Virtuose Abenteuer: Timo Beyerling als Zinnsoldat und Michaela Henze als Papiertänzerin. Foto: Tobias Metz

Gleich zwei Produktionen für Kinder haben am Wochenende an der Esslinger Landesbühne Premiere gefeiert: das Märchen „Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin“ und das Farbenstück „Das schrillste Blau“.

Liebe auf den ersten Blick, dann ausrangiert und vergessen: Gerade haben sich der Zinnsoldat und die Papiertänzerin kennengelernt, da pustet sie ein Windstoß vom Fensterbrett in die fremde, weite Welt. Sie, die Federleichte, wirbelt in den Himmel, er, der Schwermetallene, landet in der Gosse. Das Abenteuer beginnt.

In seinem poetischen wie spannenden Kinderstück „Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin“ (ab sechs Jahren) hat Roland Schimmelpfennig das Märchen „Der standhafte Zinnsoldat“ von Hans Christian Andersen in die heutige Zeit geholt. Die Kindertheatersparte der Landesbühne Esslingen (Junge WLB) hat das Stück jetzt auf die Bühne gebracht. Die Geschichte wird im Rückblick erzählt. Er, der Einbeinige, für den das Zinn beim Gießen nicht mehr gereicht hat, und sie, die ihr eines Bein tänzerisch stets hoch in die Luft gestreckt hält, entdecken eine gewisse Seelenverwandtschaft: Standhaftigkeit in einer rauen Wirklichkeit. Schon zu Beginn der Aufführung sehen beide etwas angekokelt aus (Kostüme: Gwendolyn Bahr). Denn sie sind gerade ihrem Ende im Feuer entgangen.

Virtuos nun, wie Timo Beyerling als Zinnsoldat und Michaela Henze als Tänzerin ihre parallel verlaufenden Abenteuerreisen per Rollenswitching in all ihren poetisch-witzigen Details plastisch werden lassen und wie sie sie szenisch miteinander verzahnen – auf nur wenige Requisiten zurückgreifend, rührend und sehr pointiert. Denn der kleine Spielzeugsoldat wird von zwei fiesen Kindern unter Häme („Eisenkrüppel!“) in ein Papierschiffchen gesetzt und vom Regenfluss in der Bordsteinrinne in die Kanalisation getrieben, wo ihm eine passkontrollierende Kanalratte zusetzt, die seine Aufenthaltsgenehmigung einfordert, die er natürlich nicht hat. Am Ende landet er im Maul eines gefräßigen Monsterfisches.

Anders als im Original gibt es ein Happy End

Derweil wird die Papiertänzerin im Himmel von einer autoritären Regenwolke (in Gestalt von viel Bühnennebel) rumgeschubst, lernt einen freiheitsliebenden Drachen (in Gestalt einer fantastischen Gliederspielpuppe) kennen und wird von einer kulturbeflissenen Elster ins Nest zu ihren sechs Küken befördert, wo sie diesen als Fernseh-Ersatz vorzutanzen hat. Am Ende kreuzen sich die Wege der beiden Liebenden wie durch ein Wunder wieder, und im Gegensatz zum Original gibt’s ein Happy End.

Martin Pfaff setzt in seiner Inszenierung auf Tempo, Pointen und viele witzige Details und hat die Bühne karg (Podeste, Stühle), aber mit viel Geräuschpotenzial (Windmaschine, Donnerblech, Regenmacher) ausgestattet. Das Publikum war am Ende aus dem Häuschen.

„Das schrillste Blau“ mit Julian Häuser (links) und Philip Spreen. Foto: Bernd /Eidenmüller

Im Tempo etwas gemächlicher gestaltete sich die Premiere „Das schrillste Blau“ von Sergej Gößner für Zuschauerinnen und Zuschauer ab vier Jahren. Frances van Boeckel hat das Stück aber nicht minder witzig inszeniert. Darin wird auf pädagogisch fantasievolle Weise gezeigt, wie das Ding mit den Grundfarben und ihren Mischungen funktioniert, und dass Buntheit und Vielfalt viel mehr Spaß machen als uniforme Einfarbigkeit. Es geht dabei natürlich auch ums Allgemeinmenschliche: um die Frage, wie man den Wunsch nach individueller Abgrenzung und die Sehnsucht nach Freundschaft miteinander verbinden kann.

Auch komödiantisches Können ist gefragt

Den Erzählrahmen bildet ein Mini-Labor, in dem zwei komplett in Weiß kostümierte Forschende aneinandergeraten: eine konservative Person, die über die Grundfarben doziert, und eine fortschrittliche, die mit Farbmischungen experimentiert. Am Tageslichtprojektor lässt sie in einer Wasserschale Farbtropfen magisch wirbelnde Muster malen, die dann auf einen kreisförmigen Guckkasten in der Bühnenmitte projiziert werden. Durch dessen Gummibandlamellen quetschen sich immer wieder personifizierte Farben auf die Bühne.

Hier darf das Ensemble aus Paula Dehner, Julian Häuser und Philip Spreen natürlich einmal mehr sein komödiantisches Können samt Slapstick und Tanzeinlagen zeigen. Etwa Häuser als zorniges Rot mit zackig gezücktem Fächer, Dehner als aufgedrehtes, beinahe hyperventilierendes Gelb in grell-krausem Outfit oder Spreen als melancholisch-entspanntes Blau mit Kastenkopf. Die Ausstatterin Amelie Hensel hatte sichtbar viel Spaß daran, die Farben sich in möglichst skurrilen Kostümen präsentieren zu lassen.

Philip Spreen, Paula Dehner und Julian Häuser (von links) in „Das schrillste Blau“. Foto: Bernd Eidenmüller

Dass die altmodische Grundfarbenfraktion auf der Bühne, die auf „Abstand und Anstand“ pochte, „weil es immer schon so war“, am Ende nachgibt, ist freilich erwartbar. Die Neugier auf das Andere siegt. Erst hat das Rosa seinen betörenden Auftritt, dann, als Finale, entpuppt sich der Titel des Stücks, „Das schrillste Blau“, als weiter gefasst als vermutet: Das Blau ist am Ende ein wunderschönes Lila.

Die nächsten Vorstellungen

Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin
Das Stück für Kinder ab sechs Jahren ist am 29. März, 27. April, 4., 17. und 31. Mai sowie am 29. Juni im Studio am Blarerplatz in Esslingen zu sehen.

Das schrillste Blau
Das Stück für Kinder ab vier Jahren wird am 30. März, 12. und 26. April, 11. und 25. Mai, 21. Juni im Podium 2 des Esslinger Schauspielhauses aufgeführt.