Odd Christian Eiking: der Mann in Rot bei der Vuelta Foto: AFP/Jorge Guerrero

Der norwegische Radprofi Odd Christian Eiking verteidigt nun schon sechs Tage lang das rote Führungstrikot bei der Vuelta. Vor vier Jahren wurde er noch aus Spanien heimgeschickt, offenbar betrunken.

Stuttgart - Menschen wachsen an ihren Aufgaben. So geht es derzeit Odd Christian Eiking, 27 Jahre, aus Norwegen, Beruf: Radprofi. Sechs Jahre lang fährt er schon Rennen in der Worldtour, der ersten Radsportliga. Gesehen hat man dabei nicht viel von ihm. Sein schönster Erfolg war bisher, einen riesengroßen Plastiklachs bei seinem Heimatrennen, dem Arctic Race of Norway, überreicht bekommen zu haben. Ein Sponsorenpräsent für die Bergwertung, die er 2019 gewann. Einen Etappensieg schoss er damals auch noch ab. In diesem Jahr wurde er Zweiter der Gesamtwertung beim Arctic Race, allerdings gegen überschaubare Konkurrenz.

Unauffällig, bin zu seinem Rauswurf

Ansonsten war er ein unauffälliger Helfer, erst für Thibaut Pinot beim französischen Rennstall FDJ, die letzten vier Jahre beim belgischen Zweitdivisionär Wanty Gobert. Bei der Vuelta 2017 machte Eiking – auf dem 48. Platz liegend – vor der Schlussetappe in Madrid auf kuriose Weise von sich reden: Wegen „unangemessenen Verhaltens“ schloss ihn sein Team FDJ aus dem Rennen aus. Zwei Bier mit einem Teamkollegen habe er in einer Bar getrunken, hatte Eiking damals im norwegischen TV erklärt. Teamchef Marc Madiot hatte eine andere Version parat. „Wenn es nur zwei Bier gewesen wären, wäre er morgens nicht betrunken gewesen“, sagte der Franzose und schickte Eiking heim.

Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Die wundersame Rückkehr des Fabio Jakobsen

Vier Jahre später dreht der bei dieser Vuelta aber mächtig auf. Sechs Tage steckt er bereits im roten Führungsleibchen. Das ist länger als erwartet. „Ich wusste selbst nicht, ob ich in der Lage dazu bin. Ich musste wirklich tief gehen, um in der Favoritengruppe zu bleiben. Es ist mir aber gelungen“, sagte er, nachdem er auch am Sonntag in El Barraco nicht aus dem Trikot zu fahren war. Er hing, wenn es steil wurde, zwar oft am Ende der Führungsgruppe. Abschütteln ließ er sich aber nicht. Und der Norweger wird auch gut geschützt von seinen Teamkollegen. „Wir hatten bisher noch keine Gelegenheit, ein Führungstrikot bei einer Grand Tour zu verteidigen. Jetzt können wir zeigen jetzt, dass wir das drauf haben“, meinte Eiking.

Große Chance für das zweitklassige Team

In der ersten Vuelta-Woche konnte die belgische Equipe schon einmal üben. Teamkollege Rein Taramäe schmückte sich zwei Tage in Rot. Der Este verlor die Führung bei einem Massensturz.

Eiking ist von solchem Pech bisher verschont geblieben. Das verdankt er auch seiner cleveren Fahrweise. Gänzlich unbekannt war er der Fachwelt nicht. In seiner Juniorenzeit holte er Top-10-Platzierungen bei Friedensfahrt und Tour of Berlin. Er wurde U-23-Meister seines Landes, bekam einen Vertrag bei Norwegens Eliteausbildungsteam Joker.

Eiking nimmt die Führungsrolle an

In diesem Jahr deutete er mit Platz 7 beim schweren Klassikerrennen in San Sebastian gewachsene Stärke und auch das Hineinwachsen in eine Führungsrolle in seinem Rennstall an. Das Rote Trikot bei der Vuelta holte er sich dank einer Massenflucht auf der zehnten Etappe. Der damalige Gesamtführende Primoz Roglic ließ die Gruppe an der ganz langen Leine und schonte seine Jumbo-Visma-Mannschaft für die nun anstehende dritte Woche.

Spätestens am Mittwoch bei der Bergetappe zu den Lagos de Covadonga will der Slowene aber die alte Ordnung wieder herstellen. Eiking schätzt realistisch ein, dass das wohl auch passieren wird. „Ich bin jetzt schon einige Tage in Rot. Ich nehme die Aufgabe auch sehr ernst und würde gern noch weitere Tage in dem Trikot verbringen. Aber gegen Leute wie Roglic, Mas oder Bernal komme ich auf Dauer nicht an. Vor allem am Lagos de Covadonga wird es schwer gegen sie“, meinte er. Ganz gibt er die Hoffnung nicht auf. Auch den Respekt der Konkurrenten hat er sich erworben. „Er ist in Rot, weil er stark ist und solide fährt“, sagt der ehemalige Tour-Sieger Egan Bernal, mit über vier Minuten Rückstand.

Das neue norwegische Sommer-Hoch

Eiking kam auf dem für Norweger typischen Weg zu Radsport. „Wie alle bei uns begann ich mit dem Skilaufen. Wer da nicht so gut ist, versucht dann etwas anderes. Bei mir war das erst Fußball und dann Radsport“, erzählte er am Ruhetag. Vielleicht ist so überhaupt der Sommersportboom der Norweger mit Olympiasiegern wie dem Mittelstreckler Jacob Ingebrigtsen oder dem 400-m-Hürden-Matador Karsten Warholm zu erklären. Eiking könnte der nächste Sommerheros aus dem hohen Norden werden.