Außen prachtvoll, innen marode: Die Stuttgarter Oper. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt/Christoph Schmidt

Besucher haben am Sonntag bei Führungen hinter die Kulissen der Oper geblickt. Ihr Fazit: Sie waren schockiert von den räumlichen Bedingungen.

Stuttgart - Ausverkauft und ausgebucht! Nichts vermelden Theater lieber als das. Derzeit sprechen sie aber auch gern „über die nicht ganz so schönen Seiten des Hauses“, sagt Christoph Kolossa. Er hat am Sonntag eine der vielen Gruppen bei ihrem Gang hinter die Kulissen der Staatsoper begleitet. Das Interesse war groß, sehr zur Freude des Cheforganisators, „denn wir wollen darüber aufklären, wo es zwickt und hapert und warum das Haus saniert werden muss“. Zu drei „exemplarischen Stationen“ sollte der Weg gehen, entsprechend der drei „Großbereiche, für die das einschlägige Gutachten vor fünf Jahren erhebliche Mängel identifiziert hatte“, wie Kolossa erläutert.

So skizziert er zu Beginn der Führung kurz die „räumlich suboptimale Bühne“, deren schlechten technischen Zustand, einen Platzmangel von 10 000 Quadratmetern insgesamt, Verstöße gegen Arbeitsplatz- und Sicherheitsvorschriften. All das sei Alltag für die im Hause Beschäftigten. Schließlich beginnt die Führung am südlichen Ausgang, wo große Senkungsrisse in den Mauern des Littmann-Baus klaffen. „Wir lieben dieses Gebäude, aber es ist eben auch 107 Jahre alt“, sagt Kolossa. Und angesichts der kalten Zugluft am Portal fügt er hinzu: „Wir heizen hier auch für den Himmel. Deshalb kreisen die Bussarde besonders gerne über der Oper. Sie lieben die Thermik.“

Tänzer proben auf engstem Raum

Auf der Bühne wird deutlich, wie schwierig es angesichts der räumlichen Beschränkung ist, die hohen ästhetischen Maßstäbe, mit denen die Oper in der Ersten Liga spielt, im Alltag zu realisieren. Vor allem, weil es an Nebenbühnen fehlt fürs Bereitstellen von Bühnenbauten. Die südliche Nebenbühne, in den 1930er Jahren aus dem königlichen Treppenhaus gewonnen, ist zu kurz für einen Originalaufbau, sodass zwischen den Proben morgens und den Aufführungen abends alles durch „Littmanns Flaschenhals“ muss, wie die Engstelle nach dem Erbauer genannt wird. Die Bühnentechnik stammt aus drei Generationen, von einer modernen Kreuzbühne können die Opernmacher derzeit nur träumen. „Hier ist es so, wie früher mal am Theater gearbeitet wurde“, habe ein Gastkünstler kürzlich die Situation kommentiert. „Wir gehen ein hohes Ausfall-Risiko ein“, fügt Kolossa hinzu.

Schon die Gruppe von 15 Personen fühlt sich in der Umkleide der Tänzer eingeengt. In den Raum wurde nachträglich eine zweite Etage eingezogen. Und zum Entspannen steht hier ein Zweier-Sofa, das für 30 Personen ausreichen muss. „Hier arbeitet das weltberühmte Stuttgarter Ballett“, sagt Kolossa mit Blick auf den Trainingssaal. Klein und mit sperrigen Säulen unterbrochen ist der. Die Originalmaße einer Choreografie können hier nicht eins zu eins geübt werden.

Für Musiker ist nur Platz im Lager

Platz ist auch im Rest des Gebäudes Mangelware, Improvisationstalent das A und O: Die Maske für Tänzer und Darsteller ist zugleich Werkstatt für Kostüme und Perücken, Flure sind mit Schränken vollgestellt, obwohl das gegen alle Fluchtwege-Vorschriften verstößt. Auch die Musiker müssen erfinderisch sein. Rückzugsmöglichkeiten zum Umkleiden und Entspannen bietet ein vollgestellter, neun Quadratmeter großer Raum ohne Fenster. „Lager“ steht auf dem Türschild. Und wenn der Caterer zur Vorstellung anrückt, wird, so Kolossa, „der Kostümtisch zur Lachsautobahn“. In den Pausen drücken Hunderte in den Böhm-Pavillion und hoffen auf Erfrischung. Auch für Einführungsveranstaltungen „mit vielen Schulkassen etwa“ gebe es kaum Platz.

Alexander Schmitt ist Dauergast im Staatstheater, seit er 1977 als Neubürger zu seiner Hochzeit von der Stadt zwei Karten „fürs Cranko-Ballett“ geschenkt bekam. Er ist schockiert von den Bedingungen. „Vor der Führung war ich nicht zu 100 Prozent sicher, dass die Sanierung nötig ist“, sagt er. „Doch dass die Verhältnisse so katastrophal sind, konnte ich mir nicht vorstellen“, gibt er zu. „Unheimlich interessant“ findet Evi Probst die Führung. Theater brauche sie für ihren „inneren Menschen und die Gesellschaft braucht es auch“. Grenzenlos sei nun ihre „Bewunderung für die Künstler, die unter diesen Bedingungen Klasse-Leistungen zeigen“. Ein 20-jähriger Führungsteilnehmer aus Waiblingen, „über günstige Studentenkarten“ jüngst zum Fan geworden, stimmt ihr zu. Martin Zimmerle, Mittfünfziger, wägt angesichts einer Milliarde Euro, die als Kosten im Raum stehen, kurz Kosten und Nutzen ab und kommt zu dem Schluss: „Man muss das machen. Theater ist Lebensqualität. Wir brauchen das.“