Jeans und T-Shirt sind weltweit Standard. Traditionelle Trachten haben dagegen nicht nur die Herkunft, sondern noch einiges mehr über ihren Träger oder ihre Trägerin verraten. Gestern trugen gut 60 Gruppen ihre lokale Traditionsbekleidung mit Stolz und Haltung durch Reichenbach. Veranstaltet wurde der große Umzug vom Heimat- und Volkstrachtenverein Filstaler, der das ganze Wochenende sein 60-jähriges Bestehen feierte.
Auf die zwei Böllerschüsse zum Start folgte ein wahres Getöse, verursacht von den Einschellern aus dem schweizerischen March an der Spitze des Zuges. Auch aus Belgien und Ungarn war jeweils eine Gruppe vertreten, die anderen kamen aus Württemberg, Baden und Bayern. Bayrische „Gastarbeiter“ hatten in Reichenbach vor Jahrzehnten das Interesse an der Tracht und den Volkstänzen geweckt. Das führte schließlich zur Gründung der „Filstaler“. Ihre erste Vereinstracht, die Miesbacher Gebirgstracht, wird heute von einer schwäbischen Tracht ergänzt, aber noch immer von etlichen Mitgliedern getragen. Joséphine Will und Carolin Ruber ließen sich unter den Rock schauen, auf Strumpfhose und Tanzhose mit hübscher Borte - sie werden sichtbar, wenn es beim flotten Drehen den Rock lupft. Die kurzen Ärmel ihrer Tracht führten die beiden auf den bäuerlichen Ursprung zurück: „Wenn man die Seidenschürze durch Baumwolle ersetzt, dann sind die Leute wirklich so aufs Feld gegangen und haben gearbeitet.“
Da mussten die Burlafinger in ihrer langärmligen städtischen Tracht im Barockstil mehr schwitzen. Auf den Umhang, „Teppich“ genannt, oder den wollenen Kirchenmantel der Männer verzichteten sie gestern. Auffallend waren die bunt bestickten Hosenträger und die bunten Halstücher. „Alles, was viele Farben hat, ist katholisch“, merkten die bayrischen Schwaben dazu an.
Rund 300 Trachtenträger aus Vereinen, die zum Altbayrisch-schwäbischen Gauverband gehören, waren beim Umzug vertreten. Das sei durchaus ein Novum, sagte die Vorsitzende Marianne Hinterbrandner. Zwar pflege man schon lange Beziehungen zum Südwestdeutschen Gauverband, aber „in der Form gab’s das noch nie“.
Während bei den Bayern klar die dunklen Lederhosen dominierten, trugen die Männer im Neckarraum und im Umland meist beige Beinkleider, rote Westen mit Kugelknöpfen und einen Dreispitz auf dem Kopf. Lokale Unterschiede lagen eher im Detail, an dem Kenner weitere Informationen ablesen können. Zum Beispiel den Familienstand: So stand die weiße Haube bei Frauen für „ledig“ und wurde mit der Heirat durch eine schwarze ersetzt, erklärte Ute Simpfendörfer, Betreuerin bei der Trachtenjugend Baden-Württemberg, die ab Freitag in Reichenbach campierte. Die Jugend habe nicht mehr oder weniger Nachwuchsprobleme als andere Vereine, sagte sie. Von der Mode, auf dem Volksfest Dirndl und Lederhosen zu tragen, profitiere man allerdings nicht, im Gegenteil: „Das ist reine Gaudi, während es bei uns um die Traditionspflege geht“. So oder so wäre eine anständige Frau früher nicht ohne Kopfbedeckung auf die Straße gegangen - geschweige denn aufs Volksfest.
Eindrucksvolle Hüte und Hauben zogen durch den Ort, mit großen, schweren Körben zum Balancieren, mit Blumenkränzen oder mit Unmengen bunter, glitzernder Glasperlen wie bei der Kiebinger Schappel. Je größer der Kopfschmuck, desto reicher die Trägerin, galt in dem Vorort des katholischen Rottenburg. Bei den Königsbronner Männern weisen die Taler an der Silberkette vor dem Bauch auf sportliches Talent hin: Sie seien beim Preisplatteln gewonnen, verrieten sie. Getanzt wurde auch in Reichenbach, beim Brauchtumsabend am Samstag und beim offenen Tanzen gestern im Festzelt.