Simone Fuchs (links) und Jessy Zühlke haben bei der Arbeit für QueerES positive, aber auch negative Erfahrungen gemacht. Foto: Roberto Bulgrin

Ein Zeichen für Vielfalt: In Esslingen findet wieder ein Queer Winter Wonderland statt. Zu diesem Anlass blicken zwei der Organisatorinnen auf das Jahr 2024 zurück. Sie sehen dabei Verbesserungen für queere Menschen – aber auch eine bedenkliche Entwicklung.

Derzeit prägt vor allem der Mittelalter- und Weihnachtsmarkt das Stadtbild. Am kommenden Wochenende ist er aber nicht das einzige winterliche Fest in Esslingen. So richtet der Verein QueerES am Samstag, 7. Dezember, im Café Poppinski ein Queer Winter Wonderland aus. Im Vorfeld sprechen zwei der Organisatorinnen, Jessy Zühlke und Simone Fuchs, über die Hintergründe der Veranstaltung, Fortschritte beim Thema Diversität und weiterhin bestehende Probleme.

Was ist der Anlass für den queeren Wintermarkt?

Zühlke: Das ist quasi unser Ergänzungsprogramm zum Weihnachtsmarkt. Uns ist es wichtig, auch im Winter Raum für queere Menschen zu schaffen. Für sie kann die Weihnachtszeit schwierig sein, wenn etwa die Herkunftsfamilie problematisch ist.

Queerer Verein in Esslingen als „Teil der Stadtgesellschaft“

Nach dem Esslinger Christopher Street Day (CSD) veranstaltet Ihr Verein nun auch das Queer Winter Wonderland zum zweiten Mal. Entstehen da gerade neue Traditionen?

Fuchs: Ja, absolut. Wir wollen nicht nur am CSD Sichtbarkeit erzeugen, sondern das ganze Jahr über queere Angebote schaffen.

Wie kommt das an?

Zühlke: Vergangenes Jahr haben uns die Leute beim Winter Wonderland die Bude eingerannt. Das ist meistens so bei unseren Veranstaltungen. Bedarf an solchen Angeboten ist auf jeden Fall da in Esslingen und im Landkreis.

Sichtbar in der Stadt: Am CSD zogen im Sommer zahlreiche Menschen durch Esslingen. Foto: Roberto/ Bulgrin

QueerES gibt es seit 2023. Was hat sich seitdem in der Vereinsarbeit verändert?

Zühlke: Die Gründungsphase war herausfordernd, da haben wir uns viele Gedanken über Strukturen und Werte gemacht. Inzwischen sind einige Sachen aber etabliert, etwa die Drag-Shows im Kulturzentrum Komma, die Partyreihe Queerphoria, ein Jugendtreff und Spieleabende. Das hat alles ein Eigenleben entwickelt, das läuft. Am Anfang haben wir teilweise viel Input gegeben und wenig herausbekommen, aber so etwas gleicht sich im Nachhinein aus.

Fuchs: Und die Sichtbarkeit hat sich auf jeden Fall vergrößert. Es gab 2024 zum Beispiel beim Schwörfest eine Darbietung und einen Regenbogenempfang im Rathaus. Das zeigt, dass wir Teil der Stadtgesellschaft sind.

Diskussion um Charta der Vielfalt im Esslinger Gemeinderat

Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Verwaltung?

Fuchs: Wir sind in einem sehr konstruktiven Austausch und erfahren viel Wohlwollen. Ich finde es zum Beispiel toll, dass der Tag der Menschenrechte am 10. Dezember in diesem Jahr einen queeren Schwerpunkt hat. Dieses Wohlwollen hat sich auch im Gemeinderat gezeigt, wo sich die Stadt trotz Widerstand für die Unterzeichnung der Charta der Vielfalt eingesetzt hat.

Wie haben Sie die Diskussion darüber wahrgenommen?

Fuchs: Ich war etwas erstaunt, dass es so knapp wurde, dass das teilweise als Symbolpolitik abgetan wurde. Ich rechne es dem Oberbürgermeister und seinem Team hoch an, dass sie da Flagge zeigen.

Fortschritte und Probleme für queere Menschen

Welche Fortschritte in Sachen Diversität gab es dieses Jahr ansonsten?

Zühlke: Auf nationaler Ebene ist sicherlich das Selbstbestimmungsgesetz ein großer Schritt. (Anmerkung der Redaktion: Die neue Regelung vereinfacht die standesamtliche Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags.) Viele Leute in unserem Verein haben das schon genutzt. Trotz allem muss man natürlich sagen: Es ist noch viel zu tun. Wir haben weiterhin Forderungen und es gibt auch in Esslingen Dinge, die nicht so gut laufen.

Zum Beispiel?

Zühlke: Hier am Poppinski hängt normalerweise ein Pride-Sticker. Der wurde schon zum zweiten Mal abgekratzt, jetzt kleben wir ihn von innen an. Wir hören auch immer wieder von Cafés und Restaurants, dass sie unsere Flyer nicht auslegen wollen.

Fuchs: Als wir vergangenes Jahr das Winter Wonderland aufgebaut haben, riefen ein paar junge Menschen, die Anfang 20 waren: „Schämt euch.“ Das hat mich erschreckt.

Zühlke: Das haben wir immer wieder, dass offene Anfeindungen stattfinden. Es ist nicht wegzudiskutieren, dass es eine Queerphobie gibt. Politisch sehen wir gerade eine Verschiebung zu rechten Ideologien. Da müssen wir schauen, dass wir keine Rückschritte machen. Es geht derzeit eher darum, das Erkämpfte zu sichern. Wir wollen Leute darauf festnageln, dass das unsere Werte sind. Das ist ganz wichtig.

Infos zum Queer Winter Wonderland

  • Wann? Samstag, 7. Dezember, von 12 bis 20 Uhr
  • Wo? „Poppinski“ in Esslingen
  • Was? Im Hinterhof des Cafés verkaufen queere Künstlerinnen und Künstler unter anderem Perlenschmuck, Drucke und Taschen.
  • Weiteres Programm: Kunstausstellung und ein Büchertisch mit queerfeministischer Literatur.
  • Um 16 Uhr Drag-Bingo.

Am Freitag, 6. Dezember, veranstaltet der Verein QueerES eine Drag-Weihnachtsshow im Kulturzentrum Komma.

Hintergrund

 

Personen
 Die 28-jährige Jessy Zühlke ist Sozialarbeiterin und absolviert in diesem Bereich derzeit einen Master an der Hochschule Esslingen. Simone Fuchs war Buchhändlerin und arbeitet ehrenamtlich bei der Esslinger Stadtbücherei. Beide sind Gründungsmitglieder von QueerES. Zühlke engagiert sich als Pressereferentin in dem Verein, die 55-jährige Fuchs ist für Veranstaltungen und Kontakte zur Stadt zuständig.