Die verbleibende Zeit bis zur Bundestagswahl ist knapp, die Parteien buhlen um jede Stimme. Ist das politische Klima auch rauer als sonst? Ein Rundgang in Esslingen.
Die Infostand-Dichte auf der Inneren Brücke ist groß. Neben den Parteien CDU, SPD, Die Linke, FDP und Volt sind auch die „Omas gegen rechts“ vertreten. Die Grünen haben ihren Stand an diesem Samstag beim Schelztorturm aufgebaut, die AfD auf dem Bahnhofsvorplatz. Die Wahlkämpfer und -kämpferinnen gehen mit ihren Informationsmaterialien aktiv auf die Passanten zu, von denen allerdings viele abwinken – oder auch mal eine Bemerkung hinwerfen, wie: „Euch etablierte Parteien wählen wir nicht mehr“, ohne sich auf eine Diskussion einzulassen. Das hat Aglaia Handler, Ortsvereinsvorsitzende und Stadträtin der CDU, an diesem Morgen schon zwei Mal gehört. Dass auf Inhalte und Parteien geschimpft werde, sei normal, sagt sie, aber der Umgangston sei schon harscher geworden. Dabei hätten alle, die sich ehrenamtlich in ihrer Freizeit engagieren, Respekt und einen anständigen Tonfall verdient, findet sie.
„Es gibt einfach einen Riesenfrust bei den Bürgern, und das ist ja auch nachvollziehbar, bei dem Stillstand, den wir hatten“, meint die FDP-Bundestagskandidatin Laura Hahn. Ihrer eigenen Partei werde der Stillstand aber nicht zugeschrieben, auch das Ampel-Ende werde ihr nicht angekreidet. Die junge Kandidatin empfindet den Wahlkampf in Esslingen als angenehm, im Nachbarkreis Göppingen sei aber die 19-jährige FDP-Kandidatin auf Facebook von der AfD „massiv angegangen und diffamiert“ worden.
Bei den „Omas gegen rechts“ gibt es auch Opas
Zwischen FDP und CDU stehen in der Inneren Brücke die „Omas gegen rechts“, bei denen auch Männer und Kinderlose willkommen sind. Sie bilden zwar keine Partei, beziehen aber gerne politisch Stellung. „Ich mache das unheimlich gern, auf Leute zuzugehen und ins Gespräch zu kommen“, sagt Dorothee Schäfer. Eine Passantin winkt ab, sie will kein Flugblatt, sagt aber: „Ich find’ euch super.“ Die Reaktionen seien überwiegend positiv, so die „Omas“. Manche Menschen reagieren aber auch sehr ablehnend gegen die klare Positionierung „gegen rechts“: Einer habe im Vorbeigehen einen AfD-Bändel gezeigt, ein anderer gemurmelt, dass er intelligenter sei. Bei der Partei Die Linke hat auch gerade einer im Vorbeigehen einen Satz fallen lassen. „Ich bin Linkshänder, das reicht“, sagte er und sorgt damit für Gelächter am Stand. Bundestagskandidat Martin Auerbach betont, dass er „schon viele gute Gespräche gehabt“ habe. Dass die bisherigen Regierungsparteien – auch die der Vorgängerregierungen – einigen Unmut abbekommen, kann er sich vorstellen und findet es nachvollziehbar. Auch die Lokalpolitik spiele klar in die Bundestagswahl mit rein.
Aggressionen spürt Karin Roth nicht
Um Personen gehe es in den Gesprächen kaum, sagen die Vertreter der SPD vor dem Palmschen Bau: weder um Olaf Scholz noch um Friedrich Merz, stellt Mats Goch, einer der Ortsvereinsvorsitzenden, fest. Seine Schicht geht gerade zu Ende. Er fand die Stimmung wie seine Parteigenossin Britta Brauchle angenehm. Wenn es doch mal Anwürfe kämen, könne man damit umgehen. Viele Leute hätten betont, sie wollten, „die Extreme verhindern“. Aggressionen spüre man eigentlich keine, sagt auch die frühere langjährige Bundestagabgeordnete Karin Roth. Allerdings seien viele nicht mehr bereit, sich auf ein längeres Gespräch einzulassen – das habe sich verändert.
Volt klagt über beschädigte Plakate
Neben der SPD steht die junge Partei Volt, die zum ersten Mal zur Bundestagswahl antritt, an einem lilafarbenen Fass. Volt-Stadträtin Anita Maticevic ist zufrieden, die Gespräche seien durchweg positiv. „Wir versuchen auch, positiv zu kommunizieren und auch Sachen, die gut laufen, ins Gespräch zu bringen.“ In Esslingen seien allerdings schon relativ viele Volt-Plakate beschädigt worden. Bei den Grünen ist das ähnlich, es komme häufiger vor als in früheren Wahlkämpfen, sagt Stadträtin Carmen Tittel. Aber die Gespräche auf der Straße seien gut, politische Auseinandersetzung sei schließlich willkommen. Mitstreiterin Isabel Cohnen findet am Ende ihrer Schichte, dass es „fair“ zugegangen sei. Wobei die Engagierten offensichtlich auch schon an einiges gewöhnt sind. Zurufe aus Autos, wenn sie plakatieren, oder „Verdrehung, Verleumdung, Verletzung“ auf Social Media, das gebe es natürlich schon, bemerken sie im Nebensatz.
AfD spricht von „super-positiver“ Stimmung
Bleibt an diesem Samstag noch die AfD mit ihrem recht großen Stand auf dem Bahnhofsvorplatz. Ihr Stadtrat Jürgen Häußler spricht von „super-positiver“ Stimmung. Es kämen zwar nur wenige Esslinger an den Stand, „weil sie sich nicht getrauen“. Aber mit anderen komme man ins Gespräch, auch mit vielen Migranten, die sich selbst ein Bild machen wollten.
Die Vorbereitungen laufen
Wahlkampfzeit
Es ist nicht gesetzlich festgeschrieben, in welcher Zeit der Wahlkampf erlaubt ist. Die „heiße“ Phase beginnt in der Regel sechs Wochen vor dem Wahltag, der aktuell am 23. Februar ist. Ohne das vorzeitige Ende der Ampelkoalition wäre der Wahltermin regulär auf den 28. September gefallen.
Inhalte
Eine Übersicht über die Wahlprogramme der verschiedenen Parteien findet man im Internet bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: www.bundestagswahl-bw.de/bundestagswahl-wahlprogramme. Ab dem 6. Februar, später Vormittag, kann man auch den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung nutzen.