Der Dreh zum Musikvideo „Far Away“ hat gerade einmal fünf Stunden gedauert. Foto:  

Der Primal-Fear-Sänger Ralf Scheepers, Metal-Ikone aus dem Kreis Esslingen, erzählt vom Wandel der Musikindustrie und wie Bands heute arbeiten.

Bei uns lief im Fernseher rund um die Uhr MTV, erzählt Sänger Ralf Scheepers, wenn er an die 80er Jahre denkt. Vergangenheit: Musiksender wie MTV oder Viva, die einst die Trends für Generationen gesetzt haben, glitten über die Jahre in die Belanglosigkeit ab. Internetplattformen wie Youtube übernahmen deren Stelle. Während MTV gefühlt nur noch Dokusoaps zeigte, konnte man im Internet plötzlich Musikvideos umsonst anschauen – wann man will, so oft man will. Einer der wichtigsten Preise für Musikvideos, der Europe Musik Award – kurz EMA – , wird ab diesem Jahr nicht mehr verliehen. Laut Tagesschau erreichte MTV im vorigen Jahr gerade einmal 0,1 Prozent der Marktanteile in Deutschland.

Scheepers kennt das Musikbusiness: Bereits Ende der 80er Jahre habe der heute 60-Jährige, der in Baltmannsweiler wohnt, sein erstes Video mit der international erfolgreichen Heavy-Metal-Band Gamma Ray gedreht. Seit Ende der 90er Jahre ist er der Frontmann von Primal Fear, die er mitgegründet hat. Eine Metal-Band, die ihren Ursprung im Kreis Esslingen hat und die seit Jahren auf den größten Bühnen der Welt unterwegs ist wie etwa Wacken. Vom Sound her wird sie oft mit Judas Priest verglichen. Musikvideos haben sie laut dem Sänger mindestens 30 gedreht.

Youtube und Tiktok setzen die Musik-Trends

Scheepers fehlen die Glanzzeiten des Musikfernsehens „Jeder ist irgendwie nur noch für sich im Internet unterwegs. Die Formate sind alle zu sehr auf Youtube runtergebrochen“, sagt er. Er vermisse in erster Linie die professionellen Interviews und Hintergrundgeschichten, die zwischen den Ausstrahlungen der Musikclips gezeigt wurden. Heute bestimmen neben Youtube auch Plattformen wie Tiktok den Markt, wo selbst die Musikvideos keinen Platz mehr finden. Dort werden nur kurze Sequenzen abgespielt. Sekunden entscheiden, ob Musik viral geht oder nicht.

In seiner Freizeit geht Ralf Scheepers gern ins Fitnessstudio. Foto: Roberto Bulgrin

Erster MTV-Auftritt bei Headbangers Ball

Denkt er an seine Anfänge zurück, kommt ihm vor allem die MTV-Sendung Headbangers Ball in den Sinn. Ein Format für Heavy-Metal- und Hardrockfans, wo nicht nur Videos gezeigt, sondern auch die Bands in ihren Studios besucht und interviewt wurden. Dort hatte er mit Gamma Ray seinen ersten Auftritt. „Es war Klasse, sich im Fernseher zu sehen. Vanessa Warwick hat uns interviewt. Ich war wahnsinnig nervös – und das merkt man mir auch an“, erinnert sich Scheepers. „Es waren meine ersten Schritte in englischsprachigen Interviews.“ Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten „He, du bist ja jetzt ein Rockstar, wieso gehst du noch arbeiten?“, hätten seine Arbeitskollegen zu ihm damals gesagt.

Trotz mehrerer Chartplatzierungen: Von der Musik zu leben, ist schwierig

Aber ganz so einfach ist das im Musikgeschäft nicht, sagt Scheepers. Selbst jetzt, nachdem er mit Primal Fear bereits vierzehn Alben veröffentlicht hat – allein die letzten drei davon in den deutschen Charts in den Top 10 – und regelmäßigen Touren um den Globus, kann er von der Band allein nicht leben. Nebenher gebe er noch Gesangsunterricht und habe regelmäßig Auftritte bei anderen Bands wie beispielsweise dem All-Star-Projekt Avantasia. Touren seien die Haupteinnahmequelle der Band, denn „mit den CD-Verkäufen, mit denen man heute in die Top 10 kommt, die hätten früher nicht für die Top 100 gereicht“, kommentiert er die rückläufigen Albenverkäufe auf dem Musikmarkt. Laut Deutschem Musikrat wurden bundesweit im Jahr 2023 knapp 22 Millionen physische Tonträger verkauft. Vor 20 Jahren waren es noch rund 190 Millionen.

