Für Regierungsangestellte wie Jen Psaki, Pressesprecherin des Weißen Hauses, gilt künftig eine Impfpflicht. Foto: dpa/Andrew Harnik

Die Empörung über den Impfvorstoß des US-Präsidenten ließ nicht lange auf sich warten. Führende Republikaner vergleichen den Präsidenten mit einem Tyrannen.

Washington - Der republikanische Gouverneur von Texas, Greg Abbott, gebraucht den Begriff der „Machtergreifung“. Sein Kollege Henry McMaster aus South Carolina gelobt, US-Präsident Joe Biden „bis an die Pforten der Hölle zu bekämpfen“, um „die Freiheit“ der Bürger seines Bundesstaates zu schützen. Während der Gouverneur von Arizona Bidens Sechs-Punkte-Plan gegen die Covid-Pandemie mit einem Wort als „diktatorisch“ zurückweist. Alle drei erwägen, die Bundesregierung wegen ihres Pandemie-Plans zu verklagen.

Das ist nur eine kleine Auswahl an Reaktionen aus weiten Teilen des Landes, in denen die Infektionen mit dem Delta-Virus hoch und der Impfwille niedrig ist. Der Bibelgürtel des Südens und die Cowboystaaten im Westen und Südwesten gehören zu den Regionen, die den größten Teil der täglich fast 150 000 Neuinfektionen und rund 1 500 Covid-Toten beisteuern. Der Erreger hat hier leichtes Spiel, weil die Impfquoten weit unter dem nationalen Durchschnitt von 62 Prozent liegen.

80 Millionen ungeimpfte Erwachsene

Nach Ansicht von Analysten wie Steve Schmidt hat die Politisierung der Coronapandemie mit der Ankündigung des US-Präsidenten einer de facto Impfpflicht für fast 100 Millionen Arbeitnehmer einen neuen Siedepunkt erreicht. „Wir leben in einer Zeit der Falschinformationen und der Verrücktheiten“, kritisiert der Politstratege den Versuch, aus Covid politisches Kapital zu schlagen. „Genug ist genug.“

So ähnlich hatte es auch der Präsident gesagt, als er sich am Donnerstag an die Nation wandte. „Wir waren geduldig, aber unsere Geduld ist am Ende“, erklärte Biden im Weißen Haus den Hintergrund seines Vorstoßes. Die große Mehrheit der Amerikaner täte das richtige. Es sei eine „bestimmte Minderheit“ von Leuten, die von einer „bestimmten Minderheit“ von Politikern unterstützt werde, und das gesamte Land daran hindere, die Pandemie zu besiegen. „Ihre Weigerung hat für uns alle einen Preis.“

Die Zahl der Nicht-Geimpften liegt bei etwa 80 Millionen Erwachsenen. Hinzu kommen Kinder und Jugendliche, für die es bisher keinen Impfstoff gibt. Experten fürchten, dass die jungen Menschen die Hauptleidtragenden der Impfverweigerung werden, weil sie nicht durch eine Herdenimmunität geschützt werden können.

Politik der Anreize ist unzureichend

Bidens Plan sieht vor, dass alle Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern einen Impfnachweis ihrer Angestellten haben müssen oder nachweisen können, dass diese mindestens einmal in der Woche getestet werden. Die Ausführungsbestimmungen werden von der Arbeitsschutzbehörde OSHA erlassen, die in den USA die Aufgabe hat, die Sicherheit am Arbeitsplatz zu gewährleisten. Verstöße werden mit einem Bußgeld von 14 000 Dollar je Fall geahndet.

Die Regierung verlangt darüber hinaus von allen Bundesbediensteten einen Impfnachweis. Ein negativer Test reicht künftig nicht mehr aus. Dieselben Regeln sollen für alle Unternehmen und Dienstleister gelten, die im Auftrag der Regierung tätig sind. Etwa im Straßenbau oder als Berater. Ebenso müssen Empfänger von Bundesmitteln in Alten- und Pflegeheimen sowie in Krankenhäusern ihr Personal impfen oder die Arbeitsverhältnisse kündigen.

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„Wir werden die geimpften Arbeiter vor ihren nicht geimpften Kollegen schützen“, versprach Biden, der aus seiner Frustration über die „Pandemie der Ungeimpften“ kein Geheimnis macht. Zu den Fakten gehört, dass in den USA mehr als 80 Prozent der Neuinfektionen und über 90 Prozent der Krankenhausaufenthalte und Todesfälle Patienten ohne vorherigen Impfschutz sind.

Die bisherige Politik der Anreize hat sich als unzureichend erwiesen, den Widerstand gegen die Impfung in ländlichen und konservativen Gebieten zu brechen. Mit mehr als 655 000 Covid-Toten führen die USA die internationale Statistik in absoluten Zahlen an. Bezogen auf die Bevölkerungsgröße verzeichnet das Land etwa doppelt so viele Tote wie Deutschland.

Die Behandlung der Nicht-Geimpften verursacht darüber hinaus hohe wirtschaftliche Kosten, die sich in den jüngsten Zahlen vom Arbeitsmarkt spiegeln. Das erklärt, warum die meisten Wirtschaftsverbände sowie die Handelskammer positiv oder abwartend auf die Pläne des Präsidenten reagierten.