Der Koalitionspartner Grüne und die SPD fordern CDU-Innenminister Thomas Strobl auf, über Konsequenzen aus der Drohmail-Affäre nachzudenken. Foto: Leif Piechowski/Leif Piechowski

Die wachsende Zahl von Drohmails mit dem Absender „NSU 2.0“ lösen auch in Baden-Württemberg eine Debatte über Verbesserungen in der Polizei aus. Grüne und SPD fordern CDU-Innenminister Strobl auf, Vorkehrungen gegen den Rechtsextremismus zu treffen.

Stuttgart - Die bisher deutlich mehr als 70 rechtsextremen Drohmails mit dem Absender „NSU 2.0“ belasten die hessische Polizei schwer, weil einige Daten der Opfer von Computern in Frankfurt und Wiesbaden abgerufen wurden. Die Ermittlungen haben ungeachtet der Festnahme eines bayerischen Expolizisten noch keinen Durchbruch gebracht. Allerdings ist nun auch in Baden-Württemberg eine Debatte über strukturelle Verbesserungen in der Polizei entbrannt.

Der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamten (BDK), Sebastian Fiedler, fordert gegenüber unserer Zeitung externe Ombudsstellen sowie Whistleblower-Hotlines, damit verfassungsfeindliche Vorgänge aus dem Kollegenkreis herausdringen können. In einigen Ländern gebe es zwar Polizeibeauftragte, doch seien diese eher dazu da, Beschwerden von Bürgern aufzunehmen. „Der Polizeibeauftragte, den ich befürworten würde, wäre einer, der – wie der Wehrbeauftragte – eine Innensicht hat und auch außerhalb des Dienstwegs niedrigschwellig Hinweise von Kollegen annehmen könnte“, sagte Fiedler.

Innenministerium versichert: Es gibt einen Polizeibeauftragten

Das Stuttgarter Innenministerium wies den Vorschlag zurück: „Baden-Württemberg hat bereits einen unabhängigen Beauftragten, an den sich Polizistinnen und Polizisten wenden können“, erwiderte ein Sprecher mit Blick auf den „Bürgerbeauftragten“. Aktuell ist dies Beate Böhlen (Grüne), die sich laut Gesetz auch mit Eingaben „ohne Einhaltung des Dienstwegs“ aus der Landespolizei befassen soll.

Die SPD-Fraktion im Landtag hat derweil eine Kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt, wonach sie von Innenminister Thomas Strobl (CDU) Transparenz in der „NSU 2.0“-Affäre verlangt. So soll Strobl darstellen, wie viele Fälle von Drohschreiben im Land bekannt sind und ob daraufhin Schutzmaßnahmen eingeleitet wurden. Zudem sollen mögliche Zusammenhänge zum rechtsextremistischen Netzwerk mit dem Namen „Nordkreuz“ aufgezeigt werden.

SPD fordert Strobl auf, für Klarheit zu sorgen

Die Morddrohungen gehen bisher vornehmlich an Frauen, oft mit Migrationshintergrund, die im öffentlichen Leben stehen. Nach der Mannheimer Linken-Abgeordneten Gökay Akbulut hatte vorige Woche auch SPD-Chefin Saskia Esken mitgeteilt, eine solche Mail erhalten zu haben. „Dies sind gezielte Angriffe auf unsere parlamentarische Demokratie und die Werte unserer offenen Gesellschaft“, sagte der Rechtsextremismus-Experte der Landtags-SPD, Boris Weirauch, unserer Zeitung. „Wir werden uns das nicht gefallen lassen.“ Somit müsse der Innenminister schnell für Klarheit sorgen. „Da wir uns hier keinen Raum für Spekulationen leisten können, muss offengelegt werden: Liegen Erkenntnisse vor, dass die Absender Informationen aus nicht öffentlich zugänglichen Datenbanken in Baden-Württemberg genutzt haben könnten?“

Auch der grüne Koalitionspartner setzt nach: „In den Polizeibehörden der Länder besteht Handlungsbedarf zum Schutz vor unberechtigten Abfragen aus Polizeicomputern“, sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Uli Sckerl. Eine Abfrage bei den Innenministerien und bei den Datenschutzbeauftragten der Bundesländer und des Bundes sei zu dem Ergebnis gekommen, dass seit 2018 mehr als 400 Ordnungswidrigkeits-, Straf- oder Disziplinarverfahren wegen unberechtigter Datenabfragen durch Polizeibeamte eingeleitet wurden.

Grüne mahnen Bericht und Vorschläge von Strobl an

Unter anderem sei bekannt geworden, dass wegen veralteter Technik oft mehrere Polizisten einen Computer nutzen, ohne den Account zu wechseln. Zum Teil geschehe dies wegen langer Wartezeiten für den Nutzerwechsel. „Wir wollen einen Bericht über die Praxis in Baden-Württemberg und Vorschläge, wie die Technik verbessert werden kann – beispielsweise durch die rasche Aktivierung eines Sperrbildschirms, durch Stichprobenkontrollen oder ähnliches“, forderte der Fraktionsvize Sckerl.

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke stellt hingegen fest: „Zunächst gehen wir davon aus, dass solche Ereignisse sich in Baden-Württemberg nicht zutragen – uns liegen in dieser Hinsicht zumindest keine Erkenntnisse vor. Sollte sich dies ändern, so müsste man reagieren.“

Auf die Frage unserer Zeitung, inwieweit es in Baden-Württemberg weitere Erkenntnisse über die „NSU 2.0“-Affäre gebe, verwies der Sprecher des Innenministers lediglich auf „die federführende polizeiliche Zuständigkeit für den Komplex NSU 2.0 beim Landeskriminalamt Hessen“.