Mirko F. (links) und Ayrin Benu Beck bedeutet es viel, mit dem richtigen Namen angesprochen zu werden.Foto: Roberto Bulgrin Foto:  

Von November an wird es durch ein neues Gesetz leichter, Vornamen und Geschlechtseintrag zu ändern. Für nicht-binäre und transgeschlechtliche Menschen ist das ein deutlicher Fortschritt. Einige Fragen sind aber weiterhin unklar – zum Beispiel beim Thema Kinder.

Die beiden Vornamen von Ayrin Benu Beck bilden eine Einheit. „Sie sind eine Kombination dessen, was mich ausmacht“, sagt Beck. Während Ayrin an Irene erinnere und damit eher weiblich klinge, fühle sich Benu eher männlich an. Beck ist eine nicht-binäre Person, identifiziert sich also mit keiner der beiden traditionellen Geschlechtszuschreibungen. Demnächst soll sich das auch im Personalausweis widerspiegeln. Denn Beck hat sich für die Personenstandsänderung angemeldet, die das ab November gültige Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht. Dann können nicht-binäre und trans- sowie intergeschlechtliche Menschen ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt anpassen lassen.

Bislang war das nur über das Transsexuellengesetz (TSG) möglich. Dazu sagt Beck: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht durch das TSG gegangen wäre.“ Um den Geschlechtseintrag zu ändern, waren zwei psychiatrische Gutachten – Kostenpunkt: bis zu 2000 Euro – und eine gerichtliche Entscheidung notwendig. Das sollte belegen, dass es sich nicht um einen vermeintlich sprunghaften Entschluss handle. Außerdem wurden nicht-binäre Menschen im TSG nicht explizit erwähnt. Das ist im neuen Selbstbestimmungsgesetz anders. Beck sagt, das Thema nicht-binäre Identität sei in den vergangenen Jahren präsenter geworden. Dabei spielten Veranstaltungen wie der Esslinger Christopher Street Day (CSD), zu dessen Organisationsteam Beck gehört, eine Rolle. Im Freundeskreis und am Arbeitsplatz sind Becks Erfahrungen seit dem eigenen Coming-Out größtenteils positiv. „Aber dass nicht-binäre Menschen auch im Gesetzestext auftauchen, ist ein weiterer Schritt.“

Realitätsferne Ängste

Allerdings sei der Preis hoch gewesen. „Die Debatte, die über das Gesetz geführt wurde, ist hoffnungslos entgleist“, sagt Beck und fügt hinzu: „Da wurden Säue durchs Dorf getrieben, die an der Lebenswirklichkeit meilenweit vorbeigehen.“ Als Beispiel nennt Beck das Schlagwort Frauenumkleiden. Immer wieder sei die Gefahr beschworen worden, Männer könnten das Gesetz nutzen, um sich als transgeschlechtliche Frauen Zugang zu weiblichen Schutzräumen zu verschaffen. „Das ist absurd“, sagt Beck. Wer auf einen gewalttätigen Übergriff aus sei, müsse dafür nicht zuerst den Geschlechtseintrag ändern.

Das Dilemma mit der Geburtsurkunde

Auch die Befürchtung, vor allem Jugendlichen könnten nun nach Lust und Laune das Geschlecht wechseln, habe nichts mit der Realität zu tun. „Statistisch gesehen liegt die Rückfallquote nach einer Änderung bei etwas mehr als einem Prozent“, sagt Beck. Auch aufgrund dieser Diskussionen wurde der ursprüngliche Gesetzesentwurf an manchen Stellen angepasst. Dennoch sagt Beck: „Wenn man die ganze Debatte drumherum ausklammert, halte ich das Ergebnis eigentlich für einen sauberen Kompromiss.“

Ayrin Benu Beck hält das Selbstbestimmungsgesetz für einen sauberen Kompromiss. Foto: Roberto/ Bulgrin

Alle bürokratischen Probleme gelöst sind dadurch jedoch bei weitem nicht. Das zeigen die Zweifel von Mirko F. Der transgeschlechtliche Mann aus Esslingen will seinen Namens- und Geschlechtseintrag zwar irgendwann ändern lassen. Dafür angemeldet hat er sich aber noch nicht. Der Grund: „Mir ist nicht klar, was dann mit der Geburtsurkunde meiner Kinder passiert.“ Mirko F. hat vor seiner hormonellen Transition zum Mann zwei Kinder zur Welt gebracht. Die musste seine Lebenspartnerin nachadoptieren, obwohl Mirko F. damals schon mit ihr verheiratet war. Auf der Geburtsurkunde des ersten Kindes wurden Mirko F. und seine Ehefrau als Eltern eingetragen. Das zweite Kind erhielt allerdings eine Urkunde mit zwei Müttern. Warum nicht erneut „Eltern“ verwendet wurde, weiß Mirko F. nicht.

Das stellt ihn vor ein Dilemma: „Wenn ich meinen Namen auf dem Personalausweis nicht ändere, oute ich mich mehrmals täglich als transgeschlechtlich, etwa bei der Bank.“ Mit der Änderung zu „männlich“ müsste er sich hingegen in Situationen rechtfertigen, in denen die Geburtsurkunde mit dem Eintrag „Mutter“ benötigt wird. Das komme zwar seltener vor, sei aber schwerwiegender. Denn: „Die Kinder sind anwesend und sehen, dass die Eltern nervös werden.“ Ob er den Geschlechtseintrag ändere, sei Stand jetzt eine schwierige Abwägung.

Mirko F. sagt: „Ich habe den Eindruck, je unerwünschter jemand ist, desto mehr Ausweispapiere muss die Person mit sich führen.“ Immerhin fühle er sich nur im bürokratischen Sinne „unerwünscht“, schränkt der 43-Jährige ein. „In meinem Umfeld haben alle die Transition akzeptiert. Gerade Menschen, von denen ich dachte, die haben bestimmt Probleme damit.“ So hätten Mitglieder der katholischen Gemeinde oder muslimische Bekannte sofort „Mirko“ und „er“ zu ihm gesagt. Wie viel das ausmacht, weiß auch Ayrin Benu Beck: „Konsequent auf Dokumenten den richtigen Namen zu sehen und damit angesprochen zu werden, ist ein deutlicher Gewinn an Lebensqualität.“

Das ändert sich ab November

Gesetz
Das Bundesverfassungsgericht hat wesentliche Teile des Transsexuellengesetzes für verfassungswidrig erklärt. Außerdem gilt das Wort „transsexuell“ historisch gesehen als stigmatisierend. Deshalb verabschiedete der Bundestag im April das neue Selbstbestimmungsgesetz. Der Geschlechtseintrag ist künftig im Wesentlichen vom Empfinden der antragstellenden Person und nicht vom psychologischen und juristischen Urteil anderer abhängig. Bislang gibt es in 15 Ländern eine vergleichbare Regelung.

Standesämter
Seit dem 1. August ist es möglich, einen Antrag für die Änderung des Geschlechtseintrags unter dem Selbstbestimmungsgesetz zu stellen. Beim Esslinger Standesamt waren bis Oktober 21 Anmeldungen dafür eingegangen. In den anderen Städten im Landkreis liegt diese Zahl größtenteils im einstelligen Bereich. Tanja Eisbrenner, die Pressesprecherin der Stadt Ostfildern sagt jedoch: „Wir gehen davon aus, dass das Thema mit Inkrafttreten des neuen Selbstbestimmungsgesetzes weiter an Bedeutung gewinnen wird.“