Das Stuttgarter Vampir-Ensemble Foto: Stage Entertainment//Brinkhoff Mögenburg

Nach 19 Monaten Zwangspause gibt es endlich wieder großes Musical in Stuttgart zu erleben. Und dieser „Tanz der Vampire“ gelingt kraftvoller denn je.

Stuttgart - Das hat Wumms! Wir erinnern uns: Finanzminister Olaf Scholz hat das Wort mal offiziell benutzt; es ging dabei um die Hilfen der Politik für Wirtschaft und Kultur in der Coronakrise. Über den Wumms von Scholz müssen wir hier nicht urteilen. Jede Menge Wumms hat auf jeden Fall die Neuauflage des Musicals „Tanz der Vampire“. Wumms, Schwung, Saft, Kraft, Energie, Wucht, Dynamik – die große Bühnenshow im SI-Centrum ist im langen Shutdown zum Glück nicht verloren gegangen. Nicht nur Vampire sind von robuster Natur. Auch das Musical lebt gerne mal weiter.

Dieser Neustart strotzt vor Saft und Kraft. Okay, bei solcher Begeisterung spielt auch die Freude des Zuschauers eine Rolle, überhaupt wieder knallbuntes Theater erleben zu können: echte Musik aus dem Orchestergraben (dirigiert von Boris Ritter), ein großes Ensemble, eine tolle Lichtshow, ein opulentes Bühnenbild mit vielen Überraschungen. Was haben wir das vermisst! Voller Neustart-Kraft sind aber auch die Mitwirkenden dieser Produktion: Zur Wiedereröffnung des Hauses wirken alle hoch konzentriert; es sitzt und zündet alles auf den Punkt.

Das Musical ist ganz schön aktuell

Dabei hat das Stück von Jim Steinman und Michael Kunze ja nun auch schon fast ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel; 1997 war die Uraufführung in Wien. Der Kinoklassiker von Roman Polanski, der allem zugrunde liegt, ist sogar noch mal 30 Jahre älter. Aber frappierend, wie sehr die Grundidee dieser Gruselstory in unsere aktuelle Welt passt – eine Welt, die dem Millionenheer der Coronaviren zur Not auch mit Kruzifix, Holzpflock und Knoblauchketten zu Leibe rücken würde. Gut, dass wir stattdessen Biontech und Moderna zur Verfügung haben.

Vernunft, Wissen, Aufklärung – das sind die Waffen, mit denen Professor Abronsius und sein reizender Student Alfred in Transsilvanien den Vampiren das Handwerk legen wollen und die der herrlich spinnert von Luc Steegers auf die Bühne gebrachte Königsberger Gelehrte gleich mehrfach euphorisch besingt. Doch die Kräfte der Nacht haben eben eine ganz eigene Kraft und Faszination, von der sich nicht nur die hübsche Sarah angezogen fühlt, weswegen Alfred sie unbedingt vor dem Abgrund retten muss.

Die Vampire singen die heißeren Songs

Rein musikalisch ist der Wettstreit zum Schluss aber klar entschieden: Der überzeugend frische Raphael Groß hat als kurzhosiger Alfred zwar einige großartige Solonummern, und gemeinsam mit Diana Schnierer als Sarah kommt es zum traumhaft schönen Duett. Aber den deutlich gei. . ., sorry: heißeren Sound liefern einfach die Vampire. Und hier an vorderster Stelle: Graf Krolock.

Der Italiener Filippo Strocchi verleiht der Figur in Stuttgart alles, was man sich als Fan und Freund nur wünschen kann, neben einer tollen Stimme jede Menge Ausstrahlung, Charakter, Persönlichkeit, Präsenz; kurzum: Charisma. Sein großes Solo von der „unstillbaren Gier“ ist der musikalische Höhepunkt des Abends und zum Niederknien gut interpretiert. Ganz dicht gefolgt wird das von den beiden Ensemblenummern „Carpe noctem“ und „Ewigkeit“, in der sich Musik, Gesang, Tanz, Bühnenbild und Licht zu einem (alb)traumhaft schönen Musical-Gesamtkunstwerk vereinen.

Besser kann das London auch nicht

Alle Rollen sind erstklassig besetzt, von Nicolas Tenerani als schlitzohriger Chagal bis zu Anja Backus als dralle Magda. Und nur ein Wunsch des Betrachters bleibt zum Schluss weiter offen: Man könnte, auch wenn sich Roman Polanski das 1967 anders gedacht hat, die Figur des schwulen Vampirsohnes Herbert endlich mal von ihrer gähnend-antiquierten Klischeehaftigkeit befreien. Aber da scheint es irgendein Copyright zu geben, gegen das dann in Stuttgart auch der hiesige Darsteller Jakub Wocial schlicht machtlos ist. Schwamm drüber (Achtung, Insiderwitz!). Entscheidend ist: Für solche Qualität muss der Musicalfan nicht nach New York reisen, sondern nur mit der Stadtbahn U 3 bis Salzäcker.

Info

Vorstellungen
Dienstags bis sonntags im Stage Palladium Theater, Plieninger Straße 109, S-Möhringen

Karten
www.stage-entertainment.de