Foto: Ines Rudel

Esslingen ist schön, hat aber auch Ecken und Kanten. Die Eßlinger Zeitung zeigt in einem alternativen Stadtrundgang besondere Stellen, die ein künftiges Stadtoberhaupt kennen sollte. Die oder der neue OB wird am Sonntag gewählt.

Esslingen - Am Sonntag wählt Esslingen einen neuen Oberbürgermeister. Die Eßlinger Zeitung zeigt zu diesem Anlass der Kandidatin und den Kandidaten besondere Plätze, mit denen sich das neue Stadtoberhaupt ab Tag Eins beschäftigen muss. Dabei müssen die Kandidaten gar nicht weit gehen. Die alternative Führung durch die Innenstadt beginnt gleich neben dem Rathaus - auf dem Marktplatz.

Marktplatz Esslingen

Der Marktplatz gehört zu den besonders schönen in Deutschland - aber auch nur, was die Kulisse angeht. Wenn hier Markttag ist oder (vor Corona) Feste gefeiert wurden, spielt er seinen ganzen Charme aus mit der alten Häuserzeile am Nordrand, den Kirchen am Süd- und am Westrand und der Öffnung zum Rathausplatz im Osten. Umso trostloser aber ist es, wenn nichts los ist. Ein fürchterlicher Flickenteppich aus Asphalt, kaum Struktur, wenig Sitzgelegenheiten, umsäumt von Parkplätzen. So viel Hässlichkeit und Einfallslosigkeit hat Esslingen nicht verdient.

Karstadt-Areal Esslingen

Vom Marktplatz lenken wir unsere Schritte über die Bahnhofstraße zum so genannten Karstadt-Areal. Dieser Platz soll bebaut werden. Doch allein die Planung verschlang Jahre. Inzwischen liegt ein genehmigter Bebauungsplan vor. Ein Mix soll es werden: Handel, Dienstleistungen, Büros, Wohnungen und eine Tiefgarage. "Alles schon beschlossen" und "der Gemeinderat wollte es so", könnte der oder die neue OB sagen. Doch das Vorhaben, egal wie schön und nützlich oder unzeitgemäß oder modern es wird: Es geht in die nächste Oberbürgermeister-Ära ein. Insofern ist es auch eine Baustelle des künftigen Rathauschefs.

Alter ZOB Esslingen

Von hier ist es nicht mehr weit zum nächsten Baufeld, dass jahrelang zu den besonders hässlichen Flecken Esslingens zählte und mit ein Grund ist, warum manche Esslinger die an sich sehr schöne Stadt in Hässlingen umbenannt haben: der alte ZOB. Hier ist man schon einen Schritt weiter als auf den Karstadt-Areal, hier wird bereits gearbeitet. Es entstehen unter anderem mittelgroße Mietwohnungen und vor allem Mikroappartements für das Heer der angeworbenen Ingenieure und andere mittelständische Arbeitskräfte, von denen viele dort ihre Zweitwohnung haben werden oder vorübergehend wohnen, bis sie was anderes gefunden haben. Was in Esslingen allerdings nicht ganz einfach ist…

Neue Weststadt Esslingen

Es treibt uns weiter westwärts: In der Weststadt entsteht das neue Hochschulgebäude. Davor stehen mehrere neue Bauklötze von zweifelhafter Attraktivität, denen die Stadt das Attribut "klimaneutral" verpasst hat. Die Mieten der Wohnungen, die teilweise an der Bahnlinie entlang liegen, sollen nicht gerade niedrig sein, wie man in der Stadt hört. Dennoch handelt sich bei dem gesamten Areal um ein außerordentliches Vorzeigemodell, mit dem man Preise gewinnen und Lob einstreichen kann, auch wenn es der scheidende Oberbürgermeister und der bereits ausgeschiedene Baubürgermeister auf den Weg brachten. 

Neckaruferpark Esslingen

Wir machen einen kurzen Abstecher durch den Bahnhof. Wenn wir auf der anderen Seite des Tunnels herauskommen, stehen wir am Ufer des Neckars. Hier soll einmal vor allem für die Bewohner der Weststadt ein Park entstehen, der Neckaruferpark. Auch dieses Vorhaben kam viele Jahre nicht vom Fleck. Zurzeit tut sich aber was. Zumindest liegen Äste umher und der Weg ist teilweise gesperrt.

Pliensaubrücke Esslingen

Zurück auf der vielbefahrenen Neckarstraße, die etwas weiter östlich in die Ulmer Straße münden wird, kommen wir zur schönsten Brücke der Stadt, die im vergangenen Jahr für deutschlandweiten Spott sorgte. Der alte Teil der Pliensaubrücke wurde saniert, die Stadtoberhäupter klopften sich gegenseitig auf die Schultern, doch der Spaß war nur von kurzer Dauer. Klammheimlich wurde die Brücke für Fahrradfahrer gesperrt, eine offizielle Begründung folgte erst, als die Empörungsrufe selbst die dicken Mauern des Rathauses durchdrungen hatten. Man hatte vergessen ein Geländer auf die Randmauern aufzusetzen, dass die hochsicherheitsbedürftige Bauleitung als dringlich ansah, auch wenn manch einer in der Stadt den Kopf darüber schüttelte. Inzwischen ist das Geländer drauf, aber was bleibt, ist eine Brücke aus drei Teilen: die sehr schön sanierte Brücke mit Geländer, ein extrem hässlicher Teil mit Bauzaun und wucherndem Unkraut zwischen alter Brücke und dem dritten Teil, einem Metallding, dass über die Gleise führt. Diese drei Teile symbolisieren Esslingen und die Rathauspolitik der vergangenen Jahrzehnte: Vieles ist gelungen, vieles erscheint einfach nur absurd.

Pliensaustraße Esslingen

Von der Pliensaubrücke geht es weiter in die Pliensaustraße, die für viele für den Niedergang der Esslinger Innenstadt steht. Eine spannende Ausflugsstadt mit attraktiven Boutiquen, die auch gerne von den benachbarten Stuttgartern besucht wurde, entwickelte sich zu einer zwar weiterhin schönen alten Stadt, aber einer, deren Einkaufsmeilen zunächst mit Telefonläden und dann mit Filialläden und Imbissen übersät wurde, wie es sie in jeder x-beliebigen anderen europäischen Stadt auch gibt. Das ist insofern kein Makel, als da es vielen Städten in den vergangenen Jahrzehnten so ergangen ist. Und es ist doch ein Makel, weil es positive Ausnahmen gibt. Kann Esslingen wieder Ausnahmestadt werden, auch dann, wenn kein Weihnachtsmarkt ist?

Kessler-Sekt Eingangstür

Über die Pliensaustraße schlagen wir uns quer durch die Altstadt zurück Richtung Markt, machen aber Halt am Kesslerplatz im Schatten der mächtigen Stadtkirche. Den Abschluss machen wir bei Kessler, der ältesten Sektkellerei Deutschlands. Hier gibt es mal ausnahmsweise nichts zu meckern. Nach dem zweiten Glas gewinnt die Stadt plötzlich an Farbe, die Pliensaubrücke wird zum köstlichen Scherz, die Gläser klirren, das Leben ist schön, besonders in Esslingen. Jetzt wissen wir endlich, warum es sich lohnt, in Esslingen zu leben. Diese Stunde sollte nie vorübergehen. Doch sie wird…