Wenn Kunst wie am Wochenende in Esslingen Schaden nimmt, sind die Hintergründe mal kurios, mal tragisch. Klassiker sind die „Fettecke“ von Joseph Beuys und Banksys Zerstörungscoup während einer Auktion.
EsslingenDer Einbruch in die von der Villa Merkel veranstaltete Ausstellung „Good Space“ in den alten Esslinger Eisenbahn-Hallen in der Rennstraße schockt die Kulturszene in der Region. In der Nacht zum Sonntag wurden von Unbekannten mehrere Kunstwerke zerstört, unter anderem eine Installation des Niederländers Rob Voerman.
Das zerstörte Wer ist noch zu sehen
Bis voraussichtlich Mittwoch ist das zerstörte Werk des niederländischen Künstlers Rob Voerman noch in der Halle des ehemaligen Eisenbahnausbesserungswerkes (EAW) in Esslingen zu sehen, dann womöglich nicht mehr. Andreas Baur, Galerieleiter der Villa Merkel, sagte am Montag, dass sich bald entscheide, ob das Werk zur Begutachtung an den Künstler geschickt werde, „so wie es ist“, oder ob es noch restauriert werden könne. So lange dies nicht entschieden sei, bliebe das Werk so stehen, wie es ist. Es gebe nach der Zerstörung keine Gefährdung für die Betrachter, und da die Spurensicherung der Polizei ihre Arbeit auch schon erledigt habe, könne das Kunstwerk erst einmal so stehen bleiben.
Am frühen Samstagmorgen waren Einbrecher in die Halle geklettert und hatten mehrere Kunstwerke beschädigt und Glasflaschen zerschlagen. Es liegt allerdings nahe, dass es den Tätern nicht um die Kunst ging, sondern doch eher um Bares. Sie brachen eine Geldkassette auf, fanden darin aber kein Bargeld. In der Nähe der Halle wurde außerdem ein Lkw aufgebrochen – gut möglich, dass es sich um dieselben Täter handelte. Ein Zeuge will fünf junge Menschen zur besagten Zeit am Tatort gesehen haben. Die Polizei teilte am Montag mit, dass noch kein Täter ermittelt werden konnte und die Ermittlungen weiter laufen.
Als Konsequenz kündigte Baur am Montag an, die Sicherheitsvorkehrungen zu verstärken. Es werde nächtliche Kontrollgänge geben – „innen wie außen“. Auch über eine Videoüberwachung wolle man nachdenken. Dazu werde man das Gespräch mit den Eigentümer der Halle suchen.
Die Halle selbst beschreibt Baur als ein „kulturgeschichtlicher Ort, den man so in Esslingen nicht vermutet“. Kaum einer wisse, dass es in der Stadt eine solch große Halle gebe.
Seit der Eröffnung der Ausstellung „Good! Space“ Anfang Juni seien 3000 Besucher gekommen. „Das hat auch was mit den Hallen zu tun. Für unsere Verhältnisse ist das sehr gut“, sagte Baur. Die Ausstellung ist am Dienstag von 11 bis 20 Uhr geöffnet.
Beispiele von Kunstzerstörung aus der Vergangenheit
Nicht immer, wenn Kunst zu Schaden kommt, steckt allerdings Vandalismus dahinter. Mal ist übereifriges Reinigungspersonal am Werk, mal wird die wahre Kunst in der Ware Kunst schlicht nicht erkannt.
