Während vor 1980 noch mehr als zwei Drittel aller Betroffenen an ihrer Krebserkrankung starben, kann inzwischen mehr als die Hälfte dauerhaft geheilt werden. Denn in der modernen Krebsmedizin arbeiten Spezialisten aus den unterschiedlichsten Fachgebieten. So auch im Cancer Center Esslingen.
Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe seines Lebens an Krebs zu erkranken, wächst, weil wir immer älter werden. Das Robert Koch-Institut geht davon aus, dass sich die Zahl der Krebsfälle in Deutschland bis 2030 um rund 23 Prozent erhöhen wird. Die gute Nachricht ist jedoch, dass der Anteil der Menschen, die an Krebs sterben, seit Jahren sinkt. Das zeigen Daten, die das Statistische Bundesamt zum Weltkrebstag im Februar 2024 veröffentlicht hat. Danach ist 2002 noch jeder vierte Erkrankte (25 Prozent) an Krebs gestorben, 2022 nur noch 22 Prozent.
"Nicht automatisch ein Todesurteil"
„Auch wenn nicht jede Krebserkrankung heilbar ist, bedeutet die Diagnose heute nicht mehr automatisch ein Todesurteil“, bestätigt PD Dr. Swen Weßendorf, leitender Onkologe am Klinikum Esslingen. „In vielen Fällen können wir das Tumorwachstum aufhalten und den Patienten eine hohe Lebensqualität über viele Jahre hinweg ermöglichen.“ Die guten Prognosen hängen zum einen damit zusammen, dass sich die Möglichkeiten zur Früherkennung und Diagnostik erheblich verbessert haben. Zum anderen haben sich die Behandlungsmethoden rasant weiterentwickelt.
Stand für eine Chemotherapie in den 1990er-Jahren noch ein Kern-Set von 20 bis 30 Substanzen zur Verfügung, geht ihre Zahl inzwischen in die Tausende. Manche von ihnen sind so gut, dass sie bestimmte Wachstumsmechanismen des Tumors direkt angreifen und dadurch weniger gesundes Gewebe schädigen. Weiterentwickelt haben sich auch die Operationstechniken von offenen zu minimalinvasiven, endoskopischen Verfahren. Ebenso sind die Bestrahlungstechniken heute so präzise, dass sie praktisch nur noch das befallene Gewebe treffen.
Behandlung wird immer individueller
Darüber hinaus ist in der Forschung mittlerweile klar: Kein Tumor innerhalb eines Organs ist gleich und auch Krebszellen unterscheiden sich. Die Behandlungsstrategien werden deshalb immer individueller und zugleich komplexer. „Jeder Behandlungsschritt erfordert ein hohes Maß an Expertise – von Strahlentherapie und Chemotherapie über Chirurgie bis zur psychologischen Betreuung“, betont Professor Dr. Henning Wege, Leiter des Cancer Center Esslingen, kurz CCE. „Gute Krebsmedizin ist deshalb Netzwerkmedizin.“
Hinter den drei Buchstaben CCE verbirgt sich gewissermaßen die geballte Kompetenz in der Krebsmedizin am Klinikum Esslingen, aber auch darüber hinaus. Denn der Verbund vereint unter seinem Dach nicht nur alle an der Krebsmedizin beteiligten Fachabteilungen und Personen am Standort Esslingen. Das CCE kooperiert zugleich mit verschiedenen Praxen und externen Partnern aus der Region. Herzstück der 2019 gegründeten Dachorganisation sind die fünf zertifizierten Organkrebszentren: ein Brustkrebszentrum, ein Zentrum für gynäkologische Tumorerkrankungen, ein Darmkrebszentrum, das Lungenkrebszentrum Esslingen – Göppingen – Ludwigsburg sowie das 2019 gegründete hämatoonkologische Zentrum, das Erkrankungen des Blutsystems behandelt. „Mit dem CCE bündeln wir Fachwissen, personelle Kapazitäten und technische Ausstattung und bieten unseren Patienten ein festes Netzwerk, das sie begleitet – von der Diagnostik über die Therapie bis zur Nachsorge“, zählt Henning Wege die Vorteile auf.
Starke Lotsen an der Seite
Liegen die Befunde vom Hausarzt vor, stecken am CCE also viele Experten ihre Köpfe zusammen. In interdisziplinären Tumorkonferenzen, sogenannten Tumorboards, besprechen Onkologen, Chirurgen, Radiologen und Pathologen gemeinsam, welche Behandlungsbausteine, in welcher Kombination für den Patienten am sinnvollsten sind. Je nachdem, ob die Lunge betroffen ist, die Gebärmutter oder ein Lymphknoten, sind zudem Pneumologie, Gynäkologie und Innere Medizin mit dabei. Ist ein Darmtumor abzuklären, organisiert das Team in kürzester Zeit alle notwendigen Termine und Bilder, damit der Patient schnellstmöglich die besprochenen Therapieelemente erhält.
