Pierre Gasly freut ich über seinen reichlich überraschenden Triumph beim Großen Preis von Italien in Monza. Foto: AFP/MARK THOMPSON

Wegen einer Strafe für den führenden Lewis Hamilton kommt beim Großen Preis von Italien den Farbenlehre der Formel 1 heftigst durcheinander. Wer das geahnt hätte, wäre reich geworden.

Monza/Stuttgart - Pierre Gasly vor Carlos Sainz vor Lance Stroll. Das sind nicht die Plätze sechs, sieben und acht nach dem Grand Prix in Monza. Das sind die Männer, die nach dem Vollgas-Rennen auf dem Podium stehen. Kaum zu glauben. Fast schon irreal. Wer dieses Ergebnis gewettet und 500 Euro gesetzt hätte, wäre nun bestimmt Millionär. Mindestens. Alpha Tauri, McLaren, Racing Point. Kein Mercedes-Pilot, kein Red-Bull-Fahrer auf dem Podium. Bei Alpha Tauri hüpfen sie an der Boxenmauer wie liebestolle Frösche, sie schlagen sich gegenseitig auf die Schultern, so dass Orthopäden ein heftiges Stirnrunzeln bekommen hätten. Und Pierre Gasly brüllt seine unbändige Freude in den Boxenfunk. „Oh mein Gott. Oh mein Gott“, schreit der Franzose, „was haben wir getan? Wir haben es geschafft. Ja!“

Gasly, dessen beste Platzierung bislang Rang zwei in Brasilien 2019 war, ist auch noch im Euphorie-Modus, nachdem er aus dem Wagen geklettert ist. „Phänomenal, unglaublich. Ich weiß nicht, ob ich das jetzt schon realisiere“, sprudelt Gasly, dessen Mund-Nasen-Schutz wahrscheinlich das breiteste Dauergrinsen in der Formel 1 seit Daniel Ricciardo verdeckt. „Wir haben die Rennunterbrechung optimal genutzt“, sagt der 24-Jährige, „ich danke Alpha Tauri für alles, was das Team für mich getan hat. In Brasilien der erste Podiumsplatz und jetzt, gerade 18 Monate später, mein erster Grand-Prix-Sieg. Danke Alpha Tauri. Danke Honda.“ Der Erfolg des Franzosen ist der erste eines Formel-1-Piloten aus der Grande Nation seit Olivier Panis vor 24 Jahren in Monaco.

Carlos Sainz hadert mit Platz zwei

Carlos Sainz freut sich zwar ebenfalls, doch so ganz ungetrübt ist sein Jubel nicht. „Ich hätte eine Runde mehr gebraucht“, funkt der Spanier an die McLaren-Box und später meint er: „Ich bin schon ein wenig enttäuscht über Platz zwei. Ich war ganz nah dran.“ Hätte der Sohn von Rallye-Legende Carlos Sainz senior Rang zwei hinter Lewis Hamilton in einem Rennen gewonnen, das der Dauersieger wie sonst üblich kontrolliert hätte, hätte der 26-Jährige wahrscheinlich über beide Backen gestrahlt. Der Überraschungsdritte Lance Stroll dagegen ist völlig mit sich und der Welt im Reinen. „Ist ja schon ein paar Jahre her“, sagt der Racing-Point-Fahrer, „dass ich auf dem Podium stand. Es war ein verrückter Grand Prix. Ich freue mich aber auch riesig für Pierre, er ist großartig gefahren.“

Ein italienischer Rennstall gewinnt den Heim-Grand-Prix. Alpha Tauri (einst Toro Rosso und davor Minardi), das seine Fabrik in Faenza hat, macht die Tifosi glücklich. Das Miniteam mit dem Minietat aus der Emilia Romagna. Nicht die ruhmreiche Scuderia Ferrari aus Maranello. Doch die Roten haben den Großen Preis von Italien zwar ungewollt, aber doch maßgeblich mitentschieden. Leider nicht ganz so, wie sich das deren Fans vorgestellt haben. In Runde 25 rast Charles Leclerc mit Tempo 260 in die Reifenstapel, der Schorndorfer Bernd Mayländer lenkt das Safety-Car auf die Strecke – und der meilenweit Führende Lewis Hamilton biegt reaktionsschnell, aber verbotenerweise in die Boxengasse ab. Die Folge: Stop-and-Go-Strafe plus zehn Sekunden Zeitstrafe. Nach dem stehenden Neustart brummt der Weltmeister das Strafmaß ab und kehrt als Letzter auf die Strecke zurück. Rückstand: fast eine halbe Minuten. Uneinholbar. Selbst für ein überlegenes Auto wie den Silberpfeil. Hamilton wird Siebter.

Höchststrafe für Ferrari

Der Weltmeister betreibt Schadensbegrenzung, sieben Punkte nimmt er mit. Valtteri Bottas kommt als Fünfter ins Ziel und überholt in der WM-Wertung Max Verstappen, der den Red Bull mit einem Defekt in der Garage parkt. Favoritensterben im königlichen Park. Und Ferrari? Es gibt eine beschämende Nullnummer, die erste seit 1995 auf heimischen Boden. Sebastian Vettel scheidet früh aus, weil eine Bremsleitung explodiert – glücklicherweise an einer Stelle, wo er den Ferrari ausrollen lassen kann. „Das war Glück“, sagt der Heppenheimer, „mein Spaßfaktor ist gerade nicht auf dem Höhepunkt, man könnte sagen: Schlimmer geht immer.“ Charles Leclerc bleibt nach seinem heftigen Kracher in die Reifenstapel unverletzt, immerhin. Und Teamchef Mattia Binotto spricht die Worte: „Das war das schlimmste Ende, den ein Heim-Grand-Prix nehmen kann. Wir müssen nach vorn schauen.“ Es muss für die Ferraristi die Höchststrafe gewesen sein, als bei der Siegerehrung die italienische Hymne gespielt wurde. Nicht für Ferrari. Für Alpha Tauri.