Wegen Lehrermangels kann selbst nicht mehr der Pflichtunterricht abgedeckt werden. Besonders betroffen sind Grundschulen und Sonderpädagogik.
Schulleiter schlagen schon seit längerer Zeit wegen Lehrermangels Alarm. Nun meldet das Kultusministerium Baden-Württemberg eine ganz leichte Verbesserung. „Die Zahl der offenen Stellen für alle Schularten konnte deutlich reduziert und mehr als halbiert werden, von 890 offenen Stellen zum Schuljahresbeginn 2022/23 auf zuletzt 420 offene Stellen zum 30. September 2022“, heißt es nach einer Anfrage beim Ministerium für Kultus, Jugend und Sport. In der Praxis ist das allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Zwei Klassen können nicht versorgt werden
Jörg Fröscher, Rektor der Theodor-Heuglin-Gemeinschaftsschule in Ditzingen mit 730 Schülerinnen und Schülern, hat pro Woche 1160 Pflichtstunden, um die Schüler „normal mit Unterricht zu versorgen“. Allerdings kann er davon 60 momentan wegen Personalmangels nicht abdecken. „Zwei Klassen können nicht versorgt werden, allerdings wenden wir einige Tricks an, indem wir beispielsweise die Gruppen größer machen oder Teilzeitkräfte ihr Deputat erhöhen, damit der Unterricht nicht ausfallen muss“, sagt Fröscher. „Ich thematisiere das Problem stets in allen Gremien, beim Kultusministerium ist es auch bekannt.“ Dort habe man bereits die Studienplätze aufgestockt. „Die Ausbildung dauert 6,5 Jahre, bis die Studenten fertig sind, werden noch einige Jahre ins Land ziehen“, sagt Fröscher.
Der Beruf ist belastender geworden
Laut Informationen des Kultusministeriums wirkt sich der Lehrkräftemangel regional unterschiedlich aus. Es sei längst nicht mehr der ländliche Raum alleine, auch Regionen wie der Großraum Stuttgart seien bei Bewerberinnen und Bewerbern nicht ausreichend nachgefragt. Besonders betroffen seien die Lehrämter Grundschule und Sonderpädagogik sowie in Teilen auch die Sekundarstufe I.
„Unser Beruf ist insgesamt schwieriger und belastender geworden“, sagt Jörg Fröscher. Das Land arbeite zwar an Lösungen, werbe Quereinsteiger, Hilfskräfte oder pädagogische Assistenten ohne reguläre Lehrerausbildung an. „Doch immer mehr Menschen angeln im gleichen Teich, und die Konkurrenz mit Betrieben, die mittlerweile flexible Arbeitszeiten anbieten können, ist groß.“ Fröscher wünscht sich vor allem, „dass den Schulen die Bürokratie vom Hals gehalten wird“. Kürzlich habe er eine Mutter aus der Ukraine, die Grundschullehrerin ist, ermutigt, sich für die Ditzinger Schule zu bewerben. „Es hat vier Monate gedauert, bis sie einen Vertrag bekommen hat, Betriebe in der freien Wirtschaft machen das innerhalb einer Woche.“
Mittlerweile sei der Lehrermangel auch in den Gymnasien angekommen, sagt Jürgen Schwarz, Schulleiter des Rutesheimer Gymnasiums. „Wir müssen längst schauen, dass wir Vertretungen bekommen, und wenn Lehrer durch Schwangerschaft oder Krankheit ausfallen, wird es eine noch größere Herausforderung.“ Im Rutesheimer Gymnasium sind derzeit vier Kräfte mit fachlichem Wissen beschäftigt, die allerdings kein Referendariat absolviert haben. „Wir sind froh, dass wir sie haben, und setzen uns dafür ein, dass sie mit Fortbildungen gestärkt werden“, sagt Jürgen Schwarz. Positiv sei, „dass in dieser Situation der Wert der Lehrkräfte und ihres Tuns wieder erkannt werden“. Denn Lehrer zu sein hieße heutzutage nicht mehr nur, vor der Klasse zu stehen und Inhalte zu vermitteln. „Inhaltlich ist das viel anspruchsvoller geworden, denn Lehrer müssen auch Verwalter, Organisatoren und Sozialarbeiter sein.“
Auch Vorbereitungsklassen haben die Kapazitätsgrenze erreicht
Nicht ganz so dramatisch will Rektor Andreas Bogner die Situation an seiner Realschule in Weil der Stadt beschreiben. „Den Regelunterricht können wir gut abdecken, unter anderem mit zwei pensionierten Kräften, die mit einem Zeitvertrag arbeiten.“ Er versuche, die Situation anzunehmen und positiv zu denken. Doch wenn aktuell jemand wegbreche, würde es sehr eng werden. „Alle Schulen sind, was das Personal betrifft, auf Kante genäht, da darf nicht viel passieren“, so Bogner.
Von der Gemeinschaftsschule und der Werkrealschule in der Nachbarschaft weiß er, dass auch die Vorbereitungsklassen die Kapazitätsgrenze erreicht haben. Diese Klassen bieten zugewanderten Kindern und Jugendlichen mit nicht deutscher Herkunftssprache und geringen Deutschkenntnissen einen geschützten Raum. Hier können sie sich auf die neue Sprache einlassen und sich mit den schulischen Anforderungen vertraut machen.