Das denkmalgeschützte Gebäude des Pflegeheimes Obertor steht vor der Sanierung. Auf dem Foto von links: Marco Endhart (stellvertretender. Pflegedienstleiter), Lisa Mueller , Thilo Naujoks (Geschäftsführer der Städtischen Pflegeheime) und Peter Müller. Foto: Roberto Bulgrin

Die Zahl der älteren Menschen steigt und damit auch die Zahl der Pflegebedürftigen. Gleichzeitig macht der Mangel an Pflegefachkräften der Branche zu schaffen. Während anderswo Einrichtungen schließen, wollen die Esslinger Pflegeheime ausbauen.

Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt und steigt, doch gleichzeitig verlieren offenbar immer mehr Investoren das Interesse an Pflegeheimen – und immer mehr Standorte werden aufgegeben. In Esslingen will man sich jetzt gegen den Trend stellen und die Städtischen Pflegeheime in den kommenden Jahren massiv ausbauen. Neben einem großen Neubau sind auch dezentrale Einheiten mit alternativen Wohnformen geplant. Zudem will die Stadt einen eigenen ambulanten Pflegedienst aufbauen.

Für Thilo Naujoks, Geschäftsführer der Städtischen Pflegeheime, ist es ein alarmierendes Zeichen, dass sich immer mehr Investoren von klassischen Pflegeimmobilien abwendeten, wie er sagt. Schließlich sei die Pflege unbestritten ein Wachstumsmarkt, so Naujoks: „Der Bedarf nimmt immer weiter zu.“ Doch angesichts des eklatanten Mangels an Pflegepersonal könnten viele Standorte nicht mehr ausgelastet werden und würden so unwirtschaftlich – und nicht selten letztlich aufgegeben. Um solche Szenarien in Esslingen zu vermeiden, hat Naujoks mit seinem Team eine Zukunftsstrategie für die kommenden zehn Jahre und darüber hinaus entworfen, die er im jüngsten Verwaltungsausschuss präsentiert hat.

Großes neues Pflegeheim in Esslingen geplant

Kern der neuen Strategie ist ein stückweit ein Paradigmenwechsel. Hatte man bislang eher kleinere Quartiershäuser favorisiert, setzt man nun unter anderem auf ein großes neues Pflegeheim mit 90 bis 100 Plätzen. Dieses soll helfen, die Personalengpässe besser auszugleichen, die angesichts des sich zuspitzenden Pflegekräftemangels immer häufiger zutage treten. „Ein großes Pflegeheim wäre zudem ein großer Vorteil, weil sich dort viele Synergien ergeben würden“, sagt Naujoks. Darüber hinaus will man auch auf neue Wohnformen in der Pflege setzen: „Wir wollen unser Portfolio in Richtung ambulante Angebote erweitern“, sagt Thilo Naujoks. So strebe man die Einrichtung von drei ambulant betreuten Wohngruppen sowie 16 Appartements für betreutes Wohnen an. Für mögliche Standorte in Mettingen und Zell lägen sogar bereits positive Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie vor.

So könnte etwa auf dem Gelände der ehemaligen Grundschule im Altenbergweg 15 in Mettingen eine Wohngemeinschaft mit zwölf Plätzen realisiert werden. In Zell „Am alten Neckar“ wäre der Bau von zwei Wohngemeinschaften mit je zwölf Plätzen und von 16 Appartements für betreutes Wohnen möglich – zumindest, wenn der Bebauungsplan dementsprechend geändert würde.

Mit den ambulanten Angeboten wird laut Naujoks auch die Einrichtung eines eigenen ambulanten Pflegedienstes der Städtischen Pflegeheime sinnvoll. Denn schon heute nähmen viele ambulante Dienste keine neuen Versorgungsaufträge mehr an. Zudem könnte dann die ambulante Pflege auch in den bereits bestehenden Wohnanlagen des betreuten Wohnens, für die die Städtischen Pflegeheime die Funktion der Betreuungsträgerschaft innehätten, nämlich in 22 Appartements in Berkheim und 28 Appartements in der Pliensauvorstadt, die ambulante Pflege aus einer Hand angeboten werden.

Neben dem breiteren Angebot für Pflegebedürftige wären die zusätzlichen Wohnformen auch mit Blick auf den Mangel an Pflegefachkräften hilfreich, sagt Naujoks. Denn im Vergleich zum vollstationären Bereich seien hier weniger Pflegefachkräfte und dafür mehr Hauswirtschaftskräfte und Pflegehelfer im Einsatz. Angesichts des eklatanten Fachkräftemangels solle zudem die ohnehin anstehende Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes des Pflegeheimes Obertor genutzt werden, um den dortigen Personalwohnraum zu erhalten und zu erweitern. Um die Pläne voranzutreiben, die in den kommenden zehn Jahren umgesetzt werden sollen, seien allerdings zwei zusätzliche Stellen im Projektmanagement notwendig, kündigt Geschäftsführer Naujoks an. Es gebe durchaus Risiken bei dem Projekt – neben finanziellen Unwägbarkeiten angesichts rasant steigender Baukosten sei das vor allem der Mangel an Pflegefachkräften, so Naujoks. „Aber es liegen auch große Chancen im antizyklischen Verhalten als kommunaler Betrieb“, findet der Geschäftsführer.

Esslinger Pflegeheime sollen fit für die Zukunft werden

Im Moment investiere kaum jemand in Pflegeheime, „aber wir haben den Mut dazu“. Damit wolle man ein starkes Zeichen gegen den aktuellen Trend setzen und nicht nur den künftigen Bedarf an Pflegeplätzen abdecken, sondern auch den Eigenbetrieb der Städtischen Pflegeheime selbst zukunftsfähig und attraktiv machen. Im jüngsten Verwaltungsausschuss zeigten sich die Mitglieder durchweg begeistert von den Vorschlägen Naujoks. Als „Blick in die Zukunft, dem wir folgen wollen“, bezeichnete CDU-Rat Herbert Schrade die Strategie. Gabriele Kienlin (Grüne) erkannte einen „logischen Schritt, wenn man den Mut hat, voranzugehen“ und SPD-Rätin Christa Müller einen „Fortschritt par excellence“. Nachdem auch Freie Wähler, FDP, Linke, AfD sowie die Gruppe WIR/Sportplätze erhalten sich überzeugt gezeigt hatten, wurde die Zukunftsstrategie für die Städtischen Pflegeheime einstimmig auf den Weg gebracht.

Positionspapier zum assistierten Suizid

Anlass
Seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2020 steht die Inanspruchnahme einer Hilfe zur Organisation und Durchführung der Selbsttötung jedem Menschen zu. Weil die Gesetzgebungsverfahren im Bundestag, die die Suizidhilfe regulieren sollen, gescheitert sind, haben die Städtischen Pflegeheime Esslingen nun ein Positionspapier zu dem Thema erarbeitet, das im jüngsten Verwaltungsausschuss vorgestellt wurde.

Position
Die Führungskräfte der Städtischen Pflegeheime Esslingen haben sich auf eine Grundposition verständigt, die für alle Mitarbeitenden verpflichtend ist. Demnach ist es den Mitarbeitenden grundsätzlich nicht erlaubt, sich an der Organisation, Durchführung oder Begleitung einer Selbsttötung zu beteiligen. In jedem Pflegeheim werden Ethikberatungsteams eingerichtet, die beratend tätig werden, wenn ein Bewohner oder eine Bewohnerin Todeswünsche äußert.