„Papa ist der beste Rapper“, da sind sich Dexters Kinder ganz sicher. Foto: Robert Winter

Nur noch was er mag: Nach vielen Jahren als rappender Kinderarzt hat sich Dexter zum Schritt in die musikalische Selbstständigkeit entschlossen. Seine Homebase für Familie und Arbeit ist ein Altbauhaus im Stuttgarter Westen. Dort entstand auch sein neues Album „Yung Boomer“. Ein Besuch.

Stuttgart - In einem Studio im Stuttgarter Westen werden Beats gebaut, die es schon auf manches mit Gold ausgezeichnete Album geschafft haben. Nicht aber im Schutze der Dunkelheit zu nachtschlafender Zeit, wie es das vorherrschende Klischee vielleicht vermuten lässt. Sondern schon um neun Uhr morgens. Hip-Hop ist längst keine reaktionäre Gegenkultur mehr, ist Familienleben, geregelter Tagesablauf, ist Frühstück machen für den Nachwuchs, ein Smoothie vielleicht, bevor man überhaupt an einen neuen Track denkt.

Dexter ist dankbar um diese Routine. Seit er vergangenes Jahr seinen Job als Kinderarzt an einer Stuttgarter Klinik an den Nagel gehängt hat, ist der Westen endgültig zu seinem Lebensmittelpunkt geworden. Unweit des Hölderlinplatzes hat er sein Studio eingerichtet, in dem er sein eigenes Material produziert, aber auch Auftragsarbeiten für andere Künstler erledigt. Das waren schon große Namen wie Casper oder Cro, das Edelmetall für seine Beteiligung an definierenden Momenten der deutschen Popkultur steht immer noch auf dem Boden herum.

Seine Haltung ist maximal bodenständig

„Sind doch auch nur Bilder“, sagt Dexter achselzuckend und nimmt auf seinem Stuhl Platz. Dieser Satz sagt viel über Felix Göppel. Sein Geltungsdrang ist so unauffällig wie sein Studio, seine Haltung maximal bodenständig und unaufgeregt, sein Selbstbild eher das eines Produzenten denn eines Rappers im Rampenlicht. Dennoch: Dexter ist spätestens jetzt beides. „Yung Boomer“, eine Art Laissez-faire in Rapform, ist nach unzähligen Mixtapes, Kollaborationen und Projekten erst sein zweites Soloalbum. Und sein erstes als jemand, der nur noch Musik macht, um seine Familie zu ernähren.

„Mein Sicherheitsdenken hielt mich davon ab, diesen Schritt schon früher zu gehen. Ich war nicht sicher, ob ich mir das finanziell erlauben konnte – mit Familie, Wohnung und einem gewissen Standard, an den man sich gewöhnt hat“, sagt er beim Treffen in seinem Studio. Zwei Jahre dachte er über diesen Schritt nach. „Ich wollte es dann einfach mal probieren. Ich hatte das Gefühl, dass ich es irgendwann bereut hätte, diesen Schritt nicht wenigstens einmal gemacht zu haben. Und das Gute ist: Wenn es gar nicht funktioniert, stehen mir die Türen immer noch offen, und ich kann zurück.“

Und dann stehen wieder die Kinder im Mittelpunkt

Von einem Lotterleben ist Dexter dennoch weit entfernt. Um sieben geht es raus aus den Federn, die Kinder fertig machen, frühstücken. Um neun findet er sich in seinem Studio ein, das sich praktischerweise im Erdgeschoss des Hauses befindet, in dem er wohnt. „Bis nachmittags arbeite ich an meiner Musik, danach stehen die Kinder wieder im Mittelpunkt. Spielen, Abendessen, ins Bett bringen. Wenn ich dann noch Muse habe, gehe ich noch mal ins Studio.“ Sind ja nur ein paar Treppenstufen.

