Mitarbeiter des Konzerns RWE fällen Bäume und Sträucher in Lützerath. Foto: Julia Bosch/Julia Bosch

Bei der Räumung in Lützerath für den Braunkohle-Tagebau kommt die Polizei schnell voran. Auch nachts werden Klima-Aktivisten weggetragen und abgeführt. Heftig kritisiert werden die Rodungen, bei denen wenig Abstand zu Demonstranten gehalten wird.

Das Ortsschild von Lützerath: weg. Die Zelte der Aktivisten: abgebaut. Doch am Klavier, bei dem rätselhaft bleibt, wie es auf den Container gewuchtet wurde, wird immer noch gespielt. Obwohl die offizielle Räumung von Lützerath erst am Mittwochmorgen begonnen hat, ist die Situation am Donnerstag bereits eine völlig andere. Man sieht keinen Aktivisten und keine Aktivistin mehr im Camp herumlaufen. Alle verbliebenen – vorrangig jungen – Demonstranten haben sich entweder in Baum- und Stelzenhäusern verschanzt, in den Häusern verbarrikadiert, oder sie hängen in Seilkonstruktionen über dem Gelände.

Der zur Stadt Erkelenz gehörende Weiler Lützerath in Nordrhein-Westfalen soll abgebaggert werden, damit der Konzern RWE die darunter liegende Braunkohle fördern kann. Der letzte Bewohner hat im Oktober 2022 den Ort verlassen, doch Aktivisten wollen das Areal verteidigen. Während die Polizei das Gelände räumt, hat RWE einen Zaun um den Ort errichtet, mit der Rodung von Bäumen begonnen und erste Gebäude abgerissen.

„Ich würde nicht freiwillig gehen“, sagt ein Aktivist

Leon und Freda, zwei Aktivisten Anfang 20, sind noch in Lützerath. Um mit den beiden sprechen zu können, muss man den Kopf in den Nacken legen. Sie sitzen seit mehr als 24 Stunden auf einer dreieckigen Holz-Stahl-Konstruktion im Camp, etwa drei Meter über der Erde. „2,50 Meter sind die magische Grenze, weil dann die Höhenrettung der Polizei kommen muss“, erklärt Leon. Schutz vor Regen und Wind haben die beiden kaum – nur die Körperwärme des anderen. Sie sind kein Paar, doch auf der kleinen Fläche kommt man sich automatisch näher.

Geschlafen haben sie wenig: „Durch die Scheinwerfer war es so hell, als würde man direkt in die Sonne schauen“, sagt Freda. Zudem sei es in der Nacht noch stürmischer und regnerischer gewesen als tagsüber. Und laut: Nachts habe man die Fräsen gehört, mit denen die Polizei die Aktivisten von den Halterungen, den Lock-ons, befreit habe.

Wenn die Polizei zu Leon und Freda kommt, wollen sie friedlich bleiben: „Ich würde mich tragen lassen, keinen Widerstand leisten, aber auch nicht freiwillig gehen”, meint Leon. Sie sind sich einig: Alleine würden sie nicht so lange durchhalten.

Wasserwerfer aus Baden-Württemberg stehen bereit

Dabei ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch sie abgeführt werden. In Lützerath sind mehr als 1000 Beamte im Einsatz, auch Polizeifahrzeuge und Wasserwerfer aus Baden-Württemberg stehen am Rande des Weilers. „Bisher läuft der Einsatz wirklich vernünftig“, sagt ein Polizeisprecher am Donnerstagnachmittag. Man habe auch bereits einige Baumhäuser räumen können, in manchen hätten sich jedoch Aktivisten festgeklebt. Zudem sei am Donnerstag von den Aktivisten Pyrotechnik gezündet worden, außerdem hätten sie Farbbeutel geworfen.

Während Mitarbeiter von RWE Bäume und Sträucher fällen, hängen Aktivisten nicht weit entfernt an Drahtseilen, Holzmasten, oder sie sitzen in ihren Baumhäusern. Innerhalb weniger Minuten fallen große Bäume, die Aktivisten reagieren mit Rauchbomben und Böllern. Lakshmi Thevasagayam, Sprecherin der Initiative Lützerath, steht fassungslos daneben und filmt per Handy mit. „Man weiß einfach, wie lang so ein Baum braucht, bis er so groß ist.“

Kritik an Baumrodungen mit wenig Abstand zu Aktivisten

Die Initiative kritisiert, dass die Rodungen zu nahe an Aktivisten stattfinden, und stützt sich dabei auf die Aussage eines Landschaftspflegers: „Fällarbeiten können erst, wenn die Baumhäuser aus den benachbarten Bäumen entfernt wurden, gefahrlos durchgeführt werden“, sagt Gernot Fischer. Dessen Aussage teilt die Initiative auf ihrer Instagramseite. RWE weist diese Kritik auf Anfrage unserer Zeitung zurück: Sicherheitsabstände würden von Experten eingeschätzt und von den Mitarbeitern eingehalten.

Auch dass die Polizei die Räumung in der Nacht fortgeführt hat, ist für die Aktivisten unverständlich. „Die Leute bekommen keinen Schlaf, das ist sehr gefährlich und eine Menschenrechtsverletzung“, so eine Sprecherin. Von dem „brutalen und schnellen“ Vorgehen der Polizei sei man schockiert, gebe aber nicht auf, den Einsatz weiter aufzuhalten. Trost gebe der Initiative die Unterstützung aus der ganzen Welt, heißt es.

Etliche Prominente haben sich eingeschaltet

Mehr als 200 Prominente haben einen offenen Brief unterschrieben, indem sie sich für den Erhalt von Lützerath einsetzen sowie eine Neubewertung der Verträge zwischen der Regierung und RWE fordern. Unter den Unterzeichnern sind die Schauspielerin Katja Riemann, der Schauspieler Peter Lohmeyer und die Sängerin Judith Holofernes. Samstag soll es eine große Demo geben, zu der die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg erwartet wird. Ob dann noch Aktivisten in den besetzten Häusern, Baum- oder Stelzenhäusern sind, ist angesichts des Tempos, das die Polizei an den Tag legt, fraglich.