Der Mann hat sich vor mehr als 20 Jahren in seiner Wohnung in Weilheim an den beiden Mädchen vergangen. (Symbolbild) Foto: dpa/Uwe Zucchi

Das Amtsgericht verurteilt einen 57-Jährigen, der sich vor mehr als 20 Jahren in Weilheim an den Mädchen vergangen hat. Die Opfer leiden bis heute unter den Übergriffen, mit denen der Vater beziehungsweise der Onkel ihr Urvertrauen erschüttert hat.

Kirchheim - Die Straftaten liegen mehr als 20 Jahre zurück. Vergessen sind sie deshalb aber nicht. Denn sie haben auf den Seelen der Opfer tiefe, bis heute nicht verheilte Wunden hinterlassen. Der 57-Jährige, der am Dienstag auf der Anklagebank des Amtsgerichts Kirchheim saß, hat über seinen Verteidiger eingeräumt, seine zur Tatzeit neun Jahre alte Nichte und seine damals achtjährige Tochter in den Jahren 1995 und 1998 zum Teil schwer sexuell missbraucht zu haben.

Nach Jahren der Angst, Verzweiflung und Wut haben sich die beiden jungen Frauen getraut, ihren Peiniger anzuzeigen und vor Gericht zu bringen. Die Verurteilung des Mannes zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten Gefängnis stehe zwar nur auf dem Papier, so Franziska Hermle-Buchele, die Vorsitzende des Schöffengerichts. Der Schuldspruch wirke aber dennoch als Signal, dass die Übergriffe in seiner Wohnung in Weilheim – die Eltern waren zu dem Zeitpunkt bereits getrennt – „keine Kleinigkeiten, sondern schwere Straftaten zum Nachteil unschuldiger Kinder“ gewesen seien. Einem genauen Datum lassen sich diese nicht mehr zuordnen, aber es steht nach Ansicht des Gerichts fest, dass der damalige Mittdreißiger sexuelle Handlungen an seiner Nichte und seiner Tochter vorgenommen hat. Letzterer habe er zudem ein Video gezeigt, dass ihn beim Sex mit ihrer Mutter zeigte, wie eine Polizistin im Zeugenstand aussagt.

Opfer benötigen bis heute therapeutische Hilfe

Sie habe „keine Zweifel“ an der Glaubwürdigkeit der beiden Opfer, sagt die Kriminalbeamtin. Ein vor vielen Jahren erstelltes Gutachten einer Kinderpsychologin bestätige ihre Einschätzung. Doch damals seien die Vorfälle nicht an die große Glocke gehängt worden, „man wollte familiär keinen Ärger“. Zudem habe der Mann seine Tochter, die er schwer sexuell missbraucht hat, unter Druck gesetzt. „Sie hatte Angst vor dem Vater“, den sie dennoch geliebt habe und deshalb ebenso habe schützen wollen wie ihre Mutter.

Letztlich haben die jungen Frauen die Übergriffe nie verarbeiten können, bis heute benötigen sie therapeutische Hilfe. Wie schwer sie noch immer leiden, zeigt sich am Tag der Verhandlung. Die Nichte des Angeklagten belastete der bevorstehende Prozess psychisch so sehr, dass sie stationär in einer Klinik aufgenommen wurde und gar nicht erst vor Gericht erscheinen konnte. Die Tochter des heute 57-Jährigen bricht im Gerichtssaal immer wieder in Tränen aus. Nach den Plädoyers wird sie auf dem Gang des Amtsgebäudes gar von einem Weinkrampf geschüttelt.

Den beiden Missbrauchsopfern wird durch das Geständnis des Angeklagten wenigstens eine erneute, das Erlebte nochmals aufwühlende Aussage erspart. Wenngleich die von seinem Verteidiger abgegebene Erklärung äußerst dürftig daherkommt. Sein Mandant könne sich nach so langer Zeit nicht mehr erinnern, „aber er könne auch nicht ausschließen, dass da was war“. Später fügt der 57-Jährige noch selbst an: „Ich hatte das ganz anders in Erinnerung.“

Schwerwiegende Folge für die Seelen der Kinder

Ein wünschenswertes „Bekenntnis zu dem Fehlverhalten“ sehe freilich anders aus, merkt die Richterin Franziska Hermle-Buchele in ihrer Urteilsbegründung an. Aber die Einlassung des Angeklagten zeige, „zu welch großen Verdrängungs- und Abwehrmechanismen der menschliche Geist fähig ist“. Doch die in seinem letzten Wort geäußerte Entschuldigung bei seiner Tochter, verbunden mit den besten Wünschen für deren weiteres Leben, werte das Gericht als „glaubhaft und stark“.

Doch habe er das Urvertrauen der Mädchen erschüttert, was schwerwiegende Folgen für die Seelen der Kinder gehabt habe. Über Taten dieser Art „wächst kein Gras“, so Hermle-Buchele. Der Angeklagte habe Glück, dass bei ihm der zum Zeitpunkt der Tat geltende, mildere Strafrahmen angewendet werden müsse. Ansonsten wären die drei Missbrauchsdelikte vor dem Landgericht verhandelt worden, und er wäre wohl nicht mit einer Bewährungsstrafe davongekommen.

Der Angeklagte ist schwer krank

Zudem weise dieses Verfahren eine Besonderheit durch das schwere gesundheitliche Leiden des Angeklagten auf. Er sei unheilbar an der Lunge erkrankt, viel Lebenszeit bleibe ihm nicht mehr. Vor einer Verurteilung bewahrt ihn das jedoch nicht, denn er habe „schwere Schuld auf sich geladen“. Die Richterin wünscht der Tochter und ihrer Cousine, dass sie das Urteil zumindest als eine Art Abschluss des Erlebten empfinden können und „den Weg in ein gutes, positives und unbelastetes weiteres Leben finden“.