Über viele Monate hinweg entstand so auch „Yung Boomer“, der Nachfolger von „Haare nice, Socken fly“, dem wahrscheinlich am lockersten aus der Hüfte geschossenen Album der jüngeren deutschen Rapgeschichte. Das hier war keine Selbstinszenierung, kein Phrasengedresche, sondern ein Album wie eine Woche in Dexters Leben. Selbstreferenziell, ohne sich in Narzissmus zu sonnen, unvergessen eröffnet von „Papa ist der beste Rapper“ aus dem Mund des Nachwuchses. Auch „Yung Boomer“ will nichts sein, ist aber eine ganze Menge. Entspannt, fluffig, unaufgeregt, in seiner inhaltlichen Alltäglichkeit wunderbar universell.

Entstanden ist es in Stuttgart-West, auch seine Texte sind durchwirkt von geografischen Referenzen an den Bezirk. Das jedoch, betont Dexter, ohne größere Gravitas dahinter. „Ich wohne halt hier“, meint er salopp. „Wenn ich meine Texte also verorte, dann eben hier in Stuttgart-West. Mehr hat das nicht zu bedeuten, Stuttgart-Stolz ist bei mir eher weniger vorhanden. Ich wohne gerne hier, habe meinen Lebensmittelpunkt, meine Familie und Freunde hier. Das könnte aber eben auch Erfurt sein. Oder irgendwo auf dem Land.“

Musik ist seine Wohlfühlwelt

Dexter geht es gut. Das hört man dem Album an. „Ich habe zum Glück keine größeren Probleme“, sagt der 37-Jährige dazu. „Darüber bin ich sehr dankbar und weiß, dass das große Privilegien sind. Aber deswegen klingt meine Musik, wie sie klingt. Sie ist für mich eher eine Wohlfühlwelt. Ist doch eigentlich alles cool.“ Könnte fast einer seiner Songtitel sein.

Damals, als der Hip-Hop laufen lernte, war es kaum vorstellbar, dass Rapper mal Familien gründen und auch mit bald 40 noch Musik machen. Dexter steckt da mittendrin zwischen der alten Garde und den jungen Wilden. Das Bild, das diese Musik nach außen abgibt, wird für ihn aber „immer noch viel zu sehr von denen geprägt, die dummes Zeug von sich geben“, wie er sagt. „Da gibt es schlimme Gruppierungen, die sich in Verschwörungstheorien ergehen, antisemitisch oder frauenfeindlich sind. Ich kann über vieles hinwegsehen und auch manches weglachen, aber da hört es auf. Viele dieser Rapper sind vor allem bei Kids und Jugendlichen sehr beliebt, da sehe ich schon eine Gefahr. In diesem Alter sind Meinungen noch nicht gefestigt.“ Dexter ist da eher gelassen und jugendfrei unterwegs. Nicht, weil er selbst Kinder hat. Sondern weil er sich über der Gürtellinie einfach heimischer fühlt als darunter.

Dexter
alias Felix Göppel rappt länger als sein halbes Leben: Geboren 1983 in Heilbronn, fing er vor über 20 Jahren an, Hip-Hop zu schreiben und zu produzieren. Seit 2008 veröffentlicht er regelmäßig und in hoher Frequenz Material. An diesem Freitag erscheint sein zweites Studioalbum „Yung Boomer“ (prodbydexter / Zebralution – als Doppel-LP).

Mischpult
Für seine Arbeit an dem Song „Blut sehen“ von Casper gab es eine Goldene Schallplatte für mehr als 100 000 verkaufte Einheiten, für seine Produktion von Cros Song „Ein Teil“ sogar Platin für mehr als 200 000.

Pseudonym
Woher sein Pseudonym kommt, ist nicht zur Gänze geklärt: Göppel selbst vermutet, dass „dexter“ (also lateinisch für „rechts“) auf sein Handicap zurückgeht, nur mit rechts scratchen zu können. Mit dem Serienmörder aus der gleichnamigen Serie hat er wenig gemein.