Emanuel Buchmann gibt schon wieder alles – bisher nur im Training. Foto: dpa/David Stockman

An diesem Samstag hätte die Frankreich-Rundfahrt beginnen sollen. Wegen der Corona-Pandemie wurde der Auftakt auf 29. August verschoben. An den Ambitionen von Emanuel Buchmann ändert das nichts.

Stuttgart - Er ist einer der besten Rundfahrer der Welt. Und vielleicht doch einer zu viel. Die Gerüchte, dass Chris Froome noch vor dem Start der Tour de France am 29. August in Nizza den britischen Super-Rennstall Ineos verlassen wird, weil er den internen Kampf um die Kapitänsrolle gegen Egan Bernal und Geraint Thomas fürchtet, reißen nicht ab. In der Tat ist alles andere als unwahrscheinlich, dass sich der viermalige Tour-Champion nach einer anderen Perspektive umschaut. Und sein neuer Rennstall bei der Frankreich-Rundfahrt plötzlich ganz andere Aussichten hat. Klar bessere.

Auch Ralph Denk lebt – wie viele andere Teamchefs – den Traum, einmal in Paris zu triumphieren. Und trotzdem ist, ganz abgesehen von dessen aktuellem Fünf-Millionen-Euro-Gehalt, eine Verpflichtung von Froome kein Thema für den Boss von Bora-hansgrohe. „Es passt nicht zu unserer Philosophie, frühere Gewinner zu holen“, sagt Denk, „wir wollen selbst einen Tour-Sieger entwickeln.“ Dabei denkt er vor allem an einen seiner Profis.

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Emanuel Buchmann hat sich stetig verbessert. Jahr für Jahr, Rennen für Rennen, Tritt für Tritt. Er ist immer noch kein Mann für Etappensiege, dafür fehlt es ihm an Explosivität – am Berg und auf den letzten Metern. Er besitzt andere Qualitäten. Klettern im Hochgebirge? Konstanz über drei Wochen? Konzentration auf ein Ziel? Ein Körper, der schnell regeneriert? Ein Kopf, der fehlerfrei arbeitet? Alles, was man für eine große, lange, schwere Rundfahrt benötigt, hat Buchmann. Auch genügend Ehrgeiz. Darauf angesprochen, ob er die Tour in diesem Jahr gewinnen könne, antwortet er in einem Tonfall, der kein Fragezeichen zulässt: „Warum nicht! Alles ist möglich.“

So weit würde Denk nicht gehen. Noch nicht. Aber auch der Chef des besten deutschen Rennstalls macht seinem Top-Rundfahrer Druck: „Ziel ist es, den nächsten Schritt zu gehen. Aufs Podium in Paris.“

Im Sommer 2019 hat Buchmann eine furiose Tour bestritten. Er wurde Vierter, nur 25 Sekunden hinter dem Niederländer Steven Kruijswijk und 45 Sekunden hinter dem Briten Geraint Thomas. Allein Egan Bernal, der Sieger aus Kolumbien, war unantastbar. Seither ist viel passiert. Mitte März ging Paris-Nizza zu Ende, das letzte Rennen, danach stoppte das Coronavirus das Peloton. Nicht aber den Elan von Buchmann. Der 27-Jährige wohnt in Lochau am Bodensee, am Pfänder, dem Hausberg von Bregenz, kennt er mittlerweile jeden Zentimeter Asphalt, im Bregenzer Wald alle Schlaglöcher. Höhenluft schnupperte er zudem bei der Mount-Everest-Challenge. Im Ötztal kletterte der 60-Kilo-Mann Ende Mai auf 162 Kilometern in 7:28 Stunden 8848 Höhenmeter – schneller hat diese Herausforderung noch niemand gemeistert. „Emu hat gezeigt, dass er einer der besten Bergfahrer der Welt ist“, sagt Dan Lorang, sein Trainer, „und dass er auch in diesem Jahr für die Tour bereit sein wird.“

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Aktuell ist das Bora-Team gemeinsam im Höhentrainingslager in Sölden, auch an diesem Samstag, dem ursprünglichen Starttermin der Grand Boucle, steht eine harte Einheit an. Natürlich vermisst Buchmann die Rennen, die Herausforderung, den Kitzel, die Duelle Rad an Rad – einerseits. Doch andererseits weiß er, dass er sich keine Sorgen machen muss. „Ich bin schon sehr gut in Form, und jetzt beginnt die richtige Vorbereitung ja erst“, sagt der Bora-Kapitän, der vor dem Tour-Auftakt in Nizza nur bei der Dauphiné-Rundfahrt (12. bis 19. August) starten wird. „Mein Vorteil ist, dass ich keine Wettkämpfe brauche, um auf ein richtig gutes Niveau zu kommen. Und wenn ich auf einem richtig guten Niveau bin, dann gibt es nur wenige Fahrer, die besser sind als ich.“

Noch immer ist Buchmann kein Lautsprecher. Aber diese Worte zeigen, dass er mittlerweile selbstbewusst genug ist, um ein Team führen zu können. Erst recht eines, bei dessen Zusammenstellung er mitreden durfte. Bora hat sechs Fahrer nominiert. Ihre Vorgabe: dem Chef zur Seite stehen – auch noch im Hochgebirge. Zum Tour-Kader gehören die jungen Deutschen Maximilian Schachmann und Lennard Kämna sowie Lukas Pöstlberger, Gregor Mühlberger, Felix Großschartner (alle Österreich) und Daniel Oss (Italien). Nur Peter Sagan, der slowakische Superstar, darf auf eigene Rechnung fahren – er soll zum achten Mal das Grüne Trikot des besten Sprinters gewinnen und zudem die eine oder andere Etappe.

Ob diese Rechnung aufgeht? Ist im Fall von Sagan gut möglich. Die Aussichten von Buchmann sind dagegen nur schwer zu kalkulieren – unabhängig davon, für welche Mannschaft Chris Froome startet. Denn neben Ineos kommt auch Jumbo-Visma mit mehreren Rundfahrt-Spezialisten (Tom Dumoulin, Primoz Roglic, Steven Kruijswijk). Und auch alle anderes Stars werden diesmal dabei sein. Von Alaphilippe bis Nibali, von Uran bis Quintana, von Landa bis Pinot. Keiner hat den Giro in den Beinen, alle fokussieren sich voll auf das wichtigste Rennen des Jahres. „Diesmal gibt es viele Fahrer, die gewinnen können“, sagt Buchmann, „und nicht jeder wird die Tour auf der Position beenden, die er sich gewünscht hat.“