Was nun ein Steuerberater offengelegt hat, macht nicht nur Bürgermeister Ferdinand Rentschler sprachlos: Dem Krankenpflegeverein fehlen sage und schreibe 200.000 Euro. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Doppelt so hoch wie angenommen ist im Lichtenwalder Betrugsskandal der Schaden für den Krankenpflegeverein. 200 000 Euro, und damit das komplette Vermögen, sind weg.

Lichtenwald Der Finanzskandal von Lichtenwald zieht viel weitere Kreise als bisher befürchtet. Der frühere Kämmerer hat sich offenbar über Jahre nicht nur aus der Gemeindekasse bedient – den Ermittlungen zufolge soll er von den Stadtkonten rund 321.000 Euro für sich abgezweigt haben. Dass der 63-Jährige auch den örtlichen Krankenpflegeverein um viel Geld gebracht habe, war schon länger gemutmaßt worden. Doch was nun ein Steuerberater offengelegt hat, macht nicht nur Bürgermeister Ferdinand Rentschler sprachlos: Dem Verein fehlen sage und schreibe 200.000 Euro. Geld, das der Finanzbeamte in seiner Eigenschaft als gewählter Kassier allem Anschein nach in den vergangenen zehn Jahren peu a peu von verschiedenen Vereinskonten geholt habe, wie es heißt. Ob der „Förderverein für Krankenpflege und soziale Dienste in Lichtenwald“, so sein offizielle Name, von dieser Summe jemals wieder etwas zurückerhält, ist fraglich. Denn ihm fehlt womöglich schlichtweg das Geld, um gegen den Ex-Kämmerer vor Gericht prozessieren zu können.

Prozess startet nächste Woche

Nächste Woche wird dem mittlerweile suspendierten Finanzbeamten, der 37 Jahre lang in Diensten der Schurwaldgemeinde stand und zweimal vergeblich versucht hatte, Bürgermeister zu werden, vor dem Esslinger Amtsgericht der Prozess gemacht. Die Anklage der für den 8. Mai angesetzten Verhandlung lautet auf Untreue in einem besonders schweren Fall. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart wirft dem Beamten vor, seine Stellung und sein besonderes Vertrauensverhältnis, das er als oberster Finanzchef der Gemeinde genoss, über viele Jahre in krimineller Weise ausgenutzt zu haben. Deswegen droht dem Mann eine Haftstrafe. Vor dem Amtsgericht werden allerdings nur seine kriminellen Machenschaften als kommunaler Finanzchef angeklagt. Die Veruntreuung der Vereinsgelder ist nicht Bestandteil der Anklage und wird deshalb nicht am 8. Mai verhandelt.
Um seine Forderungen gegen den früheren Kämmerer geltend zu machen, müsste der Verein selbst gegen ihn klagen. Ob er das tun kann, ist fraglich. Nach Angaben von Bürgermeister Rentschler, dem amtierenden Vereinsvorsitzenden – er vertritt Pfarrerin Tamara Besserer, die sich in Elternzeit befindet –, hängt alles an einer noch ausstehenden Entscheidung des Landgerichts Ulm. Dieses muss darüber befinden, ob der Verein berichtigt ist, Prozesskostenhilfe zu erlangen. Nur wenn das bejaht werde, könne man klagen, so der Rathauschef. Man müsse mit Gerichts- und Anwaltskosten in Höhe von 20.000 Euro rechnen. So eine Summe könne der Verein unmöglich selbst aufbringen. Denn die Konten seien leer geräumt.
Ursprünglich war man beim Krankenpflegeverein von einem finanziellen Schaden in Höhe von gut 100.000 Euro ausgegangen. Doch in Wirklichkeit ist es doppelt so viel. Laut Rentschler war die Prüfung sehr kompliziert und aufwendig. Denn der frühere Kassenwart habe sämtliche Bücher, anhand derer sich die Geldtransaktionen nachvollziehen ließen, verschwinden lassen. Rentschler: „Wir mussten sämtliche Kontoauszüge der vergangenen zehn Jahre überprüfen lassen.“ Diese Aufgabe habe ein Steuerberater übernommen. Die Prüfungen hätten sich so lange hingezogen, weil der Verein neben dem Girokonto viele Spar- und Tagesgeldkonten gehabt habe. Um seine Tricksereien zu verschleiern, habe der Kämmerer „wild hin- und hergebucht“.
Der Schaden der Gemeinde bewegt sich dank einer Versicherung und Rückbuchungen unterm Strich in erträglichem Rahmen. Außerdem hat der Angeklagte ein notarielles Schuldanerkenntnis unterzeichnet. Genau das habe man von dem Beschuldigten auch im Fall des Krankenpflegevereins gefordert, so der Bürgermeister. Doch sei der 63-Jährige dazu nicht bereit.

Der Verein ist pleite
Was der Verlust für den Lichtenwalder Krankenpflegeverein bedeutet? „Wir haben überhaupt kein Vermögen mehr“, sagt der amtierende Vorsitzende. Über Jahrzehnte war die Pflege der Kranken im Ort zentrales Ziel des Vereins. Frauen, oft Diakonissen, wurden dazu als Krankenschwestern angestellt. Ende der 1980er-Jahre änderten sich die Rahmenbedingungen. Der Gesetzgeber verlangte, dass mindestens drei Pflegefachkräfte und eine Pflegedienstleitung beschäftigt werden sollten. Das war vielerorts nicht möglich, deswegen entstanden flächendeckend Diakonie- und Sozialstationen. Für Hochdorf, Lichtenwald und Reichenbach wurde 1994 eine eigene Diakoniestation ins Leben gerufen, die anfangs unter der Trägerschaft der evangelischen St.-Mauritius-Gemeinde in Reichenbach stand. Seit 2008 gibt es die Diakoniestation Untere Fils als eigenständigen kirchlichen Verband. Die Krankenpflegevereine sind gemeinsam mit den bürgerlichen Gemeinden und den Kirchengemeinden Träger der Diakoniestation. Mit 50 Prozent der Mitgliedsbeiträge unterstützen die Krankenpflegevereine die Diakoniestation.
Von dem über Jahre angesparten Geld wollte der Lichtenwalder Krankenpflegeverein einen Zuschuss geben für einen halböffentlichen Gemeinschaftsraum im neuen Senioren- und Pflegeheim in Thomashardt. Doch ob diese Investition weiterhin möglich ist, steht in den Sternen.