Das Klinikum Esslingen operiert jährlich viele Patientinnen und Patienten am Knie und an der Hüfte. Doch wie läuft so ein Eingriff ab? Ein Interview.
Im Gespräch erzählt Professor Peter Richter, wann es sinnvoll ist, über einen Gelenkersatz nachzudenken. Das Team um den Chefarzt der Esslinger Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie operiert mit modernsten Verfahren. Dennoch gibt es Fälle, in denen die Mediziner zunächst einmal von dem Eingriff abraten.
Den einen zwickt es in der Leiste. Die andere hat ein knarzendes Knie. Sind das Fälle für einen Arztbesuch?
Nicht hinter jedem Knarzen und Knacken steckt automatisch eine Krankheit. Aber sobald Beschwerden auftreten, sollte man sich an einen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie wenden. Wenn eine leichte Arthrose vorliegt, kann man Maßnahmen ergreifen, um das Fortschreiten aufzuhalten oder zu verlangsamen.
Welche Maßnahmen können das sein?
Es gibt immer ein paar Faktoren, manche davon kann man beeinflussen, andere nicht. In unserer Gesellschaft steigt der Anteil an Übergewichtigen. Das Gewicht ist etwas woran man persönlich arbeiten und so die Beschwerden reduzieren kann.
Außerdem ist regelmäßige Bewegung ganz entscheidend, um Arthrose zu verlangsamen. Zuletzt geht es um die Einstellung von Krankheiten wie Zucker, Rheuma und so weiter. Diese kann man durch Medikamente beeinflussen.
Wann raten Sie aber zu einer OP?
Wir sagen plakativ, wenn die Schmerzen den Alltag dominieren. Wichtig ist, dass davor die konservative Therapie ausgereizt ist. Das kann zum Beispiel durch Physiotherapie erfolgen. Nur wenn dies nicht angeschlagen hat, ist die Zeit reif für eine Operation.
Welche Ursachen außer Arthrose können zur Notwendigkeit eines Gelenkersatzes führen?
Am Ende sind es verschiedene Prozesse, die zum Abbau des Knorpels führen können. Irgendwann ist der Knorpel weg und es kommt zu Schmerzen. Neben der Arthrose sind es weitere Ursachen wie Unfälle, aber auch Rheuma oder eine Gelenksinfektion. Fehlstellungen der Beine begünstigen besonders die Kniegelenksarthrose.
Mit welchen Verfahren wird operiert?
Sowohl bei der Hüfte als auch beim Kniegelenk wir die gesamte Bandbreite der Endoprothetik an. Beim Kniegelenk implantieren wir sowohl den Teilersatz, der häufig als Schlittenprothese bezeichnet wird. Eine Vollprothese setzen wir bei den meisten Patienten ein. Dabei verwenden wir am Klinikum Esslingen ein Navigationssystem. So wird im OP das Knie genau vermessen, um die Prothese präzise für den Patienten implantieren zu können. Des Weiteren gibt es fortgeschrittene Kniegelenksarthrosen, bei denen eine gekoppelte Prothese eingesetzt werden muss. Dabei werden die Innen- und Außenbänder durch eine Art Scharnier gestützt . Bei der Hüfte operieren wir von der zementfreien Prothese bis hin zur Revisionsprothese.
Revision bedeutet, dass ein Patient schon jahrelang eine Prothese hat, die getauscht werden muss. Wie langlebig sind die Prothesen?
Man sagt, 10 bis 20 Jahre, je nach Gelenk. Wobei wir hoffen, dass die neueren Werkstoffe noch langlebiger sind. Aber Prothesen werden ja individuell beansprucht: Bewegung oder Belastung können zur Lockerung oder Abnutzung einer Prothese führen. Ein anderer Grund kann sein, dass man fällt und sich den Oberschenkel um die Prothese bricht. Dann muss auch getauscht werden.
Können Prothesen individuell angepasst werden oder gibt es nur Standardgrößen?
Sie sind individuell anpassbar. In aller Regel gibt es eine Prothese, die man in verschiedenen Größen verwendet. Für uns entscheidend sind die Sägeschnitte, die man beispielsweise für Patienten mit O-Beinen anders ansetzen muss als für solche mit X-Beinen. Denn am Ende möchte man ein gerades und stabiles Kniegelenk erhalten.
Das machen Sie anhand der Computernavigation?