Das Geld, das er aus Gemagebühren und dergleichen als Urheber erhalten würde, „das reicht für einen Urlaub“, sagt der Sänger. Insgesamt seien es „kleine Mosaiksteinchen“, mit denen man sich das Leben finanzieren würde. „Ich habe es nie bereut“, sagt er über seinen Schritt in die Selbstständigkeit als Musiker. „Ich kann mein Leben selbst frei gestalten und bestimmen, was und wie ich arbeite.“

Musikvideos bringen kaum Geld ein

Wie hat sich das alles auf den Dreh von Musikvideos ausgewirkt? „Es ist alles schneller geworden“, sagt Scheepers. „Früher haben wir drei Tage lang ein Musikvideo gedreht, heute drehen wir zwei an einem Tag.“ Zwar seien Videos heute durch die Umstellung auf die digitale Videoproduktion einfacher und schneller zu produzieren, aber natürlich gebe es auch monetäre Gründe. Denn Videos seien schlicht Werbeausgaben, die kaum Geld einbringen würden. Das habe schon zu MTV-Zeiten gegolten und das sei auch jetzt noch so: „Die Zahlen sind allgemein kleiner geworden“, sagt er. Das gelte auch für den Vorschuss der Plattenfirma, mit dem die Videos produziert werden würden.

Primal Fear stellt sich neu auf

Derzeit arbeitet Primal Fear am 15. Studioalbum, das „Domination“ heißen wird, und sie sind vorab fleißig am Videos produzieren. In neuer Besetzung: Jüngst habe es einen unschönen Bruch innerhalb der Band gegeben. Ein Mitglied sei nach Streitigkeiten gekündigt worden und die restlichen Mitglieder außer Ralf Scheepers und Mat Sinner – bürgerlich Matthias Lasch – seien daraufhin ausgestiegen. Neu dabei sind jetzt: die Gitarristin Thalìa Bellazecca, Schlagzeuger André Hilgers sowie Gitarrist Magnus Karlsson. Das erste Video „Far Away“ wurde innerhalb von drei Wochen auf Youtube fast 600 000 mal angeschaut. Klingt nach viel, aber „die Verdienste, die durch Youtube und Spotify generiert werden, gehen größtenteils an die Plattenfirmen, nur einen kleinen Teil bekommen die Künstler.“

Social-Media-Optimierung für das neue Primal-Fear-Album

Was so ein Video kostet? Genau Zahlen will Scheepers nicht nennen, aber „grob im niedrigen fünfstelligen Bereich“. Bei der Planung wird natürlich nichts dem Zufall überlassen: „Ein Social-Media-Gremium der Plattenfirma entscheidet im Voraus, wie viele Videos von einem Album produziert werden. Die werden dann häppchenweise ausgespielt, bis letztendlich das Album erscheint und die Tour dazu startet“, erklärt Scheepers. Für dieses Album seien es ein Video, das größtenteils im Studio aufgenommen wurde, zwei klassische Musikvideos sowie ein Lyric-Video – als nur Musik mit eingeblendetem Text und KI-Grafiken. Quasi ein Musikvideo ganz ohne Band.

Eine Konstante in der Metal-Landschaft

Bandgeschichte
Gegründet wurde Primal Fear im Jahr 1997 im Kreis Esslingen. Ihr Debütalbum veröffentlichten sie ein Jahr später und eine erste Tour folgte. Ihr Power-Metal-Stil wurde oft mit Judas Priest verglichen. Ein Bild von Priest-Sänger Rob Halford zusammen mit Ralf Scheepers hängt bei letzterem über dem Schreibtisch in dessen Gesangsstudio.

Tour und neues Album
Am Freitag, 5. September, wird das neue Album „Domination“ veröffentlicht. Die Tour beginnt am selben Tag in Hamburg. Das Heimspiel in Stuttgart ist am Samstag, 20. September, im Wizemann. Karten kosten derzeit 39,95 Euro. Es ist gleichzeitig das letzte Konzert in Deutschland. Anschließend geht es noch weiter nach Polen, in die Tschechische Republik und nach Spanien. Weitere Information zur Tour und zum neuen Album gibt es online unter: www.primalfear.de