geschrieben ist, sondern weil die Realität und das sorgsam Ausformulierte oft nicht so recht zusammenpassen wollen.

Zwischen Papier und Lebenswirklichkeit

Wladimir Putin ist gerade dabei, einen Teil davon zu ändern – den niedergeschriebenen Teil. Zusammen mit ausgewählten Vertretern aus dem Volk hat der russische Präsident am Donnerstag erneut darüber beraten, was nach der neunten Änderung denn drinstehen soll in dem Text. An Vorschlägen mangelt es nicht. Die einen wollen Russland als Siegervolk bezeichnet wissen oder festschreiben, dass Russland das erste Volk im Weltall gewesen ist. Andere kämpfen dafür, dass Gott eine Erwähnung findet, was ein Novum wäre. Das alles sind viele Nebelkerzen, die ihren Zweck bislang erfüllen. Noch ist hinreichend unkonkret, welche Neuerungen von Relevanz die neue russische Verfassung zu bieten haben wird.

Hauptgrund für den Aktionismus ist ein Versprechen. Wladimir Putin hatte dem Volk dereinst gelobt, die Verfassung in einem entscheidenden Punkt nicht zu ändern. Mehr als zwei Amtszeiten soll ein Staatspräsident künftig nicht regieren dürfen. Putins Präsidentschaft geht damit 2024 unwiderruflich zu Ende, und es scheint, als wolle der Präsident sein Wort nicht brechen. Ein Leben in der Datscha schwebt dem dann 71-Jährigen aber auch nicht vor, weswegen es nun gilt, einen Weg zu finden, bei dem Putin die Zügel in der Hand behält, den Titel des Präsidenten aber abgibt. Nach den ersten beiden, damals nur je vierjährigen Amtszeiten im Kreml hatte Putin zwischen 2008 und 2012 auf den Sessel des Premierministers gewechselt, um dann, für zweimal je sechs Jahre, wieder Präsident zu sein. Dieses Mal wird die Operation komplizierter.

Ein Gremium mit einem großen Namen

In den Mittelpunkt rückt ein Gremium, das einen großen Namen trägt, welcher der tatsächlichen Machtfülle aber nicht gerecht wird. Vor zwanzig Jahren hat Wladimir Putin den Staatsrat wiederbelebt. Bis zur Revolution 1917 war dies die obere Kammer des Parlaments, in der neuen Version durften hier Gouverneure der Regionen beraten, ohne viel zu entscheiden. Viel deutet darauf hin, dass sich die Befugnisse des Gremiums bis 2024 deutlich wandeln könnten – um dann, mit einem Staatsratsvorsitzenden Wladimir Putin, noch größer zu werden.

Das Modell ist nicht ohne Vorbild. Im eng verbündeten Nachbarland Kasachstan hatte Nursultan Nasarbajew im vergangenen Jahr nach 29 Jahren an der Macht die Präsidentschaft an einen treuen Gefolgsmann übergeben. Er selbst blieb an der Spitze des Sicherheitsrats und weiterer Gremien – geschmückt mit dem Titel „Führer der Nation“ und ohne die lästige Pflicht, sich in Wahlen bestätigen lassen zu müssen. Die Idee, auch Wladimir Putin künftig mit einem ähnlichen Titel zu bedenken, ist in Russland ebenfalls schon öffentlich geäußert geworden.