Die Musiklehrer in Baden-Württemberg sind mit den Plänen des Landes für das neue neunjährige Gymnasium nicht einverstanden: Sie fordern mehr Musikunterricht – und machen ihrem Unmut mitten in Stuttgart lautstark Luft.
Etwa 80 Schüler, Lehrkräfte und Vertreter von kulturellen Einrichtungen haben sich am Freitagnachmittag vor der Stuttgarter Oper gegen eine Kürzung des Musikunterrichts ausgesprochen. Mit Liedern der US-Band „Imagine Dragons“, „Freude schöner Götterfunken“ und „Kling, Glöckchen!“ präsentierte die bunte Truppe einen wilden Songmix – spontan, aber trotzdem mehrstimmig. Auch Körper-Percussion setzten die Musiker ein. Das wirkte zwar teilweise etwas unbeholfen, dafür aber umso spaßiger.
Der Bundesverband Musikunterricht (BMU) wollte mit der Aktion „Raise up your voice – Schulen singen für das Fach Musik“ ein Zeichen setzen. Dabei ging es um eine Stunde Musikunterricht. Denn wenn das Land Baden-Württemberg im nächsten Schuljahr wieder das neunjährige Gymnasium (G9) einführt, sollen nach den bisherigen Plänen des Kultusministeriums Schüler ab der siebten Klasse nur noch eine Stunde Musik pro Woche haben. Bisher hatten sie in dieser Klassenstufe noch zwei Stunden.
„Gemeinsames Singen macht Musikunterricht aus“
Diese Aussicht tut dem BMU weh, sagte die stellvertretende Landespräsidentin Carmen Förnzler im Gespräch mit unserer Zeitung. Wegen des Doppelstunden-Modells hätten die Musiklehrer ihre Schüler ab der siebten Klasse nur noch ein Halbjahr lang oder abwechselnd in A- und B-Wochen. Der BMU fordert zumindest in den Klassenstufen 5 bis 7 einen zweistündigen Musikunterricht. „Das gemeinsame Singen und das Kreative ist das, was Musikunterricht ausmacht“, sagte sie. „Das braucht Zeit, gerade in den unteren Klassen.“
Das bestätigten auch die Redner vor der Oper: Schülerinnen aus Vaihingen an der Enz betonten, Musikunterricht sei ein toller Ausgleich zu anderen Fächern – vor allem aber sei er für das Gemeinschaftsgefühl wichtig. Der Entertainer und Musiker Michael Gaedt sieht Musik deshalb auch als politischen Akt. Nirgendwo sei man so deutlich Teil einer Gemeinschaft wie beim Musizieren, sagte er.
Vertreter des SWR-Symphonieorchesters, der Oper und anderer Einrichtungen machten außerdem deutlich, wie wichtig musikalische Bildung für die Kultur in Baden-Württemberg sei. Der BMU sieht das ähnlich. Und: „Das Gymnasium ist für manche die einzige Musikschule“, sagte Georg Brunner, Landespräsident des BMU. Privaten Unterricht könnten viele sich nicht leisten.
Die eine Poolstunde, die zusätzlich für Sport- oder Musikunterricht reserviert ist, beruhigt den BMU auch nicht. Im Gegenteil: „Von anderen Schulen höre ich, dass das Gerangel um Sport oder Musik schon begonnen hat“, sagte Carmen Förnzler. „Uns gefällt es nicht, dass Lehrkräfte und Kinder sich in der Wahl der Arbeitsgruppen auf eine Seite schlagen müssen.“
Musikunterricht und Medienkompetenz verbinden
Dass Musiklehrer Musikunterricht wichtig finden, überrascht nicht. Auch der Sportlehrerverband hatte schockiert auf die neue Planung reagiert, weil der Sportunterricht ebenfalls gekürzt werden soll. Aber wenn jeder sich für sein Fach einsetzt: Welche Stunden soll man dann streichen? Immerhin hat die Landesregierung Fächer wie Medienkompetenz und Informatik eingeführt, die in den Stundenplan passen müssen. Die könnte man, wenn es nach dem BMU geht, in die Musikstunde integrieren. „Digitale Medien kann man auch im Musikunterricht einsetzen“, sagte Kilian Baur, Geschäftsführer des BMU. Überhaupt hätte der BMU sich gewünscht, dass die neuen Fächer als Querschnittkompetenz im Lehrplan unterkommen und nicht als einzelne Unterrichtsstunden.
Über ihre Vorschläge würden die BMU-Mitglieder gerne einmal mit dem Kultusministerium sprechen – einen Brief haben sie schon im Juli dorthin geschickt. Seitdem warten sie auf eine Antwort.