Der Angeklagte (rechts) vor Prozessbeginn am Landgericht Heidelberg Foto: dpa/Uwe Anspach

Einer Expertin zufolge planen sie in der Regel von langer Hand und erschleichen sich das Vertrauen ihrer wehrlosen Opfer: Pädokriminelle Erzieher nutzen ihre Position aus. Doch die Kitas können das Risiko für solche Taten mindern.

Heidelberg - Er soll als Erzieher besonders beliebt gewesen sein - das Vertrauen seiner Schutzbefohlenen in einem Heidelberger Kindergarten soll er schändlich missbraucht haben: Ein 24-Jähriger muss sich wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch von Kindern am Donnerstag vor dem Landgericht verantworten. Er hat laut Anklage zwischen Frühjahr 2018 und Jahresbeginn 2020 in mindestens zwei Fällen ein Mädchen während der Mittagsruhe an der Scheide gestreichelt. Zur Zeit der ersten Tat war das Kind um die drei Jahre alt. Überdies habe er ein noch jüngeres Mädchen unter dem Vorwand, er habe Gummibärchen in seiner Hose versteckt, seinen Penis berühren lassen.

Aus Sicht von Ursula Schele vom Kieler Petze-Institut für Gewaltprävention ist ein solcher Prozess eine Seltenheit: „Ein Bruchteil aller Fälle wird bekannt, davon wird nur ein geringer Anteil gemeldet und davon nur ein kleiner Teil zur Strafanzeige gebracht.“ Die größte Hürde, eine solche Tat aufzudecken sei, dass Menschen sich nicht vorstellen könnten, dass sich ihr Partner, Verwandter oder Kollege solcher Verbrechen an wehrlosen Kindern schuldig mache. Auf jeden öffentlich gewordenen Fall kämen 20 bis 25 unbemerkte Fälle.

Täter nähern sich oft spielerisch

In Heidelberg hatten die Kinder ihren Eltern von den Vorkommnissen erzählt, die darauf die Behörden informierten. Bereits am Tag nach dem Auftakt soll das Urteil der Jugendschutzkammer (Az.: 3 KLs 330 Js 17322/20 jug) fallen. Die kurze Verhandlungsdauer lässt Beobachter davon ausgehen, dass der Erzieher gestanden hat. Es gilt als wahrscheinlich, dass der Prozess zumindest teilweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.

Nach Worten Scheles sind die Täter nicht krank und handelten auch nicht im Affekt: „In der Regel sind sie keine Gewaltverbrecher, sondern Manipulateure und Betrüger, die planvoll vorgehen, das beginnt schon mit der Berufswahl.“ Sie hätten ein seismographisches Gespür für Kinder mit Defiziten an - auch körperlicher - Zuwendung. Vermeintlich normale Berührungen gingen schleichend in sexualisierte über. „Dann wird noch eine Schippe draufgelegt.“

Wie im Heidelberger Fall nähere sich der Täter oft spielerisch und mit Geschenken verbunden dem Kind an. Bei Babys würden Übergriffe in die Pflege eingebaut. Dabei seien die Täter nicht krank, sondern handelten in vollem Bewusstsein ihrer Vergehen. Typische Merkmale eines Täters seien ein fehlendes soziales Umfeld, ein schwieriges Verhältnis zu gebotener Nähe und Distanz sowie geringes Selbstbewusstsein. Schele: „Ich sage immer: Fünf Zentimeter mit Hut.“

Kinder sollen öfter gehört werden

Laut polizeilicher Kriminalstatistik sind den Ermittlungsbehörden 2019 weit über 13 000 Straftaten des sexuellen Kindesmissbrauchs bekanntgeworden. Betroffen sind zu etwa drei Viertel Mädchen und zu einem Viertel Jungen.

Nach Ansicht von Präventionsexpertin Ulli Freund wäre schon viel gewonnen, wenn Kinder ernster genommen und gehört werden. In einer Atmosphäre der Mitsprache und Beteiligung sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass Kinder es wagten, sich über Übergriffe zu beschweren. Das gelte für Erzieherinnen und Eltern gleichermaßen. Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass die Kinder den Terminus „Missbrauch“ nicht kennen. Aufhorchen müssten Eltern wie Pädagoginnen bei Bemerkungen wie: „Der ist so komisch, der drückt mich so fest.“

Erzieherinnen müssten auch aktiv abfragen, wie das Kind sich fühlt, was es schlecht und was gut findet. Gelegenheit dazu biete sich im Morgenkreis. Die Beraterin: „An der Partizipation im Kindergarten kommt niemand mehr vorbei.“

Die Kinder müssen bei Übergriffen wie in Heidelberg nach Ansicht Scheles nicht dauerhaft Schaden erleiden. „Wenn das Umfeld ruhig und besonnen reagiert, dem Kind keine Vorwürfe gemacht werden, kann eine weitere Traumatisierung vermieden werden“, sagt die Geschäftsführerin des Petze-Instituts. Sie will Männer als Erzieher nicht unter Generalverdacht stellen. Pädagogisch gesehen seien mehr Männer in dem Beruf wünschenswert.