Es mangelt an Fach- und Hilfskräften in der Pflege. Foto: imago images/Martin Wagner

Es mangelt an Fach- und Hilfskräften, die Zahl der Auszubildenden ist rückläufig und die Heimkosten steigen: Die Opposition im Landtag warnt eindringlich vor einem Pflegenotstand in Baden-Württemberg. Sozialminister Manfred Lucha wiegelt ab.

Mehr Pflegebedürftige, weniger Pfleger: Die Opposition im Landtag schlägt Alarm, dass Baden-Württemberg der Pflegenotstand drohe. Der grün-schwarzen Landesregierung werfen SPD und FDP Untätigkeit vor und fordern schnelles Handeln. Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) widerspricht. Er weise „den ebenso abstrusen wie durchsichtig-populistischen Vorwurf, die Landesregierung habe die Pflegepolitik verschlafen“ entschieden zurück, hieß es in einer Mitteilung des Sozialministeriums. „Das kann nur jemand behaupten, der die Fakten und Entwicklungen auf Bundes- und Landesebene mutwillig ignoriert.“

Zuvor hatte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch angeprangert, Baden-Württemberg sei wie kaum ein anderes Bundesland vom Pflegenotstand betroffen. „Wir kriegen immer mehr Alarmzurufe aus dem Pflegebereich“, sagte er in Stuttgart. Pflegebedürftige warteten teilweise monatelang auf einen Platz im Pflegeheim. Ihre Rechtsansprüche aus der Pflegeversicherung könnten sie in Baden-Württemberg teils gar nicht mehr einlösen.

Dieser Pflegenotstand sei hausgemacht, betonte Stoch. Die Landesregierung habe die Pflegeausbildung über Jahre vernachlässigt. „Die Zahl der Pflege-Auszubildenden in Baden-Württemberg geht im Unterschied zum Bundestrend zurück“, erläuterte er. SPD-Gesundheitsexperte Florian Wahl warf der Landesregierung eine schlechte Organisation der Ausbildung in der Pflege vor. So gebe es etwa kein verbindliches Curriculum für Pflegeschulen. Zudem kümmerten sich Grüne und CDU zu wenig um eine ausreichende Anzahl an Lehrkräften.

Heimaufenthalt nur in zwei Bundesländern teurer

Lucha entgegnete, das Land sei auf die generalistische Pflegeausbildung vorbereitet gewesen. „Es gab zugegebenermaßen Rückschläge durch die Pandemie, aber die Zahlen steigen jetzt wieder: 2020 haben 6585 Azubis begonnen, 2021 waren es bereits 6990, das bedeutet ein Plus von 6 Prozent.“

Stoch kritisierte ferner, dass der Eigenanteil der Pflegebedürftigen in der Heimpflege nirgends so hoch sei wie in Baden-Württemberg. Zuvor hatte eine (vdek) ergeben, dass Pflegebedürftige in baden-württembergischen Heimen besonders tief in die eigene Tasche greifen müssen. Demnach liegt die Eigenbeteiligung mit Zuschüssen im ersten Jahr des Heimaufenthalts bei 2773 Euro monatlich. Mehr zahlen müssen nur die Saarländer mit 2782 Euro. Auch mit dem höchsten Entlastungszuschlag, den es ab dem vierten Jahr im Heim gibt, stieg die Zuzahlung im Südwesten der Auswertung zufolge auf nun 1833 Euro pro Monat. Teurer war der Heimaufenthalt nur in Nordrhein-Westfalen (2005) und Sachsen-Anhalt (1942).

Rülke fordert eine sofortige Entlastungsoffensive

Der SPD-Fraktionschef forderte angesichts dieses Ergebnisses eine Entlastung bei den Heimkosten. Zudem brauche es unter anderem eine deutlich höhere Förderung der Kurzzeit- und der Tagespflege und mehr Engagement in der Pflegeausbildung, auch in den Helferberufen sowie eine bessere Pflegeberatung und -planung.

Die Situation im Land habe sich sechs Jahre nach Abschluss der Enquete-Kommission Pflege noch deutlich verschlechtert, monierte der Vorsitzende der FDP/DVP-Fraktion, Hans-Ulrich Rülke. Die Landesregierung habe die Impulse der Kommission nicht genutzt, um die Situation in der Pflege in Baden-Württemberg zu verbessern. „Wir rechnen bis 2040 unter Berücksichtigung des demografischen Wandels mit einem zusätzlichen Beschäftigungsbedarf in der Pflege von mehr als 100 000 Arbeitskräften“, sagte Rülke. Darauf müsse die Landesregierung endlich reagieren.

Der FDP-Fraktionschef forderte von der Landesregierung eine sofortige Entlastungsoffensive. Unter anderem müssten die Ausbildungskapazitäten erhöht, die Anerkennungsverfahren ausländischer Fachkräfte beschleunigt und unnötige Bürokratie abgebaut werden. Als aktueller Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz könne und müsse Sozialminister Lucha jetzt Impulse für Verbesserungen der Pflege setzen. FDP-Gesundheitsexperte Jochen Haußmann forderte überdies einen Pflegegipfel für Baden-Württemberg sowie einen Runden Tisch zum Thema Arbeits- und Fachkräftegewinnung für die Gesundheitsberufe.

„Mittel in den vergangenen Jahren erheblich gesteigert“

Lucha wehrte die Vorwürfe ab. Baden-Württemberg verfüge derzeit etwa über feste 1000 Kurzzeitpflegeplätze, dazu kämen noch flexibel genutzte Plätze. „Alleine seit 2019 haben wir 329 Kurzzeitpflegeplätze mit mehr als 15 Millionen Euro gefördert“, erklärte er. „Die Mittel haben wir in den vergangenen Jahren erheblich gesteigert.“

Die wesentlichen Werkzeuge lägen aber auf Bundesebene, betonte der Sozialminister. „Auch hier sind wir kräftig aktiv, nicht zuletzt als Initiator und Vorsitzland der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung.“

Der wichtigste Vorschlag Baden-Württembergs unter vielen sei die Deckelung der Eigenanteile der Pflegebedürftigen. „Diese explodieren, das müssen wir dringend stoppen“, sagte Lucha. „Hier lade ich SPD und FDP gerne ein, ihre guten Drähte zum Bundesgesundheitsminister und zum Bundesfinanzminister zu nutzen und mit dafür zu sorgen, dass der Bund das Thema Pflegereform endlich anpackt.“