Eines der bekanntesten versehentlich zerstörten Werke ist die „Fettecke“ von Joseph Beuys. Das Werk bestand aus mehreren Kilogramm Butter, die in der Düsseldorfer Kunstakademie an einer Wand in zwei Metern Höhe angebracht waren. Ein pflichtbewusster Hausmeister kratzte das berühmte Kunstwerk des so exzentrischen wie umstrittenen Aktionskünstlers 1986 einfach weg. Um die Überreste, die Beuys Meisterschüler Johannes Stüttgen an sich genommen hatte, gab es später noch juristische Auseinandersetzungen. Stüttgen beanspruchte das Werk, da Beuys dessen Gestaltung einst mit den Worten „Johannes, jetzt mache ich dir endlich deine Fettecke“ begonnen haben soll. Bereits mehr als ein Jahrzehnt zuvor war eine ebenfalls von Beuys mit Heftpflaster, Kupferdraht, Mullbinden und Fett gestaltete Badewanne zerstört worden. Ein Leverkusener SPD-Ortsverein hatte die Ausstellungsräume für eine Feier angemietet – und die Wanne erst gereinigt und anschließend verwendet, um darin Gläser zu spülen.
Straßenreinigung im Einsatz
In Kassel entfernte 2007 die Straßenreinigung ein Werk der Künstlerin Lotty Rosenfeld, das im Rahmen der documenta auf öffentlichen Straßen angebracht worden war. Aufgeklebte weiße Streifen verwandelten Fahrbahnmarkierungen in Kreuze. „Sie haben es mit Schaufeln abgekratzt und auf den Müll geworfen. Das tat weh, wirklich weh“, klagte die Künstlerin, die selbst Augenzeugin der „Reinigungsaktion“ geworden war. Eine Installation aus goldfarbenen Rettungsfolien hielt im Jahr 2016 – auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise – eine Putzfrau in Mannheim für Müll. Sie warf Teile davon kurzerhand in die Tonne. Thema des Kunstwerks in einer Kirche: Menschen in Not auf der Suche nach einer Unterkunft. Richtig teuer wurde 2013 die Zerstörung einer Pferdeskulptur für einen Privatmann aus Nürnberg. Der Rentner hatte das Kunstwerk kurzerhand zersägt und zum Sperrmüll geschafft, da es seiner Ansicht nach seine Garagenausfahrt blockierte. Das Oberlandesgericht Nürnberg verurteilte ihn, dem Künstler 23 300 Euro plus Zinsen Entschädigung zu zahlen.
Banksy zerstört und verstört
Nur gut meinte es hingegen 2012 eine 80-Jährige aus dem Städtchen Borja in Spanien. Ihr fiel auf, dass an einem Jesus-Bild in ihrer Kirche die Farbe abbröckelte. Die Hobby-Restauratorin griff zum Pinsel – und machte aus dem Gemälde von 1930 eine Art expressionistischen Igel-Menschen. Zehntausende Touristen strömten seither in die nordspanische Kleinstadt, um das „Kunstwerk“ zu bewundern. Ein echtes Versehen war die Beschädigung des Picasso-Bildes „Le Rêve“ („Der Traum“) durch den Besitzer selbst, den Casinso-Betreiber Steve Wynn. Während er Kaufinteressenten das Motiv erläuterte, stieß er mit dem Ellbogen gegen die Leinwand und verursachte einen 15 Zentimeter langen Riss. Die potentiellen Investoren des millionenschweren Werks sprangen ab, die Restaurierung soll beinahe 100 000 Dollar verschlungen haben. Unwiederbringlich verloren war ein Banksy-Werk in Bristol: Im Sommer 2011 ließ der Vorsitzende eines muslimischen Kulturzentrums die Wand des Vereinsgebäudes säubern. Pech nur, dass eines der störenden Graffitis von dem international bekannten Street-Art-Künstler stammte. Banksy selbst schuf indes 2018 eines der bekanntesten zerstörten Werke der jüngeren Kunstgeschichte. Während einer Auktion schredderte er 2018 per Fernsteuerung sein Werk „Girl with Balloon“ mithilfe eines im Bilderrahmen versteckten Mechanismus’ live vor den Augen des verstörten Publikums. Das Werk hängt seit März – mit dem neuen Titel „Love is in the Bin“ – als Dauerleihgabe in der Stuttgarter Staatsgalerie.