Lisa Nierlein vom Sozialdienst (links) bringt Lotte Seerich (rechts) und einer Mitbewohnerin einen frischen Kaffee. Foto: Roberto Bulgrin

Der Gedanke an das Altenpflegeheim löst bei vielen Unwohlsein aus. Aber es gibt auch ältere Menschen, die freiwillig in ein Heim ziehen wollen. Lotte Seerich erzählt aus ihrem Alltag im Pflegeheim Berkheim.

Der Duft von frischem Apfelkuchen und Kaffee liegt beim Betreten des Altenpflegeheims in Esslingen-Berkheim in der Luft. Auf den oberen Stockwerken wird gegessen, sich unterhalten und ein Nickerchen gemacht. In der Cafeteria in unmittelbarer Nähe des Eingangsbereichs sitzt die 94-jährige Bewohnerin Lotte Seerich und trinkt eine Tasse Kaffee. Sie lebt seit etwa fünf Jahren im Altenpflegeheim und lässt an ihrem Alltag teilhaben.

Ihr Tag beginnt früh: „Etwa um 6 Uhr wache ich automatisch auf und versuche ein wenig Gymnastik zu machen, denn so startet man direkt beweglicher in den Tag“, sagt Lotte Seerich. Sie versuche so gut es eben geht, ihre alltäglichen Abläufe in die eigene Hand zu nehmen und nicht von den Pflegerinnen und Pflegern abhängig zu sein. „Die haben schon ohne mich zu viel zu tun und solange ich noch fit bin, kann ich sie damit entlasten“, sagt die 94-Jährige. Anschließend wird zusammen mit einer Mitbewohnerin in einer Nische neben ihren Zimmer gefrühstückt, geredet und Zeitung gelesen. „Wir ergänzen uns gut, tauschen schwäbische Wörter aus und erzählen uns alte Geschichten“, sagt Seerich.

Zu ihrer Morgenroutine gehöre ebenfalls, eigenständig das Heim zu verlassen und sich draußen auf dem Steg die Füße zu vertreten.

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Tagesablauf der Bewohnerin im Pflegeheim

Danach geht es an zwei Tagen in der Woche zu den Bewegungsübungen im Saal. Neben dem täglichen Sportprogramm steht auch mehrmals die Woche ein Gedächtnistraining auf dem Plan. Für Lotte Seerich ist es wichtig, dass sie auch in ihrem Alter noch weiterhin geistig fit bleibt. Sie habe dazu eine Leidenschaft für ein Geduldspiel mit Karten entwickelt. „Das Spiel hilft mir nicht nur fit im Kopf zu bleiben, sondern ist auch ein guter Zeitvertreib“, sagt Seerich.

Nach einem kurzen Mittagsschlaf geht es dann vom Nachmittagsprogramm, bestehend aus gemeinsamen Spiele- und Vorleserunden, zum Abendessen mit den Mitbewohnern. Über die Qualität des Essens im Pflegeheim könne sie sich nicht beschweren. „Manchmal würde ich mir dennoch Spätzle, anstatt beispielsweise Kartoffeln wünschen“, sagt sie. Am Abend sitzt sie gerne noch vor dem Fernseher, bevor dann gegen 21 Uhr geschlafen wird.

Ein Stück Normalität in den Alltag der Bewohnern bringen

„Wir versuchen, die alltäglichen Dinge bestmöglich in das Leben der Bewohner zurückzubringen“, sagt Lisa Nierlein, Sozialdienst im Pflegeheim Esslingen-Berkheim. Das gelinge mit Ausflügen, wie beispielsweise zum Tierpark Nymphaea oder zu einem Einkaufszentrum, wo neue Kleidung gekauft wird. Vor allem zur Coronazeit durften die Bewohner nicht aus ihren Zimmern und das war für alle Beteiligten eine schlimme Zeit. „Manche konnten sich noch mit sich selbst beschäftigen und zum Beispiel lesen oder Spiele spielen, aber die meisten sahen sich mit ihren Ängsten und dem Alleinsein konfrontiert“, sagt Nierlein.

Für die medizinische Betreuung der Bewohner sind Hausärzte aus Berkheim zuständig, die bei Bedarf gerufen werden und in regelmäßigen Abständen zur Kontrolle ins Altenpflegeheim kommen.

Lotte Seerich fühle sich im Allgemeinen sehr wohl im Pflegeheim und weiß noch ganz genau, an welchem Tag sie einzog: „Am sechsten Dezember und das Erste was ich hier wahrgenommen habe war ein Nikolaus“, sagt sie. Ihr persönliches Highlight in diesem Jahr ist das Schlagerfest im Pflegeheim gewesen: „Das war eine lustige Sause, bei der alle getanzt und gesungen haben.“ Natürlich gibt es auch Tage, an denen vieles trist und monoton erscheint, aber der Rückhalt ihrer Familie und die kleinen, schönen Momente lassen vieles vergessen. So telefoniere sie jeden Abend mit ihrer Tochter und bleibe mit ihren Enkelkindern im regen Kontakt.

„Mein Glas ist immer halb voll, nie halb leer“

Jeden Samstag bekommt sie auch Besuch von ihr. „Meine Tochter hätte mich gerne noch länger bei sich gehabt, aber ich wollte nicht ewig auf ihrer Tasche liegen und ihre Zeit vergeuden“, sagt Lotte Seerich. So habe sie sich aus freien Stücken heraus entschieden, ins Pflegeheim zu ziehen und könne sich zum Glück gut anpassen. Ihre positive Einstellung zum Leben hat sich auch im Alter von 94 Jahren nie verloren: „Mein Glas ist immer halb voll, nie halb leer.“ Sie habe es bisher noch nie bereut, in das Altenpflegeheim gezogen zu sein. „Man kann jederzeit seine Wünsche und Probleme äußern und das Team hilft einem direkt“, sagt sie.

Die positive Einstellung zum Leben nicht verlieren

Früher war vor allem das Reisen ihre Leidenschaft. Dazu hat sie mittlerweile auch ihr eigenes „Reise-ABC“ entwickelt und kann zu jedem Buchstaben ein besuchtes Land nennen. Nach dem Tod ihres Mannes hat sie auch niemals die Begeisterung am Reisen verloren, hat einen neuen Freund kennengelernt und ist mit diesem noch an verschiedenen Orten gewesen. Der letzte gemeinsame Urlaub sei Norwegen gewesen.

Mittlerweile kann sie dieser Passion nicht mehr nachgehen, aber sieht das Ganze trotzdem realistisch: „Ich habe viel erlebt, viele Geschichten zu erzählen, aber für mich ist nun ein anderes Kapitel angebrochen, das man anders betrachten muss.“ Auch nach einem Schlaganfall, nachdem sie zwischenzeitlich im Rollstuhl saß, hat sie nicht aufgegeben. „Ich habe mich wieder hochgekämpft und kann heute wieder mit dem Rollator laufen“, sagt Lotte Seerich.