Ulm eröffnet in Erinnerung an Albert Einstein das Museum „Die Einsteins – Museum einer Ulmer Familie“. Es hat schon Gründe, weshalb das Projekt so lange dauerte.
Zu den Einmaligkeiten, die eine neue Ulmer Ausstellung rund um die Familie Einstein zu bieten hat, gehört das Gebäude, in dem sie ab dem 5. Juli zu sehen ist: das Erdgeschoss der 1853 gegründeten Bettfedernfabrik „Straus, Israel & Comp.“, später „Israel & Levi“. Inhaber waren zwei Neffen Albert Einsteins, Moses und Hermann Levi aus dem oberschwäbischen Buchau. Albert Einsteins Großeltern Helene und ihr Mann Abraham erwarben eine Teilhaberschaft am Unternehmen, zogen in den ersten Stock des Hauses, das am innerstädtischen Weinhof steht.
Über diese Verbindung kamen einst Hermann und Pauline Einstein nach Ulm. Am 14. März 1879 wurde ihr Sohn Albert, der spätere Physik-Nobelpreisträger, im Gebäude Bahnhofstraße 20 geboren. Gerade einmal 15 Monate später zog die Kleinfamilie nach München, ihr Glück zu suchen. Wo das Geburtshaus war, steht längst das Shopping- und Wohnquartier „Sedelhöfe“.
Das ist auch schon die ganze Ulmer Geschichte, bezogen auf den berühmten Wissenschaftler. Sie hätte, trotz ihrer Dürftigkeit und weitgehender Spurenlosigkeit, gereicht, den Stadtmarketing-Beauftragten in den jüngeren Jahrzehnten zugkräftige Slogans zu liefern, nach dem Muster: So ein Einstein ist bei uns die Regel. Oder: Einkaufen in Ulm – genial.
Dass sich solche Kampagnen verboten, lag am Umstand, dass Einstein von den USA aus, wohin er rechtzeitig vor 1933 emigriert war, miterleben musste, wie ein Großteil seiner verzweigten Familie, die in Ulm, Buchau, bei Memmingen, in Laupheim, Hechingen oder Jebenhausen lebte, von den Nazis ermordet wurde. Wenigen konnte er per Bürgschaft noch zur Flucht verhelfen. Nie wieder betrat der Wissenschaftler bis zu seinem Tod 1955 Deutschland. Als der Ulmer Gemeinderat Einstein 1949 anlässlich dessen 70. Geburtstags die Ehrenbürgerschaft antrug, lehnte der Adressat höflich, aber bestimmt ab.
Ein Vorhang vor den Bildern der Ermordeten
Wie sich also unter das Licht des Starphysikers stellen, ohne diesen Aspekt zu verharmlosen, auch ohne im Besitz prägender zeitgenössischer Gegenstände zu sein, die die Kreuzgewölbe-Räume in der alten Bettfedernfabrik füllen könnten? Die Ulmer wagen das jetzt, indem sie ihrem Museum einen erweiterten Titel gaben: „Die Einsteins – Museum einer Ulmer Familie“.
Diese Onkeln und Tanten, Cousins und Cousinen hießen Dreyfus, Hirsch, Koch oder Moos. Die Ausstellung führt die Namen gleich zu Beginn in einem aufwendig recherchierten, ausspannenden Stammbaum auf. Den weiteren Rundweg prägen Vitrinen, faksimilierte Schriftstücke, Replika alten Geschirrs, knapp gehaltene Wandtexte, Klapptafeln, stets auch in Englisch. Plastisch werden Einsteins Verwandte vor allem als Getötete oder Geflüchtete, die zuvor staatlich beraubt wurden.
In einer Art von kurzem Zwischengang, der zwei Ausstellungsbereiche verbindet und auf ein mannshohes historisches Foto der Rampe von Auschwitz zuführt, hängen Bilder von ermordeten Einstein-Verwandten – seltsamerweise hinter dichten Vorhängen aus weißen Fäden. Die Teilverschleierung sei auch aus Gründen des Respekts und der Pietät gegenüber den Toten gewählt worden, so die Ausstellungsmacher.
Damit wird es Besuchern aber zugleich leicht gemacht, diese Galerie des Schreckens rasch zu durchschreiten, wie überhaupt die zusammengetragenen Fakten über Namen, Biografien, Daten und Verbindungen etwas streng Deskriptives, Intellektualisiertes, Wissenschaftliches, also Entrücktes haben. Wie es anders geht, zeigt die 20 Kilometer von Ulm entfernte, seit Januar völlig neu gestaltete Dauerausstellung im Laupheimer Museum zur Geschichte von Christen und Juden. Sie dokumentiert zu Anfang in großformatigen Fotos und Bildern das pralle Leben der damals größten jüdischen Gemeinde Württembergs.
Die Ulmer Erinnerungskultur braucht Zeit
Und wird dann Meter um Meter zu einem bedrückenden Crescendo der Entmenschlichung, das, unter Benennung auch lokaler Täter, in der Auslöschung von Juden, die zuvor Nachbarn waren, und der Selbstzerrüttung der damaligen Stadtgesellschaft endet. Schlaglichter statt Fadenvorhang.
Von Selbstanklage, der Wälzung später Schuldfragen, überhaupt von Emotionalisierung hält und enthält die Ulmer Schau fürs flüchtige Auge nichts. Sie informiert umfassend, lässt staunen über Albert Einstein, der auch als Briefmarken- und Münzprägefigur oder lustiges Winkemännchen gezeigt wird. Aber sie nötigt keine Conclusio auf.
Womöglich ist diese touristische Kompatibilität Bedingung dafür gewesen, dass sich in Ulm überhaupt eine politische Mehrheit für ein Einstein-Museum bilden konnte. Die Stadt, die gemessen an den Wahlergebnissen von 1933 eine Hochburg der Nationalsozialisten war, konnte sich ja auch erst 2006 durchringen, einen Platz nach den bis zu ihrer Ermordung hier lebenden Geschwistern Hans und Sophie Scholl zu benennen, und sie benötigte bis 2017, den Namen des braunen Universitäts-Gründungsrektors Heilmeyer von einem Straßenschild zu tilgen.
Jetzt erst ist der Mut groß genug auch für eine Selbstkonfrontation mit den Einsteins und ihrem gewaltsamen Ende. Aber immerhin.