Man kann auch im Februar im Sandkasten spielen: In Reichenbach startet die dritte Kindergartengruppe im Freien.
Die „Wurzelkinder“ haben Zuwachs bekommen, und das mitten im Winter: Anfang Januar hat die zweite Gruppe des Reichenbacher Naturkindergartens, direkt neben der ersten, eröffnet. Die Erzieherinnen und die ersten Kinder schreckt die momentane Kälte nicht, sie haben sich zwischen dem neuen Wagen, den anderen Kindern und den Hühnern und Schafen schnell eingefunden.
Der Holzwagen ist ungleich günstiger als ein festes Gebäude
Rund elf Monate Lieferzeit hat es gedauert, bis der hübsche Holzwagen mit Bogendach und Bullerbü-Charme in Reichenbach ankam. Und die Gemeinde habe noch Glück gehabt, sowohl bei der Lieferzeit als auch beim Preis, sagt Hauptamtsleiter Siegfried Häußermann. Am Ende kostete es einige Nerven, das Gefährt auf der Wiese unterhalb vom Schafhaus aufzustellen, denn da war ein ordentlicher Höhenversatz zu überwinden, was bei elf Metern Länge eine Kunst für sich ist. Aber jetzt steht der neue Wagen auf dem gemeinsamen Gelände der beiden Gruppen „Pilze“ und „Käfer“. Er hat einen kleinen Vorraum mit Fächern für die Kinder, Einbauschränke und eine Vesperecke. Außerdem hat er Stromanschluss, was das Heizen deutlich unkomplizierter macht als beim älteren Modell, das mit Gasflaschen bestückt werden muss. 77 000 Euro hat die neue fahrbare Unterkunft gekostet, mit sämtlichen Nebenkosten nähert man sich 100 000 Euro. Gegenüber den Kosten für ein festes Gebäude ist das harmlos. Da müsse man „mindestens eine Million Euro rechnen“, sagt Bürgermeister Bernhard Richter, und zwar pro Gruppe – also gut das Zehnfache.
Der Betrieb einer Naturkindi-Gruppe ist dagegen etwas teurer. Es sind maximal 20 Kinder in einer Gruppe, der Personalschlüssel ist höher als in einer konventionellen Einrichtung. Klar ist ohnehin, dass sich dieses Modell nicht für alle Familien eignet: Geöffnet ist bis 13.15 Uhr, ein warmes Mittagessen ist nicht möglich und das Mindestalter der Kinder liegt bei drei Jahren. Doch wenn diese Rahmenbedingungen passen, machen die Kinder wertvolle Erfahrungen. Sie würden draußen in der Natur ebenso gefördert wie in anderen Einrichtungen, sagt Margit Schmid, die Leiterin des Naturkindergartens. Studien zufolge sei die Sozialkompetenz bei Naturkindi-Kindern sogar überdurchschnittlich ausgeprägt. In Reichenbach gilt das in besonderem Maße, weil sich durch das benachbarte „Ziegenstückle“ und die Mitarbeit von dessen Eigentümerin ein einzigartiges, tierpädagogisches Konzept ergeben hat. Die Kinder versorgen Schafe, Ziegen und Hasen mit, die Hühner spazieren ohnehin frei auf der Wiese herum. Die Plätze bei den „Wurzelkindern“ sind nachgefragt, Sabine Weidenbacher-Richter, die bei der Gemeinde für Kinderbetreuung zuständig ist, hat keine Bedenken, sie nicht vollzubekommen. Die neue Gruppe beginnt trotzdem zunächst klein und wird peu à peu aufgefüllt. Was fast noch wichtiger ist: Das Modell ist auch bei Erzieherinnen beliebt. Personal für die Gruppen im Freien zu finden, sei „überhaupt kein Problem“, sagt Weidenbacher-Richter: „Wir haben hier auch sehr konstante Teams mit wenig Wechsel.“
Fachkräftemangel ist hier kein Thema
Unterm Strich löst der Naturkindi also durchaus ein paar gewichtige Probleme. Dass er zudem an einem herrlichen Südhang mit Aussicht, inmitten der Streuobstwiesen, gelegen ist, mag eine Nebensache sein – aber eine ausnehmend schöne.
Vorreiter im Land
Schon seit fast 30 Jahren
Den ersten Schritt zum „Kindergarten ohne Wände“ machte Reichenbach mit dem Waldkindergarten, der 1996 eröffnete. Es war der erste kommunale Waldkindi in Baden-Württemberg. Die anderen, bereits bestehenden, gründeten auf Elterninitiativen. Den Waldkindergarten gibt es nach wie vor, 300 Meter oberhalb des Schafhauses direkt am Waldrand.
Tierpädagogik
Der Naturkindergarten „Wurzelkinder“ ist im Herbst 2020 gestartet und kooperiert eng mit dem benachbarten „Ziegenstückle“. Seit Anfang Januar 2025 wird seine zweite Gruppe aufgebaut.