Die Ehe ist ein überkommenes Lebensmodell und es braucht sie nicht für die wahre Liebe – das ist die These eines populären Buches. Aber stimmt das? Unsere Autorin Susan Jörges und unser Autor Florian Gann sind unterschiedlicher Meinung.
Die Politikwissenschaftlerin Emilia Roig will die Ehe abschaffen. Dafür plädiert sie in ihrem Buch „Das Ende der Ehe“, und die These verteidigt sie in zahlreichen Interviews. Ihre zentralen Argumente: Die Ehe hat mit lebenslanger Liebe nichts zu tun, und sie benachteiligt Frauen. Hat sie Recht? Autorin Susan Jörges und Autor Florian Gann beleuchten das Thema aus unterschiedlichen Seiten.
Pro Ehe: Sie gibt uns Orientierung
Da hängen sie an der Pinnwand, pastellfarbene Hochzeitseinladungen für die nächsten Monate, bedruckt mit „Wir heiraten“ oder „Wir sagen Ja!“. Alle von Bekannten, die Ende zwanzig sind und sich bereit fühlen, die Ehe zu schließen.
Für einige in der Generation, die jetzt in das Heiratsalter kommen, ist diese Entscheidung absolut unverständlich. Man muss doch flexibel bleiben, sich ausprobieren, aus sich selbst das Beste herausholen. Man selbst als Mitte der Welt. Eine Ehe macht nur abhängig.
Dabei ist die Ehe ein Konstrukt, das das Leben leichter und lebenswerter machen kann. Der flüchtigen Liebe verleiht sie Ernsthaftigkeit, man schließt einen Pakt, ein gemeinsames Leben aufbauen und Verantwortungen teilen zu wollen. Dieses Versprechen ist ein Innehalten, eine Art Kalibrierung, ob das Leben mit genau diesem Menschen gemeinsam verlaufen soll. Geben sollten es sich Paare offiziell, vor der Familie, dem Staat, wer will vor Gott.
Verfolgt man die öffentliche Debatte über die Ehe, formt sich jedoch der Eindruck, als sei sie Teil einer Reihe von Ritualen und sozialen Normen, die abgeschüttelt werden müssten, als seien sie lästige Erfindungen vorheriger Generationen. Dabei haben sie einen Sinn, denn ohne sie folgt ein steter Aushandlungsprozess, den viele Menschen gerade durchlaufen: Wie viel will man arbeiten; wie wohnen, sich ernähren und mit wie vielen Partnern will man zusammen sein? Nicht falsch verstehen, diese Fragen zu stellen, ist absolut notwendig und längst überfällig. Aber während wir all das hinterfragen und jeden Winkel unseres Miteinanders beleuchten, gibt uns die Ehe Sicherheit und Orientierung – und macht deshalb als Form des Zusammenlebens Sinn.
Die Misere, dass die Ehe finanzielle Ungerechtigkeiten zementiert und oftmals die Frau abhängig vom Mann macht, ist nicht zu leugnen. In meiner Ehe gäbe es deshalb Steuerklasse 4 für beide, damit auch bei dem schlechter verdienenden Partner mehr Netto vom Brutto bleibt. Statt die Konten zu fusionieren, gäbe es lediglich ein gemeinsames Haushaltskonto. Ausgaben werden anteilig an der Höhe des jeweiligen Gehaltes gezahlt. Und der Ehevertrag wird – so unromantisch das auch klingen mag – zu Beginn der Ehe geschlossen.
Auf einer Hochzeit im letzten Herbst sagte der Vater des Bräutigams mit Nachdruck zwei simple Worte zum Brautpaar „Liebt euch“. In einer funktionierenden Ehe kann das auch gelingen, wenn die Zeiten schwierig sind und Partner Fehler machen. In einer Beziehung ohne Ehegelübde möglicherweise auch. Das Handtuch unüberlegt zu schmeißen, den anderen stehen zu lassen und sich wieder allein durch das Leben zu boxen, ist jedoch einfacher.
Susan Jörges ist 25 Jahre alt und findet die Vorstellung zu heiraten gar nicht so abwegig.
Contra Ehe: Was ist mit anderen Lebensgemeinschaften?
Die allermeisten Hochzeiten, auf denen ich zuletzt war, waren elegant, durchinszeniert – und teuer. Gerne wurden dafür mehr als 20 000 Euro ausgegeben, im deutschen Durchschnitt sind es laut einer Erhebung von Weddyplace 15 000 Euro. Das Ehegattensplitting bringt den 17,5 Millionen deutschen Ehepaaren dagegen durchschnittlich 1250 Euro im Jahr. Wer also ein bisschen durchhält, hat das Hochzeitsinvestment wieder herinnen. Das kann man als nüchtern-deutsche Romantik betrachten, ist schön, und kost’ am Ende ja nix. Oder als jährlich 22 Milliarden Euro schwere Förderung eines Lebensmodells, das längst nicht mehr die ganze Realität abbildet – und allen Gleichberechtigungsbemühungen entgegen laufen.
Es gibt viele Formen des Zusammenlebens. Aber die Ehe bildet die meisten davon nicht ab: Was ist mit Wohngemeinschaften, in denen sich alle um Kinder kümmern? Was mit polyamoren Beziehungen, wo mehrere Partnerinnen und Partner zusammenleben? Was macht diese Lebensformen weniger wert als die klassische, monogame Ehe? Hinzu kommt: Wenn ein Partner in solchen alternativen Modellen stirbt, sind die Sorgerechts- und Erbschaftsfragen kaum zu klären. Warum gibt es ein Konstrukt für Ehen, aber nicht für solche Fürsorgegemeinschaften?
Das hier soll kein Plädoyer gegen die Ehe an sich sein. Wer heiraten will, soll das weiterhin machen können. Für wen das romantischen, emotionalen Wert hat – schön! Aber so wie die kirchliche Trauung rechtlich keine Bedeutung hat, sollte das für alle Trauzeremonien gelten. Die Ehe bildet die vielfältigen Beziehungsformen im 21. Jahrhundert nicht mehr ab, und sie liefert ihnen keine rechtliche Absicherung. Das muss sich ändern – in einem Modell, welches alle Partnerschaftsformen gleichberechtigt nebeneinanderstellt.
Außerdem: Man kann eine Partnerschaft auch anders zelebrieren, als mit Traditionen, die Männer und Frauen doch wieder in Klischeerollen pressen. Das beginnt schon bei der Trauung: Sie im weißen Prinzessinnenkleid, er im dunklen Anzug. Und wäre es so nicht viel romantischer: Man schwört seiner Partnerin oder seinem Partner die Treue, einfach nur, weil man es will – und nicht, weil man eine große Party feiern will, und auch nicht, weil das Ehegatten-Splitting gut in den langfristigen Anlageplan passt.
Florian Gann ist 39 Jahre alt und hält die Ehe für überholt – nicht aber langfristige Beziehungen.