Neue Räume wurden eröffnet: (von links) Bernd Sieber, OB Jürgen Zieger und Chefarzt Björn Nolting Foto: Fot - Fot

Jedes vierte Kind, jeder vierte Jugendliche zeigt in Deutschland Symptome einer psychischen Erkrankung. Auf diese Entwicklung reagiert das Klinikum Esslingen: Die psychosomatische Kinder- und Jugendstation wurde neu eröffnet.

Esslingen Bis zu 25 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland zeigen Symptome psychischer Erkrankungen. Mit dem Umzug der psychosomatischen Kinder- und Jugendstation in moderne, hell und funktional gestaltete Räume im dritten Obergeschoss der Kinderklinik reagiert das Esslinger Klinikum auf diese Herausforderung. Die Neueröffnung der Station, die in diesem Jahr ihr 40-jähriges Bestehen feiert, markiert auch den Abschluss der Sanierung der Kinderklinik.

Bereits im Jahr 2015 hat das Gebäude ein zusätzliches Stockwerk erhalten, in dem sich heute die Kinder- und Jugendpsychiatrie befindet. Dort werden psychiatrische Störungen wie Schizophrenie oder Suchterkrankungen behandelt. Mit der Neueröffnung der Psychosomatik ist endlich alles fertiggestellt. „Das ist ein großer Tag für das Esslinger Klinikum“, freute sich Geschäftsführer Bernd Sieber. Oberbürgermeister Jürgen Zieger betonte als Aufsichtsratsvorsitzender des Klinikums die Bedeutung des Standorts der Jugend-Psychosomatik für die Stadt als Träger. Die Station wirke weit über die Stadtgrenzen hinaus. Für die Neugestaltung wurden 2,7 Millionen Euro an Baukosten fällig. Das Land Baden-Württemberg unterstützte die Sanierung mit 1,67 Millionen Euro an Fördermitteln. 14 Jugendliche und junge Erwachsene, die zum Beispiel an Essstörungen, Depressionen, Schulphobien oder Traumafolgen leiden, finden hier beste Therapiebedingungen. Ein Notfallplatz kommt noch hinzu.

Im Durchschnitt bleiben die jungen Patientinnen und Patienten acht bis zehn Wochen hier in Behandlung. Die Station nimmt Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren auf. „Wir begleiten die vulnerable Phase der Pubertät je nach Entwicklungsalter auch über den 18. Geburtstag hinaus“, weist Chefarzt Björn Nolting auf eine Besonderheit hin, die die Esslinger Station von anderen unterscheidet. In Kooperation mit der Kinderklinik kann auch auf körperlich schwere Verläufe reagiert werden, wie zum Beispiel lebensbedrohliches Untergewicht bei Magersucht. Ein Schwerpunkt der neuen Station liegt auf der Therapie von Essstörungen wie Anorexie, Bulimie oder Binge-Eating, einem Krankheitsbild, bei dem es zu periodischen Heißhungeranfällen kommt.

Magersucht oder Anorexie betrifft vorwiegend junge Frauen. „Der Beginn der Krankheit ist immer früher anzusetzen, oft schon mit 13 oder 14 Jahren“, erklärt Nolting. „50 Prozent aller Mädchen haben bis zu ihrem 18. Geburtstag bereits Diäterfahrungen gemacht.“ Zu den Ursachen gehöre ein in den Medien transportiertes Schönheitsideal, das eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper suggeriere. „Wir schließen mit den Betroffenen einen Vertrag ab“, sagt der Chefarzt. Darin werde eine bestimmte Gewichtszunahme pro Woche vereinbart und auf die Freiwilligkeit der Entscheidung der Patientinnen gesetzt: „Magersüchtige stehen ihrer Therapie immer ambivalent gegenüber“, erklärt der Mediziner.

Die Therapien sind so vielfältig wie die Betroffenen. Es gibt Gesprächs- und Gruppensitzungen, Kunsttherapie und viele weitere Ansätze. Auch die klinikinterne Schule wird in die Betreuung einbezogen. In den gemütlichen Gemeinschaftsräumen kann gespielt, Fernsehen geschaut und sich am Tischkicker ausprobiert werden. An der langen Tafel im Speiseraum wird gemeinsam gegessen, was magersüchtige Jugendliche vor eine Herausforderung stellt. „Wir sehen, ob sie den Kartoffelbrei hin und herschieben“, sagt Chefarzt Björn Nolting.

Die intensive Begleitung und Betreuung schafft Bindung und Vertrauen als notwendige Voraussetzung der Therapie: „Erbsen gezählt wird bei uns nicht, aber das Gewicht wird immer montags und donnerstags kontrolliert.“

Am Mittwoch, 4. Dezember, kann die neue psychosomatische Kinder- und Jugendstation am Klinikum Esslingen ab 17 Uhr bei einem Tag der offenen Tür besichtigt werden.