Neuschnee macht’s möglich: Diese Kinder in Madrid erleben eine völlig neue Fortbewegungsart. Foto: AFP/Gabriel Bouys

In Spaniens Metropole schneit es wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die ganze Stadt feiert. Damit die Kinder von heute ihren Enkeln erzählen können: Früher gab es noch richtige Winter.

Madrid - Am Freitagmittag beginnt es zu schneien, Flöckchen kaum größer als Regentropfen. Das ist nicht so ungewöhnlich in Madrid, so schneit es alle paar Jahre mal, vielleicht eine oder zwei Stunden. Aber an diesem Freitag hört es nicht auf zu schneien, am Abend sind schon Bäume und Bürgersteige und Autos von einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Im Paseo del Pintor Rosales ist ein lärmender Schneeschieber unterwegs. Zwei Straßencafés haben geöffnet, Heizpilze vertreiben die Kälte. Eine Freundin sagt: „Morgen werden wir bis zu den Knien im Schnee stehen.“

Am Samstag ist die Stadt nicht wiederzuerkennen. Die Freundin hatte recht. Alle Autos sind verschwunden: die am Straßenrand geparkten sind eingeschneit, alle anderen sind in ihren Garagen geblieben. Die Straßen sind unpassierbar. Die Quellen sind sich uneins: Sind es die stärksten Schneefälle seit 1971, seit 1963 oder seit 1907? Auf alle Fälle hält es niemanden in seiner Wohnung: Das muss man gesehen haben, raus auf die Straße! Damit die Kinder von heute ihren Enkeln erzählen können: Früher gab es noch richtige Winter.

Die Madrider haben sich ihre Stadt zurückerobert

Ganz Madrid ist ein Winterfreizeitpark. Auf der Calle Princesa, einer der Haupteinfallsstraßen von Madrid, patrouilliert ein einsamer Streifenwagen, ein Beamter darin versucht sich über Lautsprecher Gehör zu verschaffen: Benutzen Sie die Bürgersteige! Niemand beachtet ihn. Die Madrider haben sich ihre Stadt zurückerobert, Hunderttausende sind unterwegs, sie schieben sich ungestört über die Straßen, zu Fuß, auf Skiern, mit dem Schlitten, auf dem Schneebrett. Überall ist Gelächter zu hören. Eine Frau wirft sich kreischend in den Schnee. Kinder mit roten Händen bauen Schneemänner oder Schneefrauen. Jugendliche entdecken das Vergnügen, ihre Freunde mit Schneebällen zu bewerfen. An der Plaza Callao bewerfen sie auch Polizisten, was Ärger gibt. Auf der Puerta del Sol, im Herzen der Stadt, tönt von irgendwo eine spanische Pophymne, und Hunderte tanzen. Ganz Madrid ist ein Fest.

Wieder daheim, begegnet man im Fernsehen den Unannehmlichkeiten, die solche Tage mit sich bringen. Der Flughafen ist geschlossen, die Bahnhöfe auch. Zum Glück gibt es die Metro, die ausnahmsweise auch die Nacht durchfährt. Seit Tagen wurde die Schneefront Filomena angekündigt, trotzdem haben sich am Freitag noch Leute ins Auto gesetzt und wundern sich, dass sie sich von guten Samaritern aus dem Schnee helfen lassen müssen. In der Region Madrid mit ihren knapp 6,7 Millionen Einwohnern mussten aber nur 1500 Leute aus ihren steckengebliebenen Autos befreit werden. Im ganzen Land stehen Tausende voll beladene Lkw auf Raststätten still.

Die kleine Clara kommt im Auto ihrer Eltern zur Welt

Dass die Behörden überfordert sind, kann keinen überraschen, sie sind aber noch etwas überforderter, als man erwartet hätte. Am Samstagabend hat es aufgehört zu schneien. Am Sonntag kommt die Sonne raus, es ist leicht über 0 Grad, der Schnee glitzert und verdampft. Fast alle Straßen, auch die wichtigen, sind noch mit einer festgetrampelten Schneeschicht bedeckt, der eine oder andere Geländewagen wagt sich heraus. Irgendwo sollen auch Schneeräumer unterwegs sein, damit sich Krankenwagen und Feuerwehr wieder durch die Stadt bewegen können.

Ein Mädchen, Clara, kam am Samstag im Auto der Eltern, die nicht zum Krankenhaus durchgekommen waren, zur Welt. Die Erinnerung an dieses Winterfest wird den Madridern niemand nehmen können.