Er habe 1985 eine Frau in Göppingen vergewaltigen und bewusstlos schlagen, aber nicht töten wollen, beteuert ein ehemaliger US-Soldat im Prozess gegen ihn. Foto: dpa/Stefan Puchner Foto:  

Ein früherer US-Soldat muss sich wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht Ulm verantworten. Der Angeklagte gesteht eine Vergewaltigung mit schwerer Körperverletzung in Göppingen im Jahr 1985 – mehr jedoch nicht.

Wie er mit zaghaften Schritten den Großen Saal des Landgerichts Ulm betritt, wie er dann dasitzt, mit Halbglatze, hängenden Schultern und schmalen Händen, wie er mit brüchiger Stimme spricht, wirkt er wie ein zerbrechlicher älterer Herr. 65 Jahre alt ist dieser Freddie S. aus dem US-Bundesstaat Mississippi, er ginge auch als 75-Jähriger durch. Er war ein ganz anderer, damals, in der Nacht des 23. Oktober 1985, erzählt der Mann, der sich wegen versuchten Mordes an einer damals 29 Jahre alten Frau in Göppingen verantworten muss. Er war Unteroffizier der US-Armee, Nahkampfspezialist, lebte mit seiner deutschen Ehefrau in einer Wohnung nahe des Göppinger Stadtbades. Zugleich sei er alkoholabhängig gewesen, habe Marihuana geraucht, mit allen begleitenden Problemen in der Ehe und dem Beruf, berichtet S. in wohlproportionierten Sätzen, die er stets so vorträgt, dass die Dolmetscherin im Gericht keine Mühe mit dem Übersetzen hat. „Yes“ sagt er auf die Eingangsfrage des Richters, ob er die Frau vor 37 Jahren im Göppinger Stadtpark überfallen und vergewaltigt hat.

Die Vergewaltigung ist bereits verjährt

Das Geständnis ist allerdings nicht von der Art, dass es den auf vier Tage terminierten Prozess abkürzen könnte. Die Vergewaltigung und Körperverletzung von 1985 ist nämlich verjährt. Einen versuchten Mord aber bestreitet der 65-Jährige beharrlich. Die Staatsanwaltschaft jedoch zieht andere Schlussfolgerungen. Nach einer mehrfachen Vergewaltigung und Faustschlägen ins Gesicht der Frau soll der Angeklagte einen dicken Ast gegriffen und in Tötungsabsicht dreimal auf den Kopf der 29-Jährigen geschlagen haben. Dann soll er sein Auto geholt haben, einen Pontiac, damit in den Park gefahren sein, den leblos scheinenden Körper auf den Rücksitz geladen, ihn knapp sieben Kilometer außerhalb der Stadt in einen Straßengraben gelegt und mit Laub und Ästen bedeckt haben. Doch die Frau hatte sich lediglich tot gestellt. Sie konnte später hervorklettern und bei einem Haus Hilfe holen.

„Was ich versucht habe, war, sie bewusstlos zu schlagen. Ich wollte sie nicht umbringen“, beschrieb der Angeklagte in der deutschen Übersetzung. Sie habe immer sichtbar geatmet und die Augen bewegt. Den Körper habe er zum Straßengraben gefahren, um die Fahndung der Polizei zu „verlangsamen“. Er habe gehofft, die Frau könne sich dann später nicht mehr an Tatort und Täter erinnern. Gekannt habe er sie vorher nicht. Nachts auf dem Balkon seiner Wohnung stehend, habe er sie vorbeikommen sehen und den Entschluss zur Vergewaltigung gefasst. Dann sei er ihr auf der Straße bis zum Park gefolgt. Tatsächlich war die Frau auf dem Heimweg von einem abendlichen Nähkurs.

Der Richter äußert deutliche Zweifel

Der Richter Wolfgang Tresenreiter hakt ein. „Warum sollte sich die Frau später nicht erinnern können, wo sie attackiert wurde?“, fragt er. Und wenn es die Absicht war, sie am Leben zu lassen, warum dann ihren Körper unter Laub verstecken? Er sei angetrunken gewesen und habe „nicht rational gedacht“, erwidert der Angeklagte. „Es wäre doch wesentlich einfacher gewesen, vom Tatort wegzurennen“, fasst der Richter nach. „Warum das enorme Risiko, das Sie eingingen?“ Er sei eben „in einer egoistischen Gedankenwelt gewesen“, verteidigt sich der 65-Jährige. Sechs Minuten habe allein die Verfolgung der Frau zu Fuß bis zum Park gedauert, bemerkt Tresenreiter. Das ganze Tatgeschehen werde dann sehr plausibel, wenn ein Mordplan zugrunde gelegt werde, ausgeführt, um die Vergewaltigung zu verdecken.

Der Angeklagte ist dunkelhäutig. Die Polizei hatte deshalb frühzeitig angenommen, der Täter könnte unter US-Soldaten zu finden sein. Unter anderen war auch Freddie S. am Tag nach dem Überfall vernommen worden. „Sie haben einen Schwarzen gesucht, der blutete“, erzählt er selbst. Identifiziert wurde S. jedoch nicht. Den blutigen Stock hatte er in dem Park liegen gelassen, er wanderte in die Asservatenkammer der Göppinger Polizei. Aber auch etwas von seinem Blut klebte daran, denn die Frau, die sich nach Kräften wehrte, hatte ihren Angreifer in den Finger gebissen.

Die DNA-Analyse gab es 1985 noch nicht

1985 gab es noch keine DNA-Analysen. Im Jahr 2012 jedoch sehr wohl, als deutsche Ermittlungsbehörden sich dem „cold case“ wieder zuwandten und um amerikanische Ermittlungshilfe baten. Eine US-Datenbank spuckte einen Treffer aus. Der mutmaßliche Vergewaltiger von Göppingen bekam einen Namen und wurde im April ausgeliefert. Dieser Stock – „er hat mich nach Deutschland zurückgebracht“, sagt S. Aus dem Dienst der Armee schied der Angeklagte 1989 unehrenhaft aus. In Mississippi hatte er laut US-Justizakte ein 14-jähriges Mädchen in sein Auto gezerrt, sie verschleppt und vergewaltigt. Auf der Flucht schoss er mit einer Pistole auf einen Polizisten. Von 30 Jahren Haft saß er 17 in einem Gefängnis ab.

Der von ihm misshandelten Göppingerin wolle er sagen, „dass es mir leidtut“, beteuert S. Auch die Frau sagt aus, zu ihrem Schutz unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ein Urteil könnte am 11. November fallen.