Eine Leserin hat uns dieses Foto von ihrem Cabrio geschickt. Da der Smart schon zum 2. Mal Opfer wurde, hat sie das Dach zugenäht statt ausgetauscht. Foto: oh

Von Harald Flößer

Wer in Esslingen ein schickes Cabriolet besitzt, kann froh sein, wenn er für sein Fahrzeug einen Garagenplatz hat. Seit November hat ein Unbekannter neun Stoffverdecke von Cabrios aufgeschlitzt, die im Stadtgebiet abgestellt waren. „Offenbar aus reiner Zerstörungswut“, sagt Michael Schaal, ein Sprecher des Polizeipräsidiums Reutlingen. Denn in keinem Fall habe der Täter aus dem beschädigten Auto etwas gestohlen.
Bei der Polizei nimmt man die Sache sehr ernst. Schon deshalb, weil es zwischen November 2016 und März dieses Jahres eine noch größere Serie von solchen Beschädigungen gab. Damals wurden 53 Cabrio-Dächer mit einem spitzen Gegenstand aufgeschlitzt. Auch diese Delikte hat man bis heute nicht aufklären können. Laut Polizeisprecher Schaal ist nicht auszuschließen, dass es sich um den gleichen Täter handelt wie vor einigen Monaten.
Den nahezu identischen zeitlichen Beginn der Serie hält Schaal für auffällig. Voriges Jahr wurde der erste Fall am 14. November publik. Diesmal war der Anfang am 12. November. Allein das lässt vermuten, dass der jetzt Gesuchte derselbe ist wie damals. Bei der ersten Serie richtete der Unbekannte einen Schaden von mehr als 100 000 Euro an. Wie hoch der Schaden diesmal ist, kann Schaal nicht genau beziffern. Aber es sind sicher mehrere zigtausend Euro.

Komplizierte Ermittlungen

Wie die Beschädigungen genau aussehen und womit die Verdecke traktiert wurden, will die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen nicht preisgeben. Laut Schaal hat es der Täter nicht auf ein spezielles Fabrikat abgesehen. Da sei ein VW Golf genauso dabei wie ein teurer Mercedes. Zuletzt wurde zwischen Dienstag, 5., und Mittwoch, 6. Dezember, das Verdeck eines VW Beetle in der Olgastraße zerstört. Auch die Tageszeiten waren unterschiedlich. Meist waren die Fahrzeuge in der Innenstadt abgestellt. Aber auch aus anderen angrenzenden Stadtgebieten wie Oberesslingen wurden schon Fälle bekannt.
„Das sind für uns ganz komplizierte Ermittlungen“, erklärt Polizeisprecher Schaal. „Da hantiert einer mit einem spitzen Gegenstand an den Fahrzeugen. Es geht ganz schnell und leise und keiner kriegt was mit.“ Der Unbekannte hinterlasse auch keine Spuren. Umso wichtiger sei es für die Polizei, jede noch so kleine Beobachtung gemeldet zu bekommen. Zeugen sollten sofort die Polizei in Esslingen unter Tel. 0711/3990-0 verständigen. Man könne aber auch die Notrufnummer 110 wählen. „Gerade im Innenstadtbereich ist ganz schnell eine Streife vor Ort.“
Das Thema ist mittlerweile natürlich auch in den örtlichen Reparaturwerkstätten angekommen. Er habe schon mehrere Anfragen von Geschädigten, sagt Hermann Mayer, der Inhaber von KHM Cabrioverdecke Esslingen. Schon bei der ersten Serie verzeichnete der Geschäftsmann aus der Pliensau mehr Aufträge als sonst. Die Reparatur eines aufgeschlitzten Daches ist nicht billig. Wenn beispielsweise bei einem Golf Cabrio alle drei Schichten des Stoffverdecks durchgeschnitten seien, müsse man bei ihm mit 1500 bis 2000 Euro rechnen, so Hermann Mayer.

Nur Vollkasko übernimmt Schaden

Und wer kommt für den Schaden auf? Eine Teilkasko reicht nicht, um die Reparaturkosten von seiner Kfz-Versicherung erstattet zu bekommen. „Das fällt unter Vandalismus. Und solche Schäden sind nur über die Vollkasko abgedeckt“, erklärt Charlotte Gerling, Pressesprecherin bei der Allianz-Zentrale in München. Eine Ausnahme gibt es: Wenn die Verdecke zum Zwecke eines Diebstahls aufgeschlitzt wurden, reicht als Versicherungsschutz die Teilkasko. Aber bei sämtlichen Fällen in Esslingen ging es ausschließlich um Zerstörung. Kein einziges Mal hatte der Täter etwas mitgehen lassen.

Polizeipsychologe: Der Täter ist ein gekränkter Mensch

Wer steckt hinter diesen Zerstörungen? Für Adolf Gallwitz, einen renommierten Polizeipsychologen, der bis zu seiner Pensionierung 2013 als Professor an der Polizeihochschule in Villingen-Schwenningen gelehrt hat, steht außer Frage: Diese heimlichen und hinterlistigen Taten gehen auf das Konto eines gekränkten, im Alltag zurückgewiesenen Menschen. Er habe nichts, was ihm Sinn gibt und was ihm Freude macht, keine positiven Erlebnisse im Alltag oder im Beruf, so seine Vermutung.

Mögliche Motive: Die Fälle des Cabrio-Schlitzers von Esslingen kennt Gallwitz nicht genau. Aber grundsätzlich kämen vier Motive in Frage: 1. Wut, 2. Neid und Missgunst, 3. das Gefühl, ein Verlierer der Gesellschaft zu sein und 4. Langeweile. In letzterem Fall wäre die Beschädigung der Cabrio-Verdecke für ihn eine Art Freizeitbeschäftigung. Im Gespräch mit der EZ kritisierte der Polizeipsychologe Fernsehsendungen, die mit irrwitzigsten Formaten zu Nachahmungen geradezu aufforderten.

Auch zu Schlimmerem bereit? Hinter den Taten stecke eine erhebliche kriminelle Energie, so der 66-jährige Experte. Das gehe weit über normale Beschädigungen, wie den Lack eines Autos zu zerkratzen, hinaus. Möglicherweise sei er auch zu noch viel schwereren Taten bereit. Interessant für den Psychologen ist bei diesem Fall auch, falls es sich um den selben Täter handelt, die Frage, warum es zwischen den beiden Tat-Serien so eine lange Pause gab.