Ja, dadurch können wir genau die Sägeschnitte, die Größe der Prothesenteile und des sogenannten Inlays – einem Platzhalter im Knie – festlegen. Dann kann alles für den Patienten ausgelegt und so vorbereitet werden, dass die Prothese ideal verankert werden kann.
Wie kann ich mir diese Navigation vorstellen?
Wir verwenden ein Navigationsgeräte mit einer Infrarotkamera und einem sogenannten Pointer. Damit fährt man feste Punkte an, um zu berechnen, wo man Schnitte setzt und präzise die Prothesenteile implantiert. Das erhöht die Sicherheit für die Patienten bestmöglich und ist ein Verfahren, mit dem wir in der Region Stuttgart Vorreiter sind.
Aus welchem Material sind Prothesen?
Typischerweise Titan für zementfreie oder Stahl für zementierte Prothesen. Die Zementierten können eine Spur Nickel enthalten.
Jede OP birgt Risiken. Welche Probleme kann so ein Eingriff mit sich bringen?
Es gibt die generellen Operationsrisiken. Ansonsten kann eine Infektion oder Lockerung auftreten, die Prothese kann theoretisch auskugeln oder durch Sturz gibt es einen Bruch. All das ist zum Glück sehr selten, weil die Operation sehr gut erprobt und sicher ist.
Wie viele Prothesen setzen Sie pro Jahr in Esslingen ein?
Wir machen hier 300 bis 350 Knie- und Hüftprothesen pro Jahr. Dazu kommen ungefähr 30 Wechsel. Die Hüfte ist das Gelenk, das am häufigsten eingesetzt wird.
In welcher Altersspanne operieren Sie?
Es geht schon relativ jung los, etwa durch einen schweren Bruch, den der Hüftkopf nicht überlebt hat. Oder es gibt Patienten, die als Baby eine Hüftdysplasie hatten, und im jungen Erwachsenenalter eine Prothese benötigen. Das ist aber nicht die Regel.
Ansonsten beginnt es bei 50, 55 Jahren und steigert sich dann weiter. Wir operieren bis ins hohe Alter, auch über 90-jährige Patienten, die noch fit sind. Solche Patienten nehmen wir in ein spezifisches Nachsorgeprogramm auf, um eine Nachbehandlung zu gewährleisten, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist.
Wie läuft die übliche Behandlung nach der OP ab?
Man ist ungefähr sieben Tage in der Klinik. Bereits bei der Planung der Operation meldet man eine Reha an, um einen möglichst nahtlosen Übergang zu schaffen. Die Reha geht in der Regel drei Wochen – ambulant oder stationär. Ab dem erste Tag darf man mit dem Physiotherapeuten aufstehen und das Bein voll belasten. Bis man wieder ein flüssiges Gangbild erreicht hat, dauert es bei 55-Jährigen sechs bis acht Wochen, bei 90-Jährigen wahrscheinlich etwa drei Monate.
Und der 55-Jährige kann nach dieser Zeit wieder seinen Sport machen wie zuvor?
Die Prothesen sind so ausgelegt, dass normale Belastungen funktionieren. Da gibt es Sportarten, die geeigneter sind – Fahrrad fahren, schwimmen, spazieren gehen. Und es gibt solche, die weniger geeignet sind: Joggen, Squash, Tennis, Skifahren. Das ist nicht verboten, aber man muss sich schrittweise wieder herantasten.
Gibt es Fälle, in denen Sie von der OP abraten?
Man muss immer den gesamten Patienten sehen. Wenn jemand sehr schwer vorerkrankt ist, muss man das Operationsrisiko und den Erfolg, den man sich verspricht, abwägen. Die Osteoporose ist kein Hinderungsgrund für diesen Eingriff.
Bei sehr, sehr starkem Übergewicht werden Knie nicht implantiert, weil die Komplikationsrate damit deutlich steigt. Außerdem gibt es Faktoren, die wir versuchen, im Vorhinein zu beeinflussen: Rauchen aufhören, Zucker gut einstellen, Blutarmut vorher abklären. Dann können die Patienten möglichst gut vorbereitet in solch eine Operation starten.
Was tun Sie persönlich denn, um die Gelenke fit zu halten?
Ich versuche auf mich selbst zu achten, beispielsweise über die Ernährung sowie durch Sport. Die normale sportliche Betätigung hilft, um einer Arthrose vorzubeugen.