Nike Wagner wird 75 – und glaubt an eine Zukunft des klassischen Musikbetriebs. Foto: dpa/Oliver Berg

Sie gilt als geistreiche, scharfzüngige Bayreuth-Kritikerin: Nike Wagner, die Urenkelin Richard Wagners, wird nun 75 Jahre alt. In ihrer letzten Saison als Intendantin des Beethovenfestes muss sie auf eine große familiäre Versöhnungsgeste verzichten.

Bayreuth/Bonn - Jahrzehntelang war sie vor allem die scharfzüngige Widersacherin, die geistreiche Kritikerin, von der einige sagen, sie selbst hätte eigentlich die Herrscherin sein sollen dort oben auf Bayreuths Grünem Hügel. Das wäre Richard Wagners Urenkelin Nike Wagner auch gern geworden - aber sie unterlag 2008 im Rennen um das Amt ihren Cousinen Katharina und Eva. Nach dieser Saison nimmt sie ihren Hut als Intendantin des Bonner Beethovenfestes. Im Interview kurz vor ihrem 75. Geburtstag am 9. Juni verrät sie, ob Bayreuth Teil ihrer Zukunftsplanung ist.

Kein Seniorenheim

Als Sie ankündigten, das Beethovenfest zu verlassen, warfen Sie dem Bonner Publikum vor, nicht sonderlich experimentierfreudig zu sein und einen gewissen Hang zu Gemütlichkeit und Mainstream zu haben. Gilt das nicht oft für das Publikum in der Klassikwelt?

Gebetsmühlenartig muss es sich die Klassikwelt gefallen lassen, mit einem Seniorenheim verglichen zu werden. Wahr ist nur, dass eine gewisse Kennerschaft der Musik erworben sein will, um den eigenen Genuss zu steigern – bis hin zu Kompositionen der Gegenwart. Zugleich aber tut sich ja viel auf der jungen Seite. Die Nachwuchskünstler schießen ins Kraut, landauf landab gibt es die hochkarätigsten Jugendorchester. Vielleicht ist das Publikum in kleineren Städten harmoniesüchtiger als in den großen, wo mehr Spezialfestivals ihre Nischen finden – auch ist das Ohr träger als das Auge. Im Ganzen aber: keine Sorge, die Klassik hat ihr Publikum und die Massenekstase war nie ihr Ziel. Überzeugen und Vermitteln allerdings bleibt bitter nötig.

Warum verlassen Sie das Beethovenfest?

Es war von Anfang an mitgedacht, dass ich das Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 mitgestalten sollte. Das war auch dramaturgisch sinnvoll und eine gute Gelegenheit zu farbenreichem Abschied. Nun hat Corona alles verändert, doch dieses Veranstalter-Schicksal teile ich ja mit vielen, die voller Hoffnung auf das nächste Jahr blicken.

Was machen Sie denn jetzt stattdessen?

Die Verschiebung eines großen Festivals macht sich nicht von allein; es ist ein Trubel von Daten, Terminen, Fakten und Finanzen. Zum Teil müssen wir auch neu denken. Ansonsten tue ich, was die Quarantäne so erlaubt: Luft holen, CDs ordnen, Weltliteratur lesen, mit vernachlässigten Freunden telefonieren. …

Und wie feiern Sie Ihren Geburtstag?

Fernab in Mecklenburg-Vorpommern, bei meiner Tochter und meinen Enkelkindern. Ohne großes Feiern, in der Selbstverständlichkeit des Alltags, in der Nähe des Mobiltelefons.

Frauen an der Spitze

Frauen sind an der Spitze von Kultureinrichtungen immer noch in der Unterzahl. Wie lange wird das Ihrer Einschätzung nach noch so sein?

Auf Frauen kann man sich verlassen. Derzeit sind sie erfolgreich in der allermännlichsten Domäne angekommen – im Dirigentenfach. Und ich könnte Ihnen ein Dutzend vorzügliche Intendantinnen nennen. Aber insgesamt braucht es Zeit, das Selbstvertrauen der Frauen muss wachsen, von der Falle „Doppelbelastung“ zu schweigen. Jede prekäre Wirtschaftslage ist ein Feind wagemutiger Frauen. Aber: sie sind en marche. 

Katharina Wagner hat ihren Vertrag bis 2025 verlängert. Könnten Sie sich vorstellen, in fünf Jahren noch einmal anzutreten?

Um Gotteswillen: Nein. 

In Bayreuth herrscht derzeit eine nie dagewesene Situation: Wegen der Krankheit Ihrer Cousine Katharina hält dort derzeit kein Wagner die Zügel in der Hand. Wie sehen Sie das?

Das fragen Sie mich? 

Wie sehen Sie die Entwicklung der Festspiele in den vergangenen Jahren generell?

Ich leite das Beethovenfest Bonn, das Wohlsein anderer Festivals kann ich nicht beurteilen. 

 Zur Kooperation zwischen dem Beethovenfest und den Bayreuther Festspielen haben Sie gesagt: „Das schafft nur Beethoven, die wagnerischen Zweige zusammenzubringen.“ Warum schafft das nur Beethoven? Und ist dieses Zusammenbringen dauerhaft?

Ohne Beethoven kein Wagner. An Hand von Beethoven hat Wagner das Komponieren erlernt, und schließlich hat er sich zu seinem Nachfolger und Vollender stilisiert. Die Neunte Beethovens ist die einzige Musik eines anderen Komponisten, die auf der Bayreuther Bühne gespielt werden darf. Deshalb sollte diese Neunte zum Jubiläumsjahr Beethovens im Festspielhaus erklingen. Und ich bin meiner Cousine Katharina sehr dankbar, dass sie meinen Vorschlag sofort aufgegriffen hat, mit dieser Bayreuther Neunten ein Gastspiel in Bonn zu geben – ein wunderbar stimmiges joint venture. Dass eine Pandemie diese Familienzusammenführung nun verhindert hat, ist traurig, aber ohne höhere Bedeutung.

Zur Person

Nike Wagner ist eine Urenkelin des Komponisten Richard Wagner und die Tochter des 1966 gestorbenen Co-Leiters der Bayreuther Festspiele, Wieland Wagner, und dessen Frau Gertrud. Sie studierte Musik-, Theater- und Literaturwissenschaft in Berlin, Chicago, Paris und Wien und leitete bis 2013 das Kunstfest Weimar. Seit 2014 ist sie Intendantin des Beethovenfestes in Bonn. Ihr Vertrag läuft in diesem Jahr aus. Nach dem Tod ihres Vaters machte sie sich vor allem als Kritikerin ihres Onkels, des langjährigen Festspielchefs Wolfgang Wagner, einen Namen. Das Verhältnis zu ihrer Cousine Katharina Wagner gilt als entspannter.