Pro Jahr sprechen die Expertengremien des CCE auf diesem Weg mehr als 2000 individuelle Tumorkonferenzempfehlungen aus. „Wir sind gewissermaßen die Lotsen durch die komplexen Wege in der Krebsmedizin und übernehmen die komplette Logistik“, erklärt Swen Weßendorf. „Das entlastet Betroffene wie Angehörige und spart wertvolle Zeit.“
Als Besonderheit hat das CCE vor einigen Jahren außerdem eine Kooperation für molekulare Tumorkonferenzen etabliert. In diesem speziellen und noch relativ jungen Feld geht es darum, den genetischen Code eines Tumors im Labor zu entschlüsseln. Oder anders gesagt: die Eigenschaften, die für das Tumorwachstum verantwortlich sind, zu identifizieren und die Therapie genau auf diese Treibermutationen abzustimmen. Im Rahmen dieser sogenannten Präzisionsonkologie arbeitet das CCE eng mit Speziallaboren der umliegenden Uni-Kliniken zusammen. Dort werden die Proben der Patienten aufwendig auf Treibermutationen untersucht und anschließend in den molekularen Tumorkonferenzen besprochen. Per Video sind Molekulargenetiker, IT-Experten, Humanbiologen und andere Fachleute zugeschaltet, um eine – im wahrsten Sinne des Wortes – individualisierte Krebstherapie zu finden.
Um die Wirksamkeit neuer Behandlungsstrategien zu prüfen und in der modernen Krebsmedizin mitzuwirken, beteiligt sich das CCE zudem jährlich an rund 60 klinischen Studien. „Unsere Ärzte sind eng mit wissenschaftlichen Studiengruppen und Fachgesellschaften weltweit verzahnt und können neueste Erkenntnisse schnell an Betroffene weitergeben“, erläutert Weßendorf. Tumorpatienten, die an einer Studie am CCE teilnehmen möchten, erhalten Zugang zu innovativen, noch nicht frei zugänglichen Medikamenten und werden besonders engmaschig überwacht.
Ganzheitliches Konzept
Neben moderner Krebsmedizin finden Betroffene am CCE auch einen ganzheitlichen Ansatz aus stationären und ambulanten Angeboten. Eine erste Anlaufstelle für Betroffene ist der psychoonkologische Dienst, der rund um die Uhr erreichbar ist. Bei der Bewältigung von Nebenwirkungen helfen speziell geschulte onkologische Pflegekräfte. Und der Sozialdienst betreut Patienten sozialmedizinisch und berät bei sozialrechtlichen und beruflichen Fragestellungen. Außerdem gibt es am Standort eine Musiktherapie, eine Ernährungsmedizin und mit dem Kompetenznetz für Integrative Medizin vielfältige Angebote aus der Komplementärmedizin: Aromatherapie etwa, Yoga oder auch Beratung zur Misteltherapie. Alles ergänzende Angebote, um die Folgen und Auswirkungen der Krebserkrankung für die Patienten zu lindern.
Ambulante Therapie
Zu einem Zugewinn an Lebensqualität trägt auch bei, dass heute viele Therapiebausteine ambulant erfolgen können. Zentraler Bestandteil am CCE ist dafür das Ambulante Therapiezentrum. Die Räume sind hell, in warmen Farben gestrichen, an den Wänden hängen Mutmachbilder. Wohlfühlatmosphäre statt sterile Krankenhausstimmung, um die Patienten abzulenken, die hier zum Beispiel eine Chemotherapie oder Bluttransfusionen bekommen. Damit die Patienten auch außerhalb der Klinik gut betreut sind, gibt es am CCE die Brückenpflege Stella Care. Bei dem Projekt knüpfen onkologische Pflegefachkräfte bereits in der Klinik den ersten Kontakt zu den Patienten und machen bei Bedarf auch Hausbesuche. Dabei nehmen sie sich die Zeit, um notwendige Hilfestellungen zu geben, ausgiebig zu beraten und alle noch offenen Fragen rund um die Therapie in Ruhe zu beantworten.
Für die Fälle, die trotz moderner Krebstherapie nicht heilbar sind, bietet die Palliativstation Therapiemöglichkeiten, die lebensverlängernd und symptomlindernd sind. Wer im häuslichen Umfeld nicht ausreichend versorgt ist, bekommt hier eine Behandlung, um die Beschwerden der Tumorerkrankung erträglicher zu machen.
Im Kampf gegen Krebs ist das Cancer Center Esslingen also gut aufgestellt und gewappnet. Das zeigen auch die Zertifizierungen durch die Deutsche Krebsgesellschaft, eine Art TÜV-Siegel der Medizin. Die jährlich durchgeführten Audits belegen beispielsweise, dass pro Jahr eine bestimmte Mindestanzahl an Chemotherapien oder Eingriffen nach vorgegebenen Standards durchgeführt werden. „Dadurch können sich unsere Patienten auf höchste Qualität verlassen“, versichert Henning Wege. Und darauf, dass sie hier eine Anlaufstelle finden, die auch in Zukunft medizinisch auf dem aktuellesten Stand ist.