Polizist im Streifendienst: Rechtsextreme Gruppe in NRW hat das Vertrauen in die Polizei erschüttert. Foto: dpa/Oliver Berg

30 Polizeibeamte in Nordrhein-Westfalen stehen im Verdacht, in einer Chatgruppe rechtsextremistische Nachrichten und Fotos ausgetauscht zu haben. In Baden-Württemberg sehen Politiker die Polizei gut gewappnet für solche Entwicklungen.

Stuttgart - Ins baden-württembergische Parlament schlurfte Timo H. mit gesenktem Kopf: schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Brille, ein Bärtchen. Er setzte sich dorthin, wo normalerweise die Parlamentarier ihre Reden halten: Im Rücken überdimensional golden glänzend drei Löwen – das Wappen Baden-Württembergs, Sinnbild für das Land, dem zu dienen Timo H. geschworen hat.

Doch das was er in seiner Freizeit trieb, ließ sich nicht mit den demokratischen Grundsätzen des Landes vereinbaren. Da ersetzte er – wie auch sein Kollege Jörg W. – die Dienstmütze nämlich durch die weiße Kapuze des Ku-Klux-Klans (KKK). Aufnahmeritual inklusive: antisemitische Abhandlung über das Judentum, Versicherung, keine jüdischen Vorfahren zu haben, rassistische Sprüche und ein Daumenabdruck mit eigenem Blut auf einem Fetzen Papier, zur Treueurkunde hochstilisiert.

Die christlichen Erbauungsreden des KKK-Chefs Achim Schmid, einem Spitzel des Verfassungsschutzes, will W. den Abgeordneten Glauben machen, hätten ihn in die Gemeinschaft der Kapuzenmänner gezogen. H. wollte „Frauen kennenlernen“. „Ja glauben Sie allen Ernstes, beim Ku-Klux-Klan kann man Frauen kennenlernen“, fragte Wolfgang Drexler (SPD) verwundert nach.

„Wer sich schuldig macht, muss die Uniform ausziehen“

Drexler war der Vorsitzende des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der Bezüge der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nach Baden-Württemberg untersuchte. Und Timo H. war Gruppenführer der im April 2007 in Heilbronn von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe erschossenen Polizistin Michele Kiesewetter. H. und W. gehörten 2002 zu den Mitgliedern des KKK, hatten diesen aber schnell wieder verlassen. Bis zur Enttarnung des NSU 2011 war dies den Ermittlern unbekannt. Einer der Polizisten wurde 2005 gerügt – bei dem anderen war der Vorfall disziplinarrechtlich verjährt.

In diesen Tagen wäre das wohl anders gelaufen. In Nordrhein-Westfalen suspendierte Innenminister Herbert Reul (CDU) nun 30 Polizisten, die in einer Chatgruppe Hitlerbilder, rechte Sprüche und eine Fotomontage verbreiteten, die einen Flüchtling in der Gaskammer eines KZ zeigt. Reul ist außer sich über die „Schande für die Polizei NRWs“, über „übelste, widerwärtigste, neonazistische rassistische und flüchtlingsfeindliche Hetze“.

Auch in Baden-Württemberg sind Politiker unisono angewidert. „Es ist völlig inakzeptabel, wenn 30 Polizisten über Jahre in einer Chatgruppe rassistische Inhalte verbreiten“, sagt FDP-Mann Nico Weinmann. Sein Mitstreiter im damaligen NSU-Untersuchungsausschuss, Boris Weirauch (SPD), sorgt sich, dass in jüngster Zeit bundesweit rechtsextreme Vorkommnisse in Sicherheitsbehörden häufiger zu Tage treten. „Jeder dieser Fälle schädigt das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit und ist ein Schlag ins Gesicht aller Polizisten, die ihren Dienst pflichtgemäß und unter erheblichen Einsatz versehen“. Thomas Blenke, innenpolitischer Sprecher der CDU und ebenfalls im NSU-Untersuchungsausschuss, spricht von „einem schwarzen Tag für die NRW- Polizei“: „Wer sich schuldig gemacht hat, muss die Uniform ausziehen.“

Lehren aus den NSU-Untersuchungsausschüssen

Aber auch das ist das Fazit der drei Politiker: Gerade die konsequente Aufarbeitung des KKK-Falls in zwei Untersuchungsausschüssen hat Baden-Württembergs Polizei gut getan. Eine stärkere Sensibilisierung im Polizeiapparat bei der gesellschaftspolitischen Einordnung und der notwendigen straf- und disziplinarischen Ahndung rechtsextremistischer Vorkommnisse, sieht Weirauch. Weinmann sagt: „Die Polizei ist der Repräsentant des Rechtsstaates, und rechtsextreme und rassistische Handlungen sind hier inakzeptabel.“

Blenke verweist auf intakte Mechanismen innerhalb der Polizei. Im Februar wurden sieben Auszubildende der Polizeischule in Lahr suspendiert, weil sie – ähnlich wie jetzt in NRW – rechte Parolen und Bilder in einem Chat verbreiteten. Eine Fotomontage zeigt einen Mann mit Hitler-Gesicht, der auf einem Ruder-Heimtrainer sitzt: „Trainieren fürs Comeback“ steht darüber.

Aufgeflogen war die Gruppe, weil Mitschüler die Sieben meldeten, Vorgesetzte unverzüglich einschritten. Das strafrechtliche Verfahren stellte die Offenburger Staatsanwaltschaft im März ein. Von den sieben Aspiranten wurden sechs entlassen oder kündigten. Einer klagt vor dem Verwaltungsgericht Freiburg gegen seine Entlassung. Von einem „klaren, unmissverständlichen Signal, dass Rassismus in der Polizei nicht ansatzweise geduldet wird“ spricht Weinmann. Von einem „System, in dem so ein Verhalten weder von Kollegen noch von Vorgesetzten toleriert wird“ spricht Blenke.

Anonyme Hinweise ans Landeskriminalamt

Auch deshalb, sagt er, weil das Landeskriminalamt rigoros gegen Rechtsextremisten – auch in den eigenen Reihen – vorgehe. Für Präsident Ralf Michelfelder nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine moralische Verpflichtung. Auf den Internetseiten des LKAs ist seit 2012 speziell für Rechtsextremismus ein anonymes Hinweisgebersystem eingerichtet. „Hier kann jede und jeder vertrauliche Hinweise übermitteln. Das gilt selbstverständlich auch für Beschäftigte der Polizei“, sagt der Kriminale. Seitdem sind mehr als 6000 Hinweise eingegangen, viele zu Fällen außerhalb Baden-Württembergs.

Vielfach zitiert wird in diesen Tagen die im Frühjahr ausgehobene, rechtsradikale „Gruppe S.“. Unter ihnen ein rechtsextremer Verwaltungsmitarbeiter der Polizei im nordrhein-westfälischen Hamm. Ermittlungen, die ausschließlich das Südwest-LKA führte. „Bei rechten Umtrieben existiert für uns keine Akzeptanzschwelle“, sagt Michelfelder und verweist darauf, dass sich „dieser Mann und zehn weitere Personen derzeit in Untersuchungshaft befinden“. Allein in diesem Ermittlungsverfahren seien über zehn Monate hinweg bis zu 100 Ermittler des LKA eingesetzt worden, die jede Nische dieser Strukturen durchleuchtet hätten.