Eine wilde Verfolgungsjagd, ein beschädigter Streifenwagen und zwei Fragen: Wo ist der Fluchtwagen mit gestohlenem Nummernschild – und wer war der flüchtige Fahrer?
Der Mann ist 40 bis 50 Jahre alt, hat eine Glatze. Mehr ist vorerst nicht bekannt über den Fahrer eines grauen 3er BMW, der sich in der Nacht zum Montag mit der Polizei eine wilde Verfolgungsfahrt quer durch Stuttgart geliefert hat – und dann spurlos verschwand. Die Polizei hat einen demolierten Streifenwagen zu beklagen.
Was auch immer der unbekannte BMW-Fahrer verbergen wollte – besonders unauffällig hat er sich nicht gerade verhalten. Das Fahrzeug wurde am Montag gegen 1 Uhr in der Schmidener Straße in Bad Cannstatt von einer Streife bemerkt, „wegen überhöhter Geschwindigkeit und mehreren Rotlichtverstößen“, sagt Polizeisprecherin Daniela Treude. Die Beamten wollten den Wagen kontrollieren – doch der BMW raste davon. Dabei ging es über die Cannstatter Straße (B 14) zum Charlottenplatz, von dort auf die Neue Weinsteige (B 27) Richtung Degerloch.
Ein Streifenwagen fliegt aus der Kurve
Mehrere Streifenwagenbesatzungen waren im Einsatz, für eine war allerdings auf der Weinsteige unfreiwillig Schluss. „Das Dienstfahrzeug geriet aus einer Kurve“, sagt Polizeisprecherin Treude, „die Kollegen mussten die Verfolgung abbrechen.“ Die Beamten blieben unverletzt, es entstand mehrere Tausend Euro Schaden. Der flüchtige BMW-Fahrer blieb offenbar nicht auf der B 27, sondern versuchte im Bereich Waldau unterzutauchen. Der Wagen fiel in der Roßhaustraße auf. Noch einmal tauchte der BMW an der Einmündung Epple- und Kurt-Schumacher-Straße nahe des SI-Centrums in Möhringen auf. „Dann wurde er aus den Augen verloren“, so Daniela Treude.
Das Nummernschild ist zwar bekannt, gibt aber keinen Hinweis auf den Gesuchten. „Das Stuttgarter Kennzeichen wurde gestohlen und missbräuchlich verwendet“, sagt die Polizeisprecherin. Womöglich fiel der 3er BMW noch anderswo auf, wurden gar andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Die Polizei bittet um Hinweise unter der Rufnummer 07 11 / 89 90 - 41 00. Freilich: Es ist nicht unwahrscheinlich, dass eine der vielen stationären Blitzanlagen an der Strecke ein Beweisfoto geschossen hat.
Der jüngste Fall in Degerloch galt einem 15-Jährigen
Vorerst bleibt es Spekulation, ob der Wagen unbefugt in Gebrauch genommen worden ist – eines der wesentlichen Motive, ohne Rücksicht auf Verluste vor der Polizei zu flüchten. Erst vor gut zwei Wochen hatte es eine morgendliche Verfolgungsjagd in Degerloch gegeben, als eine Polizeistreife einen VW Golf auf der B 27 kontrollieren wollte. Der Fahrer flüchtete mit Vollgas Richtung Zollern-Alb-Kreis und konnte erst gut 50 Kilometer später mit Nagelfallen, sogenannten Stop-Sticks, aufgehalten werden. Das Auto war in Reutlingen gestohlen worden. Bei der Festnahme des Fahrers staunten die Beamten: Es handelte sich um einen 15-Jährigen.
Zu den spektakulären Verfolgungen der letzten Wochen und Monate zählt auch die Fahrt eines Ford auf der A 8, den die Polizei bei Neuhausen auf den Fildern (Kreis Esslingen) kontrollieren wollte und ihn erst bei Aichelberg aufhalten konnte. Der 35-Jährige hatte offenbar Betäubungsmittel konsumiert, der Wagen war nicht zugelassen und mit einem fremden Kennzeichen versehen.
Mit 300 km/h auf und davon
Vor einem Jahr hatte es eine besonders wilde Verfolgungsjagd gegeben, als ein Mercedes-AMG-Fahrer auf der A 81 bei Stuttgart-Zuffenhausen vor 41 Streifenwagen und einem Polizeihubschrauber Reißaus nahm – und mit bis zu 300 km/h nach Mühlhausen im Täle (Kreis Göppingen) entkam. Allerdings nicht lange. Die Ermittler kamen auf die Spur eines 37-jährigen Autohändlers aus Biberach, dem der Sportbolide zwar gehörte, der allerdings keine gültige Fahrerlaubnis hatte.
Noch viel mehr Gründe hatte ein Flüchtiger im Juni 2022, der auf der Flucht von Degerloch zum Stuttgarter Flughafen einen völlig demolierten Streifenwagen zurückließ. Die Polizei war auf Höhe Fasanenhof verunglückt, die Insassen erlitten leichte Verletzungen. Zwar konnte das Fluchtfahrzeug am Flughafen als Mietwagen identifiziert und die Mieterin vernommen werden – allerdings war ihr 37-jähriger Lebensgefährte zunächst spurlos verschwunden. Wie das Landeskriminalamt erst Monate später verriet, stand der Mann bereits wegen Drogengeschäften im Visier der Ermittler. Er soll mit anderen Beteiligten Marihuana im dreistelligen Kilobereich geschmuggelt haben. Er wurde im November 2022 in Barcelona verhaftet.
Das Landgericht Stuttgart hat ihn zwischenzeitlich „wegen diverser Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt“, sagt Staatsanwaltssprecher Aniello Ambrosio. Der Unfall bei der Verfolgungsjagd, der zu einer Anzeige wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens und Fahrens ohne Fahrerlaubnis geführt hatte, fiel da nicht mehr ins Gewicht. Dieses Ermittlungsverfahren wurde wegen der absehbaren hohen Drogen-Haftstrafe eingestellt. Die Flucht vor der Polizei gilt gleichwohl als verbotenes Wettrennen, dessen Strafmaß in den letzten Jahren deutlich verschärft wurde. Nach dem neuen Paragrafen 315d StGB können verbotene Rennen im Straßenverkehr mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden, wenn dabei Menschen schwer verletzt oder getötet werden.