Der Kanzler überrascht im ARD-Talk: Vertrauensfrage ist vor Weihnachten möglich, es gibt keine Verknüpfung des Termins mit offenen Gesetzesvorhaben. Mit Putin will er telefonieren.
Mit einiger Spannung war das Gespräch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit Caren Miosga am Sonntagabend in der ARD erwartet worden, vor allem wegen der Frage nach dem umstrittenen Termin für die Vertrauensfrage. Und da wartete der Gast mit einer ersten Überraschung auf: Formal sei er es als Kanzler, der den Termin der Vertrauensfrage festlegen könne, aber wenn sich SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und CDU-Fraktionschef Friedrich Merz in der Sache des Termins einigten, „dann werde ich mich daran orientieren“.
Die Frage von Caren Miosga, ob denn auch ein Stellen der Vertrauensfrage noch vor Weihnachten möglich sei, bejahte Olaf Scholz. „Wenn das alle so sehen, ist das für mich kein Problem.“
Möglichst früh zu Neuwahlen
Eine von der ARD eingespielte Befragung hatte ergeben, dass nur 35 Prozent der Befragten mit einem von Scholz zunächst gestellten Vertrauensfragetermin am 15. Januar mit Neuwahlen im März einverstanden wären, 65 Prozent wollten Vertrauensfrage und Neuwahlen „zum frühesten möglichen Zeitpunkt“. Das wolle er auch, sagte Scholz, es müssten aber organisatorische Fragen geklärt werden, damit es nicht zu Berliner Zuständen komme, wo Wahlen wiederholt werden mussten.
Scholz dementierte auch die seit Tagen kursierende Annahme, dass er den Termin der Vertrauensfrage an das Verabschieden noch offener Gesetzesvorhaben von SPD und Grünen knüpfe. „Ich bin 66, da inszeniere ich doch kein Pokerspiel.“ Es gebe da keine Bedingungen, das wäre auch unangemessen, sagte er. Es gebe aber einige Gesetze, von denen man sagen könne, „das wollen wir noch hinkriegen“.
Scholz skeptisch wegen Rentenreform
Scholz nannte zwei Vorhaben, die auch mit der Union noch machbar seien: Der Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor rechtsradikalen Angriffen sowie die Abschaffung der kalten Steuerprogression mitsamt einer Erhöhung des Kindergeldes. Was die Rentenreform anbelange, da sei er skeptisch, ob das mit der Union machbar sei: Das kriege die SPD aber nach den Wahlen mit einem „neuen Mandat“ auch selbst hin. Im übrigen klebe er nicht an seinem Amt.
Auf die Frage von Caren Miosga, mit welcher Legitimation er als „gescheiterter Kanzler“ eigentlich erneut antrete als Kanzlerkandidat der SPD, sagte Olaf Scholz, dass das Wahlvolk ihm die Legitimation geben werde. Er sehe gute Chancen, dass die SPD die stärkste Fraktion im Bundestag stellen werde.
Sehr aufgeregt über Lindner
Zu Beginn der Sendung hatte sich Scholz ausführlich zu den Schwierigkeiten der Ampel-Regierung und seine Enttäuschung über Finanzminister Christian Lindner (FDP) geäußert. Er habe es drei Jahre lang oft „bis zu den Grenzen des Zumutbaren“ ausgehalten und sich um einen Konsens bemüht. „Aber manchmal geht es nicht weiter.“ Lindner habe die Milliarden für die Ukraine aus dem Etat mit Rentenkürzungen finanzieren wollen und „auf Kosten der Modernisierung und Zukunft unseres Landes“.
Das sei Deutschland nicht zumutbar. Es sei im Streit mit Lindner gar nicht um die Schuldenbremse gegangen. „Wenn es ganz dicke kommt, in einer außergewöhnlichen Situation, dann haben wir auch außerhalb des Etats Handlungsmöglichkeiten.“ Mit Lindner war das nicht machbar.
Ein Spiel alle gegeneinander
Seine harten Worte bei der Ankündigung der Entlassung von Lindner, die CDU-Chef Friedrich Merz als „unwürdig“ kritisiert hatte, rechtfertigte Scholz erneut: Er habe sich anständig, klar und deutlich ausgedrückt und für alle Bürgerinnen und Bürger verstehbar. Dass er eine stille Wut in sich getragen hat, ließ der Kanzler aber auch erkennen: „Es hat gereicht.“ Tagelang habe er mit Lindner über dessen Wirtschaftspapier diskutiert, das bereits eine Aufkündigung der Koalition gewesen sei, und man habe „bis zuletzt versucht, die Dinge klein zu kriegen“. Das sei misslungen.
Schon einmal, bei den sich über 80 Stunden hinziehenden Etatverhandlungen im Sommer, habe er sich über Lindner „sehr aufgeregt“ wegen einer Indiskretion. Damals ging es um Finanzierungsmöglichkeiten des Autobahnbaues ähnlich wie bei der Bahn. Nur eine Woche nach den Beratungen sei Lindner mit einem Gegengutachten zu den Plänen an die Öffentlichkeit gegangen.
Ohne seine Bemühungen um Kooperationen und Kompromisse, so Scholz, wäre die Koalition schon früher beendet gewesen, sie wäre vermutlich auch gar nicht erst entstanden. „Ich habe oft gute Miene zum ziemlich bösen Spiel gemacht.“ Die öffentlich ausgetragenen Streitereien der Ampel hätten sich im übrigen nicht per Knopfdruck beenden lassen. Er habe alles versucht, damit es weiter gehe. „Aber irgendwann lässt sich das Spiel alle gegeneinander nicht weiterführen.“
Von Elon Musk beleidigt
Was die neue außenpolitische Lage mit einem US-Präsidenten Donald Trump anbelangte, so hielt sich Scholz mit kritischen Worten zurück. Er bestätigte weder die von Friedrich Merz geäußerte Ansicht, Trump sei eine Gefahr für die Demokratie, noch wiederholte er ein von ihm stammendes Zitat in einem Interview, wonach Trump ein Rechtspopulist sei. Er werde sich bemühen um gute Beziehungen zwischen den USA und Europa sowie zwischen den USA und Deutschland. „Dies war eine demokratische Wahl – und das verbindet uns mit den USA.“ Die Vereinigten Staaten seien immer noch die mächtigste Demokratie der Welt.
Auf eine Schmähung von Elon Musk, dass Scholz ein Narr sei, ging er vage ein: Das adele ihn, er kommentiere aber keine Aussagen von Tech-Milliardären. Dem Wahlsieger Donald Trump habe er zur Wahl bereits gratuliert, sagte Scholz, ein Telefonat mit ihm sei „in Vorbereitung“. Auch mit Russlands Präsident Wladimir Putin will Scholz „demnächst“ telefonieren, er warte den richtigen Zeitpunkt für ein solches Telefonat ab, vor dem er aber viele Gespräche „mit anderen“ führen wolle.
Nur 16 Prozent? Das ist aufholbar
In Friedrich Merz sieht er einen guten Herausforderer im Rennen ums Kanzleramt: Es gebe bei ihnen große Unterschiede hinsichtlich des Charakters und des Temperaments: „Ich finde mich etwas cooler als Friedrich Merz, wenn es um Staatsangelegenheiten geht.“ Auf den Hinweis von Caren Miosga auf die niedrigen Umfragewerte der SPD – sie rangiert bei 16 Prozent –entgegnete Scholz, das sei ein „aufholbare Größenordnung“.
Er habe in Hamburg als Bürgermeister schon mal die absolute Mehrheit für die SPD und ein anderes mal über 40 Prozent geholt. Er glaube, dass die Bürger die SPD wählen werden, weil sie das Land zusammenhalte. Im übrigen könnten Demoskopen sich auch irren, wie das Beispiel der USA und die letzte Bundestagswahl gezeigt habe.