Die Kriegserlebnisse seines Großvaters haben den Regisseur Sam Mendes zu einem aufrüttelnden Kriegsdrama inspiriert. „1917“ könnte dem Oscar-Preisträger weitere Oscars einbringen.
EsslingenNach den Bond-Abenteuern „Skyfall“ und „Spectre“ hat der Regisseur Sam Mendes nun den wohl persönlichsten Film seiner Laufbahn gedreht. Als Junge lauschte der Brite den Kriegserzählungen seines Großvaters, der in den Schützengräben das Grauen des Ersten Weltkriegs erlebt hatte. In seinem neuen Film „1917“ folgt Mendes zwei jungen Soldaten bei einer gefährlichen Mission an einem Tag im Frühling 1917: Zu Fuß sollen sie entlang der deutschen Front das Feindgebiet durchqueren, um einer britischen Division eine lebensrettende Botschaft zu überbringen. Gelingt das nicht, würden 1600 Soldaten in einen Hinterhalt laufen. Die Todesangst bei diesem fast unmöglichen Unterfangen ist den Soldaten Blake und Schofield ins Gesicht geschrieben. Ihr Weg führt durch verkohlte Kriegslandschaften, über Stacheldrahtverhaue, an aufgedunsenen Leichen vorbei, auf allen Vieren durch den blutigen Schlamm von Schützengräben. Zwei Stunden lang zerren ihre Erlebnisse an den Nerven des Publikums. Mendes liefert einen aufreibenden Antikriegsfilm. Das würdigten die Juroren bei der Golden-Globe-Verleihung, wo „1917“ als bestes Filmdrama und Mendes für die beste Regie ausgezeichnet wurden.
„Diesen Preis widme ich meinem Großvater, der diesen Film inspiriert hat“, sagte der Regisseur in seiner Dankesrede für den Gewinn des Regie-Globes. Alfred Hubert Mendes war mit 17 Jahren in den Krieg gezogen. „Und ich hoffe inbrünstig, dass so etwas nie wieder passiert“, mahnt Mendes, der beklagte, es sei schwierig, Filme ohne große Stars in den Hauptrollen zu machen und damit Leute ins Kino zu locken. Hilfreich dürfte dabei sein, dass „1917“ für zehn Oscars nominiert wurde, darunter in der Top-Sparte für den besten Film. Für bekanntere Schauspieler wie Colin Firth und Benedict Cumberbatch gibt es diesmal nur winzige Nebenrollen. Vielmehr verlässt sich Mendes ganz auf die britischen Newcomer George MacKay als Lance Corporal Schofield und Dean-Charles Chapman als Lance Corporal Blake, die beide eine Oscar-reife Leistung zeigen. Ihre Figuren sind mutig, aber keine Helden. Sie stellen sich der Aufgabe, aber zweifeln an sich und an dem Sinn des Krieges. Es gibt nur wenige Schlachtszenen, vielmehr zehrt der andauernde Überlebenskampf an den Nerven.
Genau 20 Jahre nach seinem Oscar-Gewinn für das Filmdrama „American Beauty“ macht Sam Mendes nun mit diesem packenden Kriegsfilm in Hollywood Furore. Mit einer kühnen filmischen Vision zieht er die Zuschauer mitten ins Geschehen hinein: Der Film vermittelt die Geschichte im Stil einer One-Shot-Aufnahme – so, als wäre alles am Stück und ohne Schnitte gedreht. Die Kamera folgt den beiden Soldaten auf Schritt und Tritt – auf den Zuschauer wirkt das, als wäre man ständig an ihrer Seite. Mal läuft man rückwärts durch enge Schützengräben mit, mal schaut man über ihre Schulter in die ausgebrannte, weite Landschaft. Tatsächlich gibt es nur wenige Schnitte, und die sind kaum zu erkennen. Die Meisterleistung an der Kamera hat Roger Deakins vollbracht. Viele Einstellungen in „1917“ sind teils fast neun Minuten lang, dazu mussten die Szenen vorab perfekt geprobt werden. Unvergesslich ist eine nächtliche Sequenz, in der Schofield in den rotleuchtenden Ruinen eines brennenden französischen Dorfes um sein Leben rennt. Oder sein verzweifelter Sprint am Rande eines Schützengrabens, aus dem gegnerische Soldaten zum Angriff herausstürmen und den Querläufer fast zu Fall bringen.
Sam Mendes rüttelt mit dem Weltkriegsdrama „1917“ auf. Der britische Regisseur setzt auf neue Gesichter und eine revolutionäre Drehtechnik. Golden Globes gab es für das Werk schon, nun ist der Film auch für zehn Oscars nominiert.