Ein Soldat des Kommandos Spezialkräfte bei der Schießausbildung: Bei drei der verhafteten, mutmaßlichen Reichsbürger werden Bezüge zum KSK hergestellt. Ausgebildet ist dort nicht einer von ihnen geworden. Foto: dpa/Marijan Murat

Drei mutmaßliche Reichsbürger sollen beim Kommando Spezialkräfte gewesen sein, heißt es. Ausgebildet wurde dort keiner von ihnen. Am Tag nach einer der größten Razzien in der deutschen Geschichte relativieren sich die Darstellungen bereits.

Um eine mutmaßliche Rechtsterrorgruppe zu zerschlagen, ließ Generalbundesanwalt Peter Frank am Mittwoch 3000 Polizisten in elf Bundesländern, in Italien und Österreich Beschuldigte verhaften und Wohnungen sowie eine Kaserne durchsuchen. Einen Tag später stellt sich die Situation so dar:

Wurden scharfe Waffen bei den Durchsuchungen gefunden?

In 50 der insgesamt mehr als 150 durchsuchten Objekte hätten Ermittler Waffen und Munition gefunden, sagt der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch. Allerdings handelt es sich vor allem um Schreckschusswaffen und Armbrüste – kaum Waffen, mit denen sich ein Umsturz verwirklichen ließe. In Baden-Württemberg durchsuchten Ermittler 37 Objekte, die zu 26 Verdächtigen gehören. Acht der insgesamt 25 Haftbefehle für mutmaßliche Reichsbürger wurden in Baden-Württemberg verhaftet.

Gehörten die verhafteten Soldaten wirklich dem Kommando Spezialkräfte an?

Einer der Soldaten, Oberstabsfeldwebel Andreas M., gehört dem Stab der Bundeswehreliteeinheit an. Seine Aufgabe dort: Er ist die Schnittstelle zum Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, spricht also mit der Bundeswehrverwaltung ab, welche Ausrüstung und Waffen das KSK angeboten bekommt beziehungsweise braucht. Er selbst hat keine Ausbildung zum Kommandosoldaten. Das gilt auch für die beiden früheren Stabsoffiziere Oberst Maximilian Eder und Oberstleutnant Rüdiger von Pescatore. Eder ist ausgebildeter Panzergrenadier, war Kommandeur des Bataillons 112 im bayrischen Regen von September 1998 bis März 2000. Danach hatte er bis zu seiner Pensionierung verschiedene Verwendungen bei der Nato, war danach von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Afghanistan eingesetzt. Als Chef des Stabes war er kurz in der Aufbauphase administrativ im KSK tätig, hat dort aber nie eine Ausbildung durchlaufen. Wie auch Pescatore, der vom Dezember 1993 bis zum April 1996 das Fallschirmjägerbataillon in Calw kommandierte. In einer Zeit, in der der Verband aufgelöst wurde und er als Kommandeur vornehmlich mit administrativen Aufgaben beschäftigt war. Vor allem damit, seine etwa 1000 Soldaten und 100 zivilen Mitarbeiter in anderen Einheiten der Bundeswehr unterzubringen. Mit dem KSK selbst hatte Pescatore nichts zu tun. Wie alle anderen Verbände der Bundeswehr gab er ihm unterstehende Offiziere und Unteroffiziere zum Aufbau des KSK ab, das im September 1996 in Dienst gestellt wurde. Bei zwei anderen Verhafteten muss ihr früherer Bundeswehrhintergrund noch genau überprüft werden.

Warum drang das baden-württembergische SEK zunächst in eine falsche Wohnung ein?

Bei der Durchsuchung in einem Mehrfamilienhaus in Pfinztal-Wörschbach drangen Elitepolizisten des Spezialeinsatzkommandos zunächst in die Wohnung einer achtköpfigen, syrischen Flüchtlingsfamilie ein. Als die Beamten den Fehler bemerkten, drangen sie sofort in die gegenüberliegende Wohnung des Beschuldigten im Erdgeschoss ein. Die Explosionsspuren im Flur legen nahe, dass die Eingangstür sich durch die Druckwelle der Sprengung bereits geöffnet hatte. Nach Recherchen unserer Zeitung soll das Versehen auf fehlerhafte und missverständliche Unterlagen des Bundeskriminalamtes zurückgehen. Die Operation war unter strengen Geheimhaltungsbedingungen für die beteiligten Polizisten geplant worden, sodass diese nicht alle Standards zur Aufklärung ihrer Einsatzziele abarbeiten konnten. Im Gegensatz dazu steht der Generalbundesanwalt in der Kritik, dass er ausgewählte Medien schon vor zwei Wochen detailliert über die bevorstehende Operation und Ermittlungsergebnisse informierte. Der GBA, so der Vorwurf, habe die Razzia für eine PR-Veranstaltung genutzt und das Leben der eingesetzten Polizisten gefährdet.

Welche Konsequenzen fordert der Verfassungsschutz?

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz fordert obligatorische Sicherheitschecks für Polizei und Bundeswehr bei der Einstellung einzuführen. Insgesamt aber wertet der Inlandsgeheime die Soldaten und Polizisten bei dieser mutmaßlichen Reichsbürgergruppe als Einzelfälle: „Aber auf jeden Fall gilt weiterhin, die große überwältigende Masse der Beschäftigten in Sicherheitsbehörden steht wirklich mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Grundgesetzes“, sagte Haldenwang in den „Tagesthemen“ der ARD.

Was haben die aktuellen Razzien mit dem derzeit größten Terrorismus-Verfahren in Deutschland zu tun?

Vor fast drei Jahren begründete Generalbundesanwalt im Februar 2020 fast wortgleich die Durchsuchungen, Festnahmen und Verhaftungen von zwölf Männern der mutmaßlichen Rechtsterrorgruppe S. mit denselben Tatvorwürfen: Waffenbeschaffung, Parlament stürmen, Bürgerkrieg auslösen, Regierung stürzen. Nur: Seit 108. Verhandlungstagen suchen die fünf Richter des 5. Strafsenats am Stuttgarter Oberlandesgericht und 24 Verteidiger Licht in die schlampigen Ermittlungen des GBA zu bringen. Die basieren vor allem auf den teilweise frei erfundenen Aussagen eines Polizeiinformanten. Das Landeskriminalamt wie die Bundesanwaltschaft kommen wegen ihrer Ermittlungen und dem distanzlosen Umgang mit dem Spitzel zunehmend unter Druck. Erst vergangenen Monat räumte eine Oberstaatsanwältin des GBA in einer Befragung als Zeugin in dem Verfahren ein, sie habe bei der Vorführung der Festgenommenen vor dem Haftrichter des Bundesgerichtshofes im Chaos der Razzien vergessen, den Beschuldigten Pflichtverteidiger beizuordnen. Für viele Verteidiger im Gruppe-S.-Prozess war ihr Verfahren die Blaupause für die aktuellen Vorgänge.