Nach einem Roman von Maria Semple erzählt der Regisseur Richard Linklater in seiner neuen Dramödie „Bernadette“ die Geschichte einer Frau, die viel zu wenig aus ihrem Leben macht – bis sie nach allerlei Pannen am Ende der Welt zu ihrem wahren Ich zurückzufinden versucht
EsslingenWenn ein Mensch verschwindet, hinterlässt das viele Fragezeichen. Man versucht sich zu erinnern, ob es irgendwelche Signale gab, die man besser ernst genommen hätte. Vielleicht macht man sich Vorwürfe, nicht alles getan zu haben, um den Verschwundenen zu halten. Und vor allem versucht man, Spuren zu finden, die zu ihm führen könnten. In Maria Semples Buch „Wo steckst du, Bernadette?“ sind es Zeitungsartikel, E-Mails und Notizen, aus denen die Autorin die Geschichte eines Verschwindens rekonstruiert. Doch was sich im Buch flott liest, lässt sich nicht ganz so einfach auf die Leinwand bringen. Der preisgekrönte Autor und Regisseur Richard Linklater hat sich dennoch an Maria Semples Buch gewagt. Und weil die literarische Vorlage Potenzial birgt und weil der Filmemacher einer der Besten ist, gehört Linklaters „Bernadette“ zu den unterhaltsamsten und charmantesten Dramödien dieses Jahres.
Vor vielen Jahren galt Bernadette Fox (Cate Blanchett) als talentierte Architektinnen, doch dann hat sie sich entschlossen, sich ganz ihrer Familie zu widmen und die Karriere Karriere sein zu lassen. Mit ihrem Ehemann Elgie (Billy Crudup), der längst erfolgreicher Manager in einem Softwarekonzern geworden ist, und ihrer 15-jährigen Tochter Bee (Emma Nelson) lebt sie inzwischen in einer etwas heruntergekommenen und viel zu großen Villa in Seattle. Bernadette ist chaotisch, exzentrisch und sensibel. Und sie hat ihre Lebensfreude und Kreativität verloren. Und wenn sie die anderen Mütter in der Nachbarschaft betrachtet, die ihren Alltag scheinbar nach Belieben wuppen, während sie die Hilfe einer virtuellen Assistentin aus dem Internet braucht, um selbst die kleinsten Kleinigkeiten zu meistern, könnte sie jeden Tag aufs Neue an sich und an ihrem Schicksal verzweifeln.
Als ihre penible Nachbarin Audrey (Kristen Wiig) ultimativ verlangt, dass die wuchernden Brombeerbüsche an der Grundstücksgrenze endlich entfernt werden, nimmt die Geschichte ihren Lauf und eine Katastrophe jagt fortan die nächste. Und Bernadette spürt, dass es höchste Zeit wird, ihrem Leben endlich wieder einen Sinn zu geben, der über Kind, Küche und Ehemann hinaus reicht. Kurzentschlossen macht sie sich davon, um fern ihrer viel zu engen kleinen Welt den Kopf wieder freizukriegen und sich daran zu erinnern, was ihr Leben wirklich ausmacht. Elgie und Bee sind zunächst ratlos, doch auf der Suche nach Gründen für Bernadettes Verschwinden fügt sich ein Puzzleteilchen zum nächsten, und als sie ihre Spur aufnehmen, finden sie sich plötzlich in der Antarktis wieder...
Richard Linklater sieht in Maria Semples Roman großes Potenzial: „Bernadette ist eine faszinierende Person. Sie ist offensichtlich eine starke Frau. Besonders gefiel mir die Idee eines kreativen Geistes, der aus unerfindlichen Gründen nicht kreiert.“ Und er hat nicht nur an die Titelheldin gedacht: „Es geht um Stagnation im Leben, einen meiner schlimmsten Alpträume. Hast du jemals die Äußerung gehört, dass es nichts Schlimmeres gibt, als einen Künstler ohne Werk? Es sind viele solcher Fälle verbürgt. Das ist ein trauriger Zustand.“ Mag sein, dass die Auflösung der Geschichte etwas zu simpel und idealistisch gedacht ist. Trotzdem ist „Bernadette“ ein sehr gelungener Film, der nicht zuletzt von der Spielfreude der Hauptdarstellerin und vom wunderbaren Zusammenspiel von Cate Blanchett und der jungen Emma Nelson lebt. Wenn Bernadette die kleine, nur scheinbar heile Vorstadt-Welt um sich herum mit wachsendem Unbehagen betrachtet und mit entwaffnendem Sarkasmus kommentiert, muss man sie einfach lieben – diese wunderbare Figur, die so wenig aus sich macht, obwohl so vieles in ihr steckt.
Nach einem Roman von Maria Semple erzählt der Regisseur Richard Linklater in seiner neuen Dramödie „Bernadette“ die Geschichte einer Frau, die viel zu wenig aus ihrem Leben macht – bis sie nach allerlei Pannen am Ende der Welt zu ihrem wahren Ich zurückzufinden